Andreas Pietschmann im Interview

Andreas Pietschmann: "Nach einer Niederlage muss man möglichst schnell wieder aufstehen"

01.06.2023 von SWYRL/Eric Leimann

Andreas Pietschmann, Ehemann von Jasmin Tabatabai, gilt als einer der charismatischsten Schauspieler Deutschlands. Seine besondere Aura glänzte zuletzt vor allem im Mystery-Stoffen wie "Dark", "1899" und nun in der ZDF-Mediathekenserie "Der Schatten". Was ist so reizvoll am mysteriösen Genre?

Der 54-jährige Andreas Pietschmann, in seiner Jugend mal auf dem Sprung ins Profi-Fußballgeschäft, entschied sich nach einer schweren Verletzung für die Schauspielerei. Dort überzeugte der blonde Franke an Deutschlands anspruchsvollsten Theaterbühnen. Nur im TV musste er lange den Action-Helden oder jugendlichen Liebhaber geben. Das hat sich für den Ehemann von Kollegin Jasmin Tabatabai spätestens 2017 mit der Netflix-Serie "Dark" geändert. Seitdem glänzt der Vater dreier Kinder auch im Charakterfach. Besonders in mysteriösen Rollen spielt der eigentlich sehr bodenständige Pietschmann sein Charisma aus. Nun auch in der ZDF-Mysteryserie "Der Schatten", die in der Mediathek (ab 2. Juni) und bei ZDFneo (ab Sonntag, 25. Juni, 20.15 Uhr) zu sehen ist.

teleschau: Ihre letzten drei Formate "Der Schatten", die Netflix-Serie "1899" und der Berliner "Tatort: Das Opfer" spielten alle mit Mystery-Elementen. Zufall - oder ist das genau Ihr Ding?

Andreas Pietschmann: Zunächst mal ist es natürlich Zufall. Als Schauspieler interessiere ich mich unabhängig vom Genre dafür, Neuem zu begegnen, mich immer wieder neu zu erfinden. Ich versuche, mich nicht allzu sehr zu wiederholen und diese Stoffe und Rollen sind alle sehr unterschiedlich. Trotzdem habe ich tatsächlich ein Faible für mysteriöse Stoffe, denn es gefällt mir, wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer herausgefordert werden.

teleschau: Sie meinen, Mystery-Stoffe regen zum Denken an? Ist das nicht pures Genre und jedes Genre hat ja bekanntlich feste Abläufe und eben auch Klischees ...

Pietschmann: Wenn man das Genre Mystery so versteht, dass es verfilmte Rätsel sind, dass Spuren und Fährten gelegt werden, die man aufmerksam verfolgen muss, um der Lösung eines Geheimnisses nahezukommen, dann ist dies etwas, das mir gefällt. Natürlich kann man Rätsel auch in anderen Genres stellen und damit spielen. Ob da dann am Ende "Mystery" draufsteht oder nicht, ist vielleicht gar nicht so entscheidend.

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"Man muss damit leben oder lernen, damit zu leben"

teleschau: Haben Sie einen Lieblings-Mystery-Stoff?

Pietschmann: Ich bin kein Ranglisten-Typ, aber ich empfinde "Dark" schon als einen Meilenstein des Genres, und das sicher nicht deshalb, weil ich das Glück hatte, bei dieser Serie dabei sein zu dürfen. Die Serie entwickelt in ihrem Verlauf eine solche Wucht, dass sie für deutsche Stoffe und Serien weltweit Türen geöffnet hat.

teleschau: Auch in "1899", der Nachfolge-Serie der "Dark"-Macher, haben Sie eine Hauptrolle gespielt. Sie war als große internationale Serie geplant, wurde aber schnell nach einer Staffel abgesetzt. Warum war "Dark" erfolgreich und "1899" nicht?

Pietschmann: Das ist schwer zu ermessen, und die genauen Gründe kenne ich nicht. Ich denke schon, dass viele Leute "1899" gesehen haben. Wahrscheinlich mehr als zu Anfang "Dark". Aber die Erwartungen waren eben auch sehr hoch. "Dark" ist damals als die erste deutsche Netflix-Serie überhaupt gestartet. Da hatte man weniger Erwartungen und einen langen Atem, und "Dark" ist über die Jahre immer mehr zum Erfolg geworden.

teleschau: Wie enttäuschend ist es für Sie ganz persönlich, wenn man sich eine Serienfigur aneignet und plant, sie vielleicht über viele Jahre zu spielen - und dann wird überraschend der Stecker gezogen. Leiden Sie da richtig drunter?

Pietschmann: Natürlich war ich enttäuscht. Schön fühlt sich das nicht an. Ich liebe die Show, ihren Kosmos und die Figuren sehr. Aber ich bin auch dankbar, dass ich überhaupt ein Teil davon sein konnte. Das gehört eben auch zum Alltag, mit dem wir Schauspieler konfrontiert sind: dass Entscheidungen über unsere Rollen auf anderer Ebene gefällt werden. Dieser Beruf ist ohnehin eine Achterbahnfahrt. Man weiß nur leider nie, ob es gleich rauf oder wie lange es runter geht (lacht). Man muss damit leben oder lernen, damit zu leben. Manchmal bist Du oben und hast die Rollen, die Du gerne spielen willst. Und manchmal bist Du unten, vielleicht auch mal für längere Zeit, weil zwei, drei Sachen nicht zustande gekommen sind.

