Glauben - Mi. 01.12. - VOX: 20.15 Uhr

Ein Justizskandal, der das Land erschütterte

29.11.2021 von SWYRL/Sven Hauberg

Die Serie "Glauben" erzählt intelligent und spannend von einem der größten Justizskandale der deutschen Geschichte. Mehrere Wochen nach Start beim Streamingangebot RTL+ nimmt nun VOX die Hochglanzserie ins Programm.

"Wahrheit ist nicht Mehrheit", sagt der Rechtsanwalt Schlesinger (Peter Kurth) gegen Ende der siebenteiligen Serie "Glauben". Schlesinger sagt das vor Gericht, in einem Prozess, der auf einem Skandal basiert, der die Bundesrepublik in den 90er-Jahren erschütterte. 25 Männer und Frauen aus Worms und Umgebung waren damals wegen Kindesmissbrauchs angeklagt, monatelang saßen sie in Untersuchungshaft, bis sich zeigte: Den Missbrauch hatte es nie gegeben, die Kinder hatten sich die grausamen Ereignisse nur ausgedacht. Geschehen konnte all das, weil die Beteiligten - Richter, Staatsanwälte, Polizisten - glaubten, was sie glauben wollten, und alles, was gegen ihre Vermutungen sprach, einfach nicht sahen.

Meinen statt Wissen, Empören statt Nachdenken, darum geht es in "Glauben". Die Serie, eine der spannendsten und besten deutschen Produktionen der letzten Zeit, ist nach dem Online-Start beim Streamingdienst RTL+ nun auch bei VOX zu sehen. Der Sender zeigt am Mittwoch, 1. Dezember, ab 20.15 Uhr vier Folgen am Stück, die drei letzten Folgen genau eine Woche später, gefolgt von der Dokumentation "Empörung. Der Skandal von Worms" (22.15 Uhr).

Hinter "Glauben" steckt der Autor und Jurist Ferdinand von Schirach, der die Drehbücher zu allen sieben Folgen verfasst hat. "Das Wesentliche dieser Verfahren war das Versagen aller gesellschaftlichen und rechtlichen Institutionen, der Presse und der Öffentlichkeit", sagt er über die Wormser Prozesse, die seiner Serie zugrunde liegen. "Die allgemeine Empörung, der ungebremste Hass und die furchtbare Hysterie damals ist den heutigen gesellschaftlichen Zuständen sehr ähnlich."

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Eine seltsame Konstruktion

Entsprechend hat er die Handlung in die Gegenwart verlegt, was durchaus Sinn macht. Ins Zentrum der Serie stellt von Schirach den erwähnten Rechtsanwalt Schlesinger, der im fiktiven Otten einen der Angeklagten verteidigt. Sein Mandant (Michael Pink) soll den Tätern seine Bar zur Verfügung gestellt haben, in deren Keller die schändlichen Taten laut Staatsanwalt Cordelis (Sebastian Urzendowsky) stattfanden.

Schlesinger hat nicht den Wissensvorsprung des Zuschauers, zweifelt also sehr lange am Unschuldsbekenntnis seines Mandanten. Dass der Anwalt aus Berlin den schmutzigen Fall in der fernen Provinz (gedreht wurde unter anderem im Eifel-Städtchen Monschau) überhaupt annimmt, erklärt die Serie mit einer reichlich gewagten Konstruktion. Anderthalb Folgen lang lernt man zunächst, dass Schlesinger einer der besten seines Fachs ist, nach dem Tod seiner Frau aber die Kontrolle übers eigene Leben verloren hat. Er hat Schulden, die die ominöse "Problemlöserin" Azra (Narges Rashidi) mit Gewalt bei ihm eintreibt. Irgendwann hat sie dann eine seltsame Bitte: Schlesinger soll den Angeklagten Barbesitzer verteidigen und somit aus der Haft holen, damit sie ihn etwas Wichtiges fragen kann.

Das ist natürlich eine ziemlich alberne Erklärung, aber erstens der einzige wirkliche Schwachpunkt dieser Serie, und außerdem ist Narges Rashidi als eiskalte Prügelbraut eine echte Schau. Star von "Glauben" ist aber freilich Peter Kurth ("Babylon Berlin") als körperlich heruntergekommener und dennoch ziemlich genialer Rechtsanwalt. Über alle Krimi-Klischees, die ihm das Drehbuch bisweilen vor die Füße, spielt Kurth souverän hinweg.

Schreckliche Pointe

"Glauben" lässt sich viel Zeit, diese Geschichte zu erzählen. Da ist auch mal Platz für einen minutenlangen Diskurs über die Rolle von Gutachtern und die schwierige Suche nach der Wahrheit vor Gericht. Am spannendsten ist die Serie sowieso immer dann, wenn es ums juristisch Eingemachte geht, vor allem gegen Ende, wenn Anwalt Schlesinger vor Gericht zu Höchstform aufläuft. Dann entlarvt er all die Fehler, die bei den Ermittlungen gemacht wurden.

Zwischendrin wird's immer wieder blutig, bisweilen schlüpfrig, wenn Narges Rashidi ohne wirklichen Grund ihre nackten Brüste in die Kamera halten muss. Vielleicht ja Ferdinand von Schirachs Zugeständnis an seine neue Heimat RTL. Zum Schluss dann die bitterböse Pointe: Während des Gerichtsprozesses, im fiktiven Otten so wie einst tatsächlich in Worms, wurden die Kinder, deren Eltern man in Haft gesteckt hatte, in fremde Obhut gegeben - wo einige von ihnen dann tatsächlich missbraucht wurden.

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