Florian Stetter im Interview

"Einen Corona-Impfstoff sollte die Pharmaindustrie kostenlos rausgeben"

23.09.2020 von SWYRL/Eric Leimann

Der ZDF-Thriller "Kranke Geschäfte" beschäftigt sich kurz vor dem 30. Jahrestag der Deutschen Einheit mit Medikamententests, die westliche Pharmafirmen über Jahrzehnte in der "gut organisierten" DDR durchführen ließen. Die Parallelen zum Wettlauf um den Corona-Impfstoff liegen auf der Hand.

Der 30. Jahrestag der Deutschen Einheit, in dessen Umfeld der ZDF-Thriller "Kranke Geschäfte" (Montag, 28.09., 20.15 Uhr; am Freitag, 25.09. bei ARTE) läuft, scheint trotz des runden Jubiläums kein reiner Tag der Freude zu sein. Zumindest nicht in der medialen Reflexion. Serien und Filme beleuchten derzeit eher "dunkle Ecken" der deutsch-deutschen Geschichte, so wie dieser medizingeschichtliche Thriller, in dem der 43-jährige Florian Stetter ("Die geliebte Schwestern") einen linientreuen Stasi-Offizier spielt. In den späteren 80-ern bekommt er Wind davon, dass seine MS-kranke Tochter am Klinikum in Karl-Marx-Stadt - unter Geheimhaltung - mit neuartigen Medikamenten aus dem Westen behandelt wird. Die ziemlich umfangreichen Medikamententests von West-Pharmaka an Ostbürgern gab es wirklich. Wussten die Menschen in der DDR, dass sie Testpersonen waren? Und ging man vonseiten der westlichen Pharmaindustrie ebenso pfleglich mit der Ost-Klientel um, wie mit Probanden aus dem demokratischen Teil Europas? Schon bald, wenn sich immer mehr Corona-Impfstoffe in der Massentestphase befinden, dürften sich ähnliche Fragen stellen.

teleschau: In Russland wird ein kaum getesteter Corona-Impfstoff gespritzt. Fühlten Sie sich bei dieser Meldung an die Thematik Ihres Films erinnert?

Florian Stetter: Ja, ich musste sofort daran denken. Die Gefahr ist systembedingt - im Film wie auch in der Realität. Menschen, die arm sind, Staaten, die auf Geld und Hilfe angewiesen sind, werden schneller bereit sein, eventuell gefährliche Medikamente für Massentests zuzulassen.

teleschau: Es ist bekannt, dass ein Wettlauf um den Corona-Impfstoff im Gange ist. Fürchten Sie, dass die Versuchung, risikoreiche Impfstoffe auf den Markt zu werfen, groß ist?

Stetter: Ich bin kein Fachmann, aber man kann sich vorstellen, dass es so ist. Gerade deshalb müssen wir uns anstrengen, nicht vom korrekten Pfad abzuweichen. Jetzt, wo alle auf diesen Impfstoff warten, haben Pharmaindustrie und Politik eine außergewöhnliche Verantwortung. Die ganze Menschheit braucht diesen Impfstoff. Es ist das größte Geschäft der Gegenwart. Die große Aufgabe besteht darin, diese Situation nicht auszunutzen.

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DDR-Probanden nicht immer korrekt informiert?

teleschau: Wo liegen die Parallelen zu Ihrem Film "Kranke Geschäfte"?

Stetter: Die DDR war damals bankrott und das medizinische System angeschlagen. Im reichen Westen hatte man besseres Gerät und modernere Medikamente. Also nahm der Osten Geld von westlichen Pharmafirmen, um in der DDR Studien durchzuführen. So ähnlich könnte es jetzt auch laufen - dass die Ärmeren testen. Nur die Tatsache, dass es beim Corona-Impfstoff eben besonders schnell gehen muss und ein solches Auslagern zeitlich gar nicht mehr möglich erscheint, könnte diesen Mechanismus eventuell eindämmen.

teleschau: Die Medikamenten-Tests in der DDR wurden von einer Kommission von Medizin-Historikern untersucht - mit dem Ergebnis, dass man keine schwerwiegenden ethischen Verstöße feststellen konnte. Die Probanden waren in der Regel informiert. Dramatisiert der Film über Gebühr?