"Für uns Schauspieler sind einige Klettergerüste dazugekommen"

teleschau: Sie wollten früher mal Fußball-Profi werden - und standen kurz vor der Erfüllung dieses Traums. Auch im Fußballgeschäft, sagt man, kann es blitzschnell rauf und runter gehen kann. Ist die Schauspielerei vergleichbar?

Pietschmann: In dieser Hinsicht auf jeden Fall. Für beides muss man eine hohe Frustrationstoleranz und viel Ausdauer mitbringen. Ähnlich ist auch, dass Chancen manchmal sehr plötzlich und unerwartet kommen. Und dass man dann bereit sein muss, diese Chance zu ergreifen. Ich hätte "1899" natürlich gerne weitergemacht, auch weil in der Serie so viele Sprachen wie nirgendwo sonst gesprochen werden. Es war wie eine große Begegnung - in der Handlung auf dem Auswanderer-Schiff nach Amerika einerseits, aber auch zwischen uns Beteiligten im multinationalen Filmteam andererseits. Auch da gibt es eine Analogie zum Fußball. Nach einer Niederlage muss man möglichst schnell wieder aufstehen.

teleschau: Ist es ein großer Unterschied, ob man ein Angebot für eine Streaming-Serie erhält, die in der ganzen Welt geschaut wird oder eine Rolle spielt, die vielleicht nur in Deutschland gesehen wird?

Pietschmann: Am wichtigsten ist, egal, auf welcher Bühne sie dann präsentiert werden, dass das Projekt und die Rolle passen. Dass sie Dich herausfordern und Dir Gelegenheit bieten, zu lernen. Natürlich ist es dann schön, wenn möglichst viele Menschen unsere Arbeit sehen können. Auch im Ausland, denn dort wird man mitunter völlig anders wahrgenommen als zu Hause. Das macht schon einen Unterschied und kann eine Bereicherung sein und Deinen Kosmos erweitern. Über die internationalen Rollen gab es auch bei mir interessante Kontakte und Anfragen. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber auch da muss letztlich vieles günstig zusammenkommen, und es gehört auch Glück dazu. Haben die Leute aus der Branche, die einen gesehen haben, auch gerade eine Rolle anzubieten?

teleschau: Seit vor neun Jahren Netflix und danach andere Streamer den deutschen Markt betraten, hat sich für Schauspieler viel verändert. Es wird deutlich mehr produziert, die Kunstform Serie boomt, weshalb oft längere Erzählungen als früher gemacht werden. Goldene Zeiten für Ihre Branche?

Pietschmann: Grundsätzlich ist alles, was Sie sagen, ein Segen für die gesamte Filmbranche, nicht nur für uns Schauspielerinnen und Schauspieler. Der Markt ist größer geworden, es gibt dadurch mehr Arbeit für alle Filmschaffenden, das Angebot ist sehr viel umfangreicher. Ich denke, für die Zusehenden ist das ebenfalls toll, auch wenn ich natürlich weiß, dass es für viele mittlerweile schwer geworden ist, den Überblick zu behalten - weil es so viel zu gucken gibt. Der Spielplatz ist größer geworden, und für uns Schauspieler sind einige Klettergerüste dazugekommen.

"Der Trend zur Miniserie ist ein Zeitphänomen"

teleschau: Und das Fernsehen ist dadurch automatisch besser geworden?

Pietschmann: Nein, nicht automatisch, aber wahrscheinlich wirkt sich diese Entwicklung schon auch positiv auf die Qualität aus. Grundsätzlich ist es ja so: Konkurrenz belebt das Geschäft. Man will eine bessere Serie machen als der Anbieter von nebenan. "Dark" zum Beispiel wäre ohne Streamingdienst damals und vielleicht auch heute im normalen deutschen Fernsehen unmöglich gewesen. So einen langen Atem, so ein Risiko hätte sich niemand erlaubt. Und das ist auch bei anderen Projekten so.

teleschau: Auch die Produktpalette des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wird immer größer, wie ja auch Ihre neue Thriller-Mystery-Serie "Der Schatten" zeigt. Es gibt immer mehr Miniserien, also längere Erzählungen, die in den Mediatheken geschaut werden. Dazu kommen neue Genres und - wie hier - jüngere Stoffe ...

Pietschmann: Das stimmt. Alle beobachten das Geschehen. Man ist wacher, man lässt sich inspirieren. Manchmal führt es auch dazu, dass man mit einer neuen verrückten Idee nach draußen geht und so etwas wirklich Besonderes schafft. Es gab schon schlechtere Zeiten für TV-Kreative, denke ich.

teleschau: Aber: Was früher in 90 Minuten erzählt wurde, bekommt heute als Miniserie sechsmal 45 Minuten oder mehr. Sind längere Stücke auch automatisch besser?

Pietschmann: Nein. Ich mag die Formate der Serie und der Miniserie - sie bieten andere Möglichkeiten - aber die Länge hat mit der Qualität nichts zu tun. Ich glaube, dass der Trend zur Miniserie, also zu längeren abgeschlossenen Geschichten, ein Zeitphänomen ist. Es würde mich nicht wundern, wenn wir bald mal wieder einen Trend zu kürzeren Erzählstücken erleben. Aber, wie gesagt, wir Schauspielenden haben wenig Einfluss auf solche Entwicklungen. Letztendlich entstehen sie im Zusammenspiel der TV-Macher mit dem Publikum, das auf etwas anspringt - oder eben nicht.

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