Tobias Moretti im Interview

"Es ist uns Menschen nicht vergönnt, unsere Festplatte zu löschen"

04.09.2021 von SWYRL/Eric Leimann

Der ZDF-Zweiteiler "Im Netz der Camorra" zeigt Tobias Moretti als tragischen Helden, den seine Mafia-Vergangenheit einzuholen droht. Was fasziniert die Menschen eigentlich an solchen Stoffen?

Der Zweiteiler "Im Netz der Camorra" (Montag, 6., und Dienstag, 7. September, jeweils 20.15 Uhr, ZDF) hat für den österreichischen Star-Schauspieler Tobias Moretti durchaus etwas mit der eigenen Existenz zu tun. Nicht, weil eine Mafia-Geschichte erzählt wird - ein Mann droht von seiner Vergangenheit eingeholt zu werden -, sondern aus anderen Gründen: Im wahren Leben betreibt Moretti eine Landwirtschaft, im Film ist es ein Weingut. Ebenso "real" ist Antonia Moretti als Filmtochter. Der älteste Spross des 62-jährigen Schauspielers verkörpert in der dunklen Familiensaga die Tochter des Winzers. Im Interview erklärt Tobias Moretti, wie eng das Prinzip Schuld mit der Mafia verknüpft ist und weshalb derlei Stoffe das Publikum immer noch in ihren Bann ziehen.

teleschau: Herr Moretti, wo liegt denn dieses wunderschöne Weingut, auf dem Sie gedreht haben?

Tobias Moretti: Das ist das Weingut Manincor der Grafen Enzenberg. Ein erlesenes, wunderbar gelegenes Weingut in Südtirol, das von sehr besonderen Winzern und Menschen geführt wird.

teleschau: Die Szenen rund um Weinanbau und Verarbeitung nehmen - für einen Krimi oder Thriller - sehr viel Raum ein. Warum eigentlich?

Moretti: Weil es um die Gegenüberstellung von zwei Leben geht, die aber zu ein und demselben Mann gehören. Wir beginnen mit dem Ist-Zustand: einem Winzer, dessen Leben sehr von seinem Beruf, seiner Passion für den Wein und die Familie erfüllt ist. Deshalb zeigen wir dieses Leben auch detailliert. Doch auf der anderen Seite dieses Menschen gibt es diese Schuld, die aus einem früheren Leben stammt. Eine Schuld, die scheinbar nichts mit der Gegenwart zu tun hat. Wir erzählen eine sehr archaische Geschichte. Was diesen Matteo innerlich zerreißt, erinnert vielleicht an manche deutsche Nachkriegs-Biografien, wo man auch mitunter fassungslos vor scheinbar zwei unvereinbaren Persönlichkeiten zu stehen scheint, die aber zum selben Menschen gehören. Da gab es die schuldhafte Biografie im Dritten Reich und die danach.

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"Schuld und Mafia stehen für Dinge, denen man nicht entkommen kann"

teleschau: Sie spielen einen Menschen, der sein berufliches und privates Glück gefunden hat. Solange, bis Einflüsse von außen es zu zerstören scheinen ...

Moretti: Einflüsse von außen, die aber ihren Ursprung eben in dem haben, was Matteo einmal war und getan hat. Es ist eine interessante Konstellation, weil das Glück quasi von außen nach innen zerstört wird. Normalerweise ist es im modernen Drama üblich, dass die Dinge von innen nach außen kaputtgehen. Aufgrund der Psychologie, die in und zwischen den Menschen wirkt. Hier jedoch treffen wir auf einen Mann, der sich auf dem Höhepunkt seines Lebens befindet: ein erfolgreiches Weingut, die große Liebe zu seiner Frau, eine wunderbare Tochter. Und dann beginnt das Zerstörungswerk als Einbruch der Vergangenheit in die Gegenwart.

teleschau: Glauben Sie, dass man eine alte Schuld erfolgreich verdrängen oder sogar auflösen kann, sodass sie keine Rolle mehr in dem neuen Leben spielt, das man sich aufgebaut hat?

Moretti: Bei verdrängter Schuld liegt nahe, dass sie immer wieder aus dem Unterbewusstsein hochschießen kann. Verarbeitete Schuld hört sich besser an, aber wie sehr sie im aktuellen Leben ein Thema bleibt, ist sicher je nach Persönlichkeit und Sachlage unterschiedlich. Es ist uns Menschen, glaube ich, nicht vergönnt, gewissermaßen unsere Festplatte zu löschen und unser Leben komplett neu zu starten. Grundsätzlich stehen Begriffe wie Schuld und Mafia für Dinge, denen man nicht entkommen kann. Wenn man sich einmal damit eingelassen hat, wird einen das ein Leben lang begleiten.

teleschau: Wie geht Ihr Charakter mit Schuld um?

Moretti: Erst blendet er sie aus, dann setzt er sich mit ihr still und in sich eingekapselt auseinander. Schließlich wird es zum Überlebenskampf. Da gilt es nur noch, das zu schützen, was einem am liebsten ist: die eigene Familie und das Leben derer, die man liebt. Am Ende steht die Frage, wie man nach all diesen Ereignissen überhaupt zusammen weiterleben kann. Das ist eine Frage, die in klassischen Thrillern oft zu kurz kommt. Dabei ist das noch einmal eine eigene Geschichte.

"Ich vermenge Privates und Berufliches nicht"

teleschau: Mafia-Geschichten faszinieren die Zuschauer seit langer Zeit, dabei ist die Mafia doch eigentlich etwas sehr Altertümliches. Warum wollen moderne Menschen solche Geschichten erzählt bekommen?

Moretti: Der Ursprung der Mafia im 19. Jahrhundert hatte auch anarchistische Züge. Sie hatte den Anschein einer Parallelgesellschaft zu einer Hierarchie, in der Großgrundbesitz und Leibeigenschaft herrschten. Es schien ein Ausweg aus der herrschenden Gesellschaftsstruktur zu sein, sich dem "Prinzip" Mafia unterzuordnen. Aber natürlich entstanden hier eben auch unentrinnbare Abhängigkeiten und Machtstrukturen. Die meisten Menschen wollen zu einer Gruppe gehören, die ihnen Strukturen, und einen gewissen Wert gibt. So lautet das Versprechen der Mafia. Sie ist ein sehr altes Beispiel für eine solche Schutz- und Zugehörigkeitsgruppe. Mittlerweile gibt es viel modernere, die aber ähnlich funktionieren.

teleschau: Ist Armut das Grundnahrungsmittel der Mafia?

Moretti: So war es früher. Heute geht es außerdem noch um die Aufteilung der Ressourcen dieser Welt - und es geht natürlich um Macht.

teleschau: In "Das Netz der Camorra" haben Sie zum ersten Mal mit Ihrer Tochter Antonia gespielt, die auch im Film Ihre Tochter spielt. Wie kam das?

Moretti: Unser Kameramann hatte mit Antonia zuvor einen Film gedreht. Er hatte sie unserem Regisseur Andreas Prochaska empfohlen, aber eigentlich war diese Tochter im Drehbuch etwas jünger - 14 oder 15 Jahre alt. Andreas Prochaska hat mich gefragt, wie ich dazu stehe, aber ich hatte keine Meinung dazu. Ich vermenge Privates und Berufliches nicht.

"Ich war auch beeindruckt davon, was sie schon kann"

teleschau: War es eine besondere Erfahrung, mit dem eigenen Kind zu spielen?