Stetter: Soweit ich weiß wurden die DDR-Probanden nicht immer korrekt darüber informiert, dass sie an einer Doppelblind-Studie teilnahmen. Viele dachten eben, sie bekämen ein hilfreiches Medikament. Aber die Sache hatte natürlich auch ihr Gutes. Tatsächlich waren in DDR-Krankenhäusern plötzlich moderne MRT-Geräte aus dem Westen verfügbar, die Teil eines Gegengeschäftes waren. Der Journalist Carsten Opitz hat unseren Film beraten, er hatte sich vor Jahren bereits in einer Fernseh-Dokumentation mit den Medikamenten-Tests in der DDR beschäftigt. Seine Recherchen ergaben, dass bei weitem nicht alle DDR-Patienten wussten, dass sie als Testpersonen für die westliche Pharmaindustrie eingesetzt wurden.

teleschau: Es war also tatsächlich leichter, in der DDR Testpersonen zu finden ...

Stetter: Ja, auf jeden Fall. Im Westen herrschte seit den 60er-Jahren eine große Skepsis gegenüber neuen Medikamenten. Die Contergan-Katastrophe der frühen 60-er war sicherlich ein Motor dieser Vorbehalte. In der DDR war alles einfacher. Der Staat hat bestimmt, der Bürger wurde nicht gefragt. Die westliche Pharma-Industrie ist für ihre Tests gerne zusätzlich in Staaten gegangen, die zentralistisch oder auch autoritär regiert wurden. So hat man in kurzer Zeit viele weitere Daten gewonnen. Die früheren DDR-Chefärzte wurden also angewiesen, diese Studien durchzuführen. Sie konnten sich meist nicht dagegen entscheiden, ohne beruflich dafür einzubüßen.

"Human wäre es, wenn niemand mit einem Corona-Impfstoff Geld verdienen würde"

teleschau: Ruft die Verbindung von schweren Erkrankungen und der Möglichkeit, mit Medikamenten dagegen Geld zu verdienen, das Schlechteste im Menschen hervor?

Stetter: Überall, wo sehr viel Geld verdient werden kann, wird die Ethik des Menschen zu korrumpieren versucht. Gerade jetzt wird die Gier, den einen Impfstoff für alle anzubieten, gewaltig sein. Entsprechend groß ist die Versuchung, mit Tricks zu arbeiten, um gegenüber der Konkurrenz im Vorteil zu sein. Die Situation ist zutiefst verstörend, finde ich. Human wäre es, wenn niemand mit einem Corona-Impfstoff Geld verdienen würde. Einen Corona-Impfstoff sollte die Pharmaindustrie - nach Erstattung der Entwicklungskosten - kostenlos rausgeben.

teleschau: Ihre Filmfigur zeigt die Wandlung eines linientreuen Stasi-Offiziers, der wegen des Schicksals der eigenen Tochter plötzlich West-Medikamente haben will und dafür sein privilegiertes Leben aufs Spiel setzt ...

Stetter: Exakt in dieser Wandlung lag der Reiz der Rolle. Es ist die Geschichte eines sehr festen, rationalen Charakters, der Angst, Trauer und Kontrollverlust in sein Leben hineinlässt. Das ist ein sehr archaischer Prozess in einem System, das dieses Urmenschliche - per überlegenem politischen System - ausgemerzt glaubte. Zumindest in der Theorie (lacht). Das Thema der Medikamententests, der Deals zwischen den politischen Systemgegnern, wird im Film aus vielen Perspektiven beleuchtet. Deshalb fand ich den Stoff auch sehr interessant.

teleschau: "Kranke Geschäfte" ist vor der Corona-Pandemie entstanden. Wie haben Sie als Schauspieler den Lockdown im Frühjahr überlebt?

