Dennenesch Zoudé im Interview

"Wer international mitspielen will, muss divers produzieren"

07.02.2021 von SWYRL/Eric Leimann

Die erfolgreiche Familienserie "Tierärztin Dr. Mertens" geht überraschend zu Ende. Warum eigentlich? "Zoodirektorin" Dennenesch Zoudé über den Sonderfall Corona-Dreh im Tierpark sowie viel Nachholbedarf beim deutschen Fernsehen in Sachen "Diversity" und "Black Lives Matter".

Dennenesch Zoudé kam 1966 in Addis Abeba, Äthiopien, zur Welt. Mit zwei Jahren zog sie um nach Westberlin. Mitte der 90-er war die Ingenieurstochter aus gutem Haus eine der ersten schwarzen Schauspielerinnen, die regelmäßig in deutschen Fernsehproduktionen auftauchte. Zum Beispiel in der Surfer-Serie "Gegen den Wind". Bis heute hat es die ehemalige Partnerin von Roger Willemsen und des ebenfalls 2016 verstorbenen Regisseurs Carlo Rola geschafft, sich nicht auf schwarze Klischee-Rollen festlegen zu lassen. Bestes Beispiel: ihr aktueller Part als Leipziger Zoodirektorin in "Tierärztin Dr. Mertens" (neue Folgen ab Dienstag, 9. Februar, 20.15 Uhr, ARD), wo die 54-Jährige eine starke - und gut ausgebildete - Entscheiderin geben darf. Zoudé hält ihr persönliches Rollen-Privileg als schwarze deutsche Frau jedoch für eine Ausnahme. Der hiesigen Filmbranche wirft sie die Abbildung einer Gesellschaft vor, die so längst nicht mehr existiert.

teleschau: "Tierärztin Dr. Mertens" wird nach 15 Jahren eingestellt. Wissen Sie, warum?

Dennenesch Zoudé: Nein, da bin ich der falsche Ansprechpartner. Ich war gerne in den letzten beiden Staffeln dabei und ein bisschen Wehmut schwingt mit. Aber ich bin ein Mensch, der immer nach vorne schaut und freue mich somit auf neue und schöne Projekte.

teleschau: Sie haben die gesamte Staffel unter Corona-Bedingungen gedreht. Ist sie mit nur sechs Folgen deshalb kürzer ausgefallen?

Dennenesch Zoudé: Das Team war unglaublich gut vorbereitet. Die Regel, man sollte sich nicht auf mehr als anderthalb Meter näher kommen, fand ich damals ungemein schwierig. Es ist verblüffend, dass es trotzdem funktioniert hat und man es in den fertigen Folgen nicht sieht. Wenn meine Kollegen eng zusammen stehen, dann leben sie tatsächlich in einem Haushalt.

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"Wir haben diesmal nicht im Leipziger Zoo gedreht ..."

teleschau: Jede Produktion hat heute einen Corona-Beauftragten am Set. Wie machen die sich bemerkbar?

Dennenesch Zoudé: Sie achten zum Beispiel darauf, dass man sich nicht zu nahe kommt. Dann heißt es plötzlich während einer Probe: "Bitte Abstand halten". So etwas kann durchaus nerven. Aber natürlich weiß ich um die Wichtigkeit, die Corona-Auflagen umzusetzen. Tatsächlich ist es so, dass man sich relativ schnell an diese neuen Bedingungen gewöhnt. So wie im alltäglichen Leben auch.

teleschau: Wie sah das mit dem Zoo aus? Hatte der überhaupt geöffnet?

Dennenesch Zoudé: Wir haben diesmal nicht im Leipziger Zoo gedreht, sondern sind nach Magdeburg, Halle und Erfurt ausgewichen, sie haben sich sehr über unser Kommen gefreut. Dies hatte mit unterschiedlichen Auflagen zu tun, die in verschiedenen Zoos wegen Corona herrschen. Im Leipziger Zoo, wo normalerweise alles gedreht wird, durften Aufnahmen diesmal nur vor dem Eingangsportal entstehen.

teleschau: Warum, glauben Sie, war die Serie so erfolgreich?

Dennenesch Zoudé: Die Serie ist gut gemachtes Familienprogramm und Elisabeth Lanz hat sie als Protagonistin getragen. Man wollte einfach wissen, wie es mit Susanne Mertens, ihrer Patchwork-Familie und ihrer beruflichen Lebensaufgabe im Zoo weitergeht. Es ist der Blick durchs Schlüsselloch in eine fremde und nach kurzer Zeit dann doch vertraute Familienwelt. Eine Welt mit Problemen, Freuden und auch Katastrophen, die viele kennen. Ich denke, die Identifikation mit dem Leben jener Menschen, denen man zusieht, ist letztlich der Schlüssel zum Erfolg einer jeden guten Familienserie.

"Solidarität allein reicht nicht"

teleschau: Sie drehen seit Mitte der Neunziger. Unsere Gesellschaft hat sich seitdem stark verändert. Damals waren Deutsche mit dunkler Hautfarbe noch sehr selten vor der Kamera. Würden Sie sagen, dass es heute normal geworden ist?

