Wenn die Stille einkehrt - Do. 29.07. - ARTE: 22.00 Uhr

Dänische "Short Cuts" in Terrorzeiten

24.07.2021 von SWYRL/Eric Leimann

Die dänische Serie erzählt von acht Protagonisten, deren Leben durch einen Terroranschlag verbunden sind. Das brillant Menschen beobachtende Werk von knapp zehn Stunden Dauer gehört mit zum Besten, was man im Serienjahr 2021 zu sehen bekommt.

Zwei Maskierte betreten ein Restaurant in der Kopenhagener Innenstadt, ziehen ihre Waffen und eröffnen das Feuer. So beginnt die dänische Serie "Wenn die Stille einkehrt". Die Szenen des Massakers sind nur kurze Bildfragmente von der Zeitdauer eines Wimpernschlags. Keinesfalls zu lang sind hingegen die folgenden zehn Serienstunden der Autorinnen Dorte W. Høgh und Ida Maria Rydén ("Dicte"). "Wenn die Stille einkehrt" ist nämlich weder Thriller, Krimi oder ein Actionprodukt, sondern eine klassische Dramaserie. Erzählt wird an zwei linearen Fernsehabenden mit jeweils fünf Folgen (Fortsetzung am Donnerstag, 5. August, 21.50 Uhr, bereits seit 15. Juli komplett in der ARTE-Mediathek) von acht Menschen oder Familien, deren Leben von diesem Anschlag betroffen sind.

Da ist Koch Nikolaj (Peter Christoffersen), der sein Restaurant gerade neu eröffnet hat. Die neunjährige Marie (Viola Martinsen) lebt bei ihrer alleinerziehenden Mutter (Filippa Suenson). Die liberale Justizministerin Elisabeth (Karen-Lise Mynster) hadert mit der Entscheidung, ihrer Frau zuliebe die Politik aufzugeben. Dem jungen, sensiblen Migranten Jamal (Arian Kashef) will nichts so recht gelingen. Sängerin Lisa (Malin Crépin) hat sich gerade neu verliebt, und die obdachlose Ginger (Katinka Lærke Petersen) streift durch Kopenhagen auf der Suche nach Halt und einem besseren Leben. Beginnend neun Tage vor dem Anschlag erzählt die Serie von all diesen Menschen in verwobenen Erzählsträngen. Sie erinnern an Filme wie Robert Altmans "Short Cuts" oder auch "21 Gramm" des "The Revenent"-Regisseurs Alejandro González Iñárritu - wobei die dänische Serie in puncto subtile Spannung und Charakterzeichnung mit den cineastischen Meisterwerken durchaus mithalten kann.

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Der alte "Dänentrick" funktioniert mal wieder

"Wenn die Stille einkehrt" erinnert auch daran, warum man einst von dänischen Erzählungen wie "Kommissarin Lund" oder der Polit-Serie "Borgen" so begeistert war. Denn auch wenn die genannten Werke in einem Genre verortet waren, Krimi- und Polit-Serie, sie waren deshalb so außergewöhnlich gut, weil ihre Charaktere so akribisch-plastisch geschildert wurden, dass man ihr Leben als Zuschauer oder Zuschauerin wie das von echten Menschen begleitete. Man wurde quasi süchtig nach diesen "echten" Charakteren, wollte wissen, wie es mit ihnen weiterging. Genau so ist es nun auch in "Wenn die Stille einkehrt", auch wenn man der Serie aufgrund des recht großen Figuren-Ensembles mindestens zwei, besser drei Folgen Zeit geben sollte bis der Sucht-Haken sitzt.

Dass eine spannende Plot-Idee nichts schaden kann, kommt als Benefit hinzu. In jeder der knapp einstündigen Folgen wird einige Male für Sekundenbruchteile die verschachtelte Erzählung des dänischen Lebensensembles unterbrochen. Dann könnten kurze Szenen des Anschlags winzige Hinweise darauf liefern, welche Charaktere es eventuell im Restaurant schlimm getroffen haben könnte. Die Hinweise sind jedoch lange Zeit so vage, dass die Spannung der Folgen, die sich zunächst von neun Tagen vor dem Anschlag bis zum Abend der Katastrophe in der Zeitachse vorarbeiten, absolut gewahrt bleibt. Weil zudem alle Schauspieler - auch das ein alter "Dänentrick" - ihre Sache sehr gut machen und ihre Gesichter für deutsche Zuseher und Zuseherinnen angenehm unverbraucht wirken, kann man sich ihren Leben als Fan der brillanten Dramaserie umso leichter anschließen.

Im längst chronisch mit Neustarts überfüllten Serienjahr 2021 lief bislang nicht viel, was in Sachen Drama eine ähnliche Qualität und Wucht aufweist, wie das Werk der beiden etwa 50-jährigen Autorinnen Autorinnen Dorte W. Høgh und Ida Maria Rydén. Dass man für den Genuss von "Wenn die Stille einkehrt" noch nicht mal ein teures Streaming-Abo benötigt, sondern "nur" GEZ-Gebühren zahlen muss, soll hier auch nicht unerwähnt bleiben.

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