Tatort: Die Rache an der Welt - So. 09.10. - ARD: 20.20 Uhr

Der "Ausländer" - Freund oder Bedrohung?

04.10.2022 von SWYRL/Eric Leimann

In Göttingen werden Frauen sexuell belästigt, eine von ihnen stirbt. Der Krimi mit Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) erzählt von verdächtigen Männern mit "Migrationshintergrund" und macht es sich beim heiklen Thema erfreulicherweise nicht allzu einfach.

"Die Rache an der Welt", klimatisch ein Sommerfall für die Göttinger Ermittlerinnen Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Anaïs Schmitz (Florence Kasumba), hat Potenzial, für die ARD zum Shitstorm-Auslöser zu werden. Dies liegt am mutigen, weil immer wieder uneindeutig zweifelnden Plot, den einem die renommierten Filmemacher Daniel Nocke (Buch) und Stefan Krohmer (Regie) in diesem Fall inszenatorisch eher unaufgeregt servieren. Worum geht es? In der beschaulichen Studentenstadt Göttingen treibt ein Sexualstraftäter sein Unwesen. Der "Wikinger", wie er in der Presse genannt wird, lauert jungen Frauen an abgelegenen Ecken auf und zwingt sie zu sexuellen Handlungen. Bislang ließ der Täter seine Opfer am Leben, doch in einem kleinen Park wurde nun die Leiche von Studentin Mira gefunden. Ein Augenzeuge beschreibt den Täter als einen Mann mit migrantischer Herkunft - doch er scheint voreingenommen.

Über Gerichtsmediziner Nick Schmitz (Daniel Donskoy) gibt Charlotte Lindholm den Anstoß für eine "erweiterte Herkunftsanalyse" der DNA vom Tatort, was in diesem Fall rechtlich heikel ist. Bald führen die Ermittlungen Lindholm auch in ein Fußball-Camp, in dem Geflüchtete mit ihrem Trainer (Sascha Geršak) und anderen politisch engagierten Menschen an ihrem Eintrag im "Guinness-Buch der Rekorde" arbeiten. Sie wollen so lange am Stück kicken, wie es noch nie jemand zuvor getan hat. Das Camp ist eigentlich eine geschlossene, gut überwachte Community. Ist es trotzdem möglich, dass jemand von dort der Täter ist? Auch andere Menschen könnten mehr über Miras Tod wissen, als sie verraten. Studentin Jelena (Mala Emde), die Mitbewohnerin des Opfers, verhält sich irgendwie seltsam. Und was ist eigentlich aus Munir (Eidin Jalali) geworden - einem Geflüchteten, mit dem die Tote viel Zeit verbrachte - und der jetzt verschwunden ist?

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Eine Community mit wenig "Respekt"?

Das in seiner Karriere mit vielen Preise ausgezeichnete Kreativduo Daniel Nocke und Stefan Krohmer ("Neu in unserer Familie", "Eine fremde Tochter") steht eigentlich für einen anderen Filmstil als jenen, den man in diesem Charlotte Lindholm-Krimi zu sehen bekommt. Statt einer halb-dokumentarisch wirkenden, subtil ironischen Gesellschaftsbeobachtung kommt dieser "Tatort" erstaunlich normal und weitgehend humorfrei um die Ecke. Vielleicht hätte das Thema diesen Humor auch nicht hergegeben - oder der bekannte Krohmer/Nocke-Stil hätte es verwässert. Einziges typisches Krohmer/Nocke-Humor-Element im Film ist das maximal unspannende Mammut-Fußballspiel, bei dem sich junge Männer mit Migrationshintergrund schwerfällig langsam - wir befinden uns in der Spätphase des Rekordversuchs! - über den Platz schleppen.

Abgesehen von diesem verschmitzten Witz wirken Setting und Plot von "Die Rache an der Welt" maximal ernst, aber nicht übertrieben dramatisiert, was ebenso angenehm ist. Lindholm, für sie ist es das 20-Jahre-Jubiläum im "Tatort"-Dienst, und Schmitz machen einfach nur ihre Arbeit. Die jedoch ist von Begegnungen und Problemen der Frauen mit ihren Verdächtigen oder Befragten geprägt, die aus einer Community kommen, in der man der Polizei und vor allem weiblicher Polizei nicht allzu viel "Respekt" entgegenbringt. Auch dieser Satz ist natürlich eine Behauptung irgendwo zwischen beobachtbarer Wahrheit und Klischee. Und weil Daniel Nockes Drehbuch herrlich uneindeutig mit diesem Spektrum spielt, ist dieser unspektakuläre, aber gerade zwischen den Zeilen und Szenen ziemlich interessante "Tatort" auch ein gelungener.

Ein Jubiläum mit sechs Monaten Verspätung

Überhaupt die Vorurteile: Selbst, wenn es mit einem Zeugen losgeht, der offenbar etwas gegen "Ausländer" hat und einen von ihnen am Tatort gesehen haben will - die Komplexitätsstufe dieses Krimis wird schnell eine höhere. Wie positioniert sich die blonde und sehr "biodeutsche" Lindholm in diesem Fall? Gerade im Zusammenspiel mit ihrer schwarzen Partnerin? Welche Vorurteile - auch in Richtung "positiver Rassismus" - haben wir und wie beeinflussen sie die Ermittlungen in einem Kriminalfall. All diese Themen werden hier subtil mitverhandelt und machen Charlotte Lindholms "20-Jähriges", das allerdings nie als Jubiläumsfilm geplant war, zu einem vordergründig "normalen", aber doch irgendwie besonderen Krimi.

Übrigens: Der "Tatort: Lastrumer Mischung", mit dem Charlotte Lindholm eingeführt wurde, lief am 7. April 2002 im Ersten. Weil aber zwischen der durchgeknallten Udo Lindenberg-Weihnachtsfolge "Alles kommt zurück" und jetzt keine Gelegenheit bestand, das Jubiläum zu feiern, wird es jetzt mit diesem Film "nachgeholt". Kann man machen, muss man nicht machen. Jubiläen werden ohnehin überschätzt.

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