Dennenesch Zoudé: Ich hatte gehofft, wir wären schon weiter. Na klar, damals hat man bei jeder schwarzen Rolle erklärt, warum diese Person schwarz ist. Das ist mittlerweile nicht mehr bei jeder Rolle so - aber immer noch zu oft, wie ich finde. Ich selbst hatte Glück, dass ich schon früh Ärztinnen, Anwältinnen oder Polizistinnen spielen durfte und nicht auf die Drogenabhängige oder Putzfrau reduziert wurde. Den meisten deutschen Schauspielern "of colour" ist es häufig nicht so ergangen.

teleschau: Woher kommt die Idee, dass man bei deutschen Rollen mit nicht-weißer Hautfarbe glaubt, erklären zu müssen, warum diese Charaktere nicht weiß sind?

Dennenesch Zoudé: Es kann nur mit einem nicht mehr zeitgemäßen Gesellschaftsbild zu tun haben. Oder mit der Tatsache, dass man glaubt, jene, für die man das Fernsehen macht, hätten dieses Gesellschaftsbild. Mittlerweile sind 25 Prozent der Deutschen "people of colour". Also Menschen, die nicht im klassischen Sinne weiß sind. Wir sehen diese 25 Prozent aber nicht im deutschen Fernsehen. Da hinkt das deutsche TV und auch das deutsche Kino wahnsinnig hinterher.

teleschau: Was müsste passieren?

Dennenesch Zoudé: Seit letztem Jahr werden all diese Fragen endlich viel intensiver diskutiert. Nicht nur die Hautfarbe, sondern alles, was mit Diversität zu tun hat: Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderung. Letztlich muss diese Diskussion, das Ansprechen jeglicher Diskriminierung, weitergehen. Wir müssen uns sensibilisieren und professionalisieren. Solidarität allein reicht nicht. Es überrascht mich, dass dieser Wirtschaftsfaktor, der eine immer größer werdende Zielgruppe betrifft, einfach links liegen gelassen wird.

"Deutsch ist meine Muttersprache - also gehöre ich hier her"

teleschau: Wie sehr verletzt sie dieses Thema ganz persönlich?

Dennenesch Zoudé: Für jeden Menschen ist es ein schreckliches Erlebnis, ausgegrenzt zu werden. Jeder hat diese Erfahrung in seinem Leben schon mal gemacht und sollte sich daran erinnern, wenn er selbst andere ausgrenzt. Ich bin Deutsche, auch wenn ich nicht hier geboren wurde. Deutsch ist meine Muttersprache - also gehöre ich hier her.

teleschau: Wie äußert sich Rassismus im Schauspielberuf? Einfach nur darin, dass man die Rollen nicht bekommt - oder gibt es auch andere Mechanismen?

Dennenesch Zoudé: Rassismus äußert sich hier so vielfältig wie sonst überall auch in der Gesellschaft. Da bilden Filmsets und Produktionen keine Ausnahme. Die schlimmste Form von Rassismus ist für einen Schauspieler jedoch immer die Ablehnung für eine Rolle. Schließlich geht es nicht nur ums wirtschaftliche Überleben, sondern auch darum, den Traum, den jeder Einzelne hat, leben zu dürfen: die Ausübung des Berufs. Rassismus zeigt sich auch in den sogenannten "verständnisvollen" Ablehnungen. Wenn es dann heißt: "Ich würde dich ja gern besetzen, aber dafür ist Deutschland noch nicht bereit." So etwas schmerzt besonders.

teleschau: Warum scheint es in Deutschland mittlerweile in bestimmten Bereichen egal zu sein, welche Hautfarbe, welches Aussehen man hat - und in anderen nicht?

Dennenesch Zoudé: Das ist eine gute Frage. Wahrscheinlich existieren einfach Lebensbereiche, da lässt sich die Realität weniger gut leugnen als im Fernsehen. Nehmen wir die Musikbranche. Da arbeiten so viele "people of colour", dass es absurd wäre so zu tun, als würden nur Weiße gute Musik machen. Umso schmerzhafter ist es, dass unser Fernsehen, wo ja das Leben an sich abgebildet wird, ein unnatürliches und rein weißes Leben in Deutschland zeichnet.

teleschau: Glauben Sie, dass sich im Zuge von "Black Lives Matter" und Diversitäts-Diskussion nun viel schneller etwas ändert?

Dennenesch Zoudé: Es muss sich viel schneller etwas ändern. Wir bleiben ja nicht bei den 25 Prozent stehen. Die Gesellschaft verändert sich rasant weiter. Wenn nicht das gesamte Leben in Deutschland abgebildet wird, schießt sich das Fernsehen ins Aus. Das ist, wie gesagt, auch ein großer wirtschaftlicher Faktor. Film- und Fernsehproduktionen werden immer internationaler. Auch, wer mit dem internationalen Markt konkurrieren will, muss divers produzieren. Insofern bleibt der Branche gar nichts anderes übrig, als sich zu verändern.

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