Tatort: Tödliche Flut - So. 24.01. - ARD: 20.15 Uhr

Eine Symphonie für Norderney

18.01.2021 von SWYRL/Eric Leimann

Falke (Wotan Wilke Möhring) und Grosz (Franziska Weisz) ermitteln auf der winterlichen Insel Norderney. Dazu spielt 40 Minuten lang das Orchester der NDR Radiophilharmonie. Die irritierenden Elemente passen gut zur Paranoia-Geschichte eines sich belauernden Ermittler-Trios.

Nun gut, nicht jeder ist Fan der etwas schlicht gestrickten Punkrock-Vergangenheit von "Tatort"-Ermittler Thorsten Falke, seines Zeichens Milchtrinker und seit dem Ermittler-Debüt 2013 mit dem Handyklingelton des Stones-Klassikers "Sympathy For The Devil" ausgestattet. In "Tödliche Flut" wird Falkes etwas inkohärente Backstory - nur wenige Punks landen im gehobenen Polizeidienst - wieder mal für einen Plot bemüht, diesmal aber recht stimmig: Investigativ-Journalistin Imke Leopold (Franziska Hartmann) meldet sich bei Ex-Liebhaber Falke, weil sie sich wegen kritischer Recherchen auf ihrer Heimatinsel Norderney bedroht fühlt. Imke, mit Antifa-Haartracht und groben Strickpullis unterwegs, hat bei Falke offenbar noch einen Stein im Brett. Doch Wirtschaftskriminalität - Imke vermutet einen Immobilienskandal - das sei dann doch nicht sein Metier, sagt Falke.

Als Imke wenig später in ihrem Haus auf der Nordseeinsel überfallen und gleichzeitig einer ihrer Kontaktleute ermordet wird, ändert dies die Lage. Falke und seine Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz) nehmen die Fähre nach Norderney und quartieren sich auf der winterlichen Ferieninsel ein.

Imkes Sorge, dass sie ebenfalls Opfer von in Bedrängnis geratenen dunklen Geschäftemacher werden könnte, scheint berechtigt. Falke und Grosz ziehen mehr oder weniger ins malerisch, aber einsam gelegene Haus der sensiblen Journalistin ein. Ihr Plan ist, sie zu beschützen. Nebenbei ermitteln sie unter den lokalen "Playern" der Nordseeinsel: dem Bürgermeister (Veit Stübner) und seinem Assistenten, einer wohlhabenden Immobilien-Investorin sowie einem kleinen Bauunternehmer (Oliver Bröcker), dessen Ehefrau (Katharina Behrens) etwas mit dem Mordopfer hatte. Neben der klassischen Ermittlungsarbeit passiert allerdings noch etwas anderes: Beim Trio Thorsten Falke, Julia Grosz und Imke Leopold scheint eine Person zu viel an Bord.

Während man sich vordergründig in Imkes Hexenhaus am Kaminfeuer und Tee mit Kluntjes wärmt, scheinen sich vor allem die beiden Frauen zu belauern. Neiden sie der "Nebenbuhlerin" die vermeintlich größere Nähe zu Falke - oder bildet man sich das als Zuschauer nur ein?

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Insel-Bashing und ein besonderer Soundtrack

Zwei Aspekte sind an diesem stimmungsvollen "Tatort" besonders: zum einen das winterliche Norderney und sein düster-melancholischer Look, der alles andere als klassische Ferienort-Werbung betreibt. Dazu kommt die ungewöhnliche Musik, die den Film über üppige 40 Score-Minuten untermalt. Die Komponisten Stefan Will ("Transit") und Peter Hinderthür schrieben einen ambitionierten Orchester-Soundtrack, der dem Film eine fast schon stummfilmhafte Dramatik verleiht. Weil die Komposition wie ein zusätzlicher, unsichtbarer Akteur in die Gefühlswelt des Zuschauers einzugreifen scheint, entfacht die Musik für einen Fernsehkrimi verblüffende Tiefenwirkung. Gegenüber sonstigen TV-Scores, die sich gerne mal wie eine Fertigsauce über den Film legen, scheinen diese Klänge dem Zuschauer Aufgaben zu stellen: Geht hier alles mit rechten Dingen zu? Welche Gefühle empfinden die Akteure zu jenen Worten, die da gerade ihren Mund verlassen? Bild, Wort und Musik sind wunderbar subtil aufeinander abgestimmt, zeigen aber auch mal wieder, wie manipulativ Musik jenseits der "verständlicheren" Dimensionen Bild und Wort wirkt

Der bislang eher unbekannte Drehbuchautor David Sandreuter ("Private Banking") und Regisseur Lars Henning ("Tatort: Der Turm") betonen übrigens, dass sie während ihrer Dreharbeiten auf Norderney im November und Dezember 2019 wunderbar von der Inselverwaltung unterstützt wurden, die sowohl in Umweltschutzfragen als auch bezüglich der Transparenz ihrer politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen absolut auf der "richtigen" Seite stehen würde. Man darf dies erwähnen, weil die Darstellung der knapp 5.800 Einwohner zählenden Ostfrieseninsel im "Tatort" nun nicht unbedingt so ist, als dass beim Tourismusverband die Sektkorken knallen dürften.

In früheren "Fällen" gab es da durchaus gehörigen Ärger. Der berühmteste ist Lena Odenthals "Tatort: Tod im Häcksler" von 1991. Weil im Klassiker von Regisseur Nico Hofmann ländliche Pfälzer als wütender Mob dargestellt wurden, musste Schauspielerin Ulrike Folkerts mit dem damaligen Wirtschaftsminister von Rheinland-Pfalz, Rainer Brüderle, durch die Pfalz "zwangswandern", quasi als Entschuldigung. Da die Ostfriesen als langjährige Protagonisten der nach ihnen benannten Witze ohnehin Kummer gewohnt sind, könnte Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz das Inselwandern eventuell erlassen werden.

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