Stetter: Es war eine schwierige Zeit. Ich drehe nun erst seit einigen Wochen wieder, davor gab es eine lange Durststrecke. Es ist alles ein wenig anders am Set. Es gibt einen Corona-Beauftragten, eine Fachkraft, die sich um die Einhaltung der Hygienebestimmungen kümmert. Das erfordert Geduld, aber es ist notwendig, weil jeder will, dass es weitergeht. Außerdem erlebe ich, wie alle am Set zu einer Achtsamkeit beitragen wollen, die erreicht, dass wir die Sache weiterhin im Griff haben.

teleschau: Wie sieht das neue Corona-Drehen aus?

Stetter: Es werden Masken getragen, Abstände eingehalten - ganz normale Dinge, die auch anderswo gelten. Vor allem für die Gewerke Kostüm und Maske ist der Job anstrengender geworden, weil sie den Schauspielern eben sehr nahe kommen. Sie müssen sich ständig neue Handschuhe und Kittel anziehen. Das zerrt schon auch an den Nerven. Und doch sind wir alle froh, dass wir arbeiten können. Ich erlebe derzeit eine große Besonnenheit unter den Filmschaffenden, ein starkes Verantwortungsgefühl. Das macht Hoffnung.

"Sowie die Räder stillstehen, merkt man, dass mit diesem Leben etwas nicht stimmt"

teleschau: Sie haben wirtschaftliche Schwierigkeiten aufgrund des Lockdowns angedeutet. Wie viele Schauspieler waren und sind davon betroffen?

Stetter: Ich kenne keine Statistik, aber ich denke, eine große Mehrheit meiner Kolleginnen und Kollegen ist sehr stark davon betroffen. Wir konnten über Monate nicht arbeiten und einen Hilfefond gab und gibt es nicht für uns. Da ging es für die meisten an die Ersparnisse. Arbeitslosengeld steht uns ja zumeist nicht zu. Zum Glück tat sich dann bei mir wieder Arbeit auf, aber es war knapp, das Säckel war fast leer.

teleschau: Wie haben Sie diese Zeit psychisch durchgestanden?

Stetter: Grundsätzlich gut. Der Lockdown hat mich mit noch einmal näher mit meinen Kindern zusammengebracht. Wir haben diese Zeit viel auf dem Land verbracht. Dort haben wir Unterricht im Freien gemacht, das war eigentlich sehr schön. Man beschäftigt sich mit sehr existenziellen Dingen in einer solchen Krise. Ich frage mich seitdem jeden Tag, wie ich meine Zeit verbringe und ob ich heute etwas Sinnvolles, Erfüllendes getan habe. Es entstand eine Art von Klarheit, die mich interessanterweise auch immer stärker in die Natur geführt hat.

teleschau: Half Ihnen die Natur, Gedanken und Gefühle zu ordnen?

Stetter: Ja, so kann man es sagen. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man einen Lockdown mitten in der Stadt, in einer Wohnung verbringt oder ob man sich in der Natur befindet. Ich habe während dieser Zeit bemerkt, dass die Stadt eigentlich kein gesunder Lebensraum für mich ist. Wenn das Räderwerk läuft, ist es dort okay. Aber sowie die Räder stillstehen, merkt man, dass mit diesem Leben etwas nicht stimmt.

teleschau: Was haben Sie darüber hinaus aus diesen Monaten mitgenommen?

Stetter: Dass man sehr schnell in existenzielle Krisen geraten kann und das Leben sehr brüchig ist. Die Existenzkrise war das eigentlich Bedrohliche. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben an einem Punkt, an dem ich nicht mehr wusste, wie ich mich und meine Familie ernähren soll. Also - wenn das mit dem Lockdown weitergegangen wäre. Es ist auf jeden Fall schlimm, wenn man seinen Beruf von einem Tag auf den anderen nicht mehr ausüben kann, weil sich die Umstände auf der Welt geändert haben. So etwas ist ein Schock - und es macht demütig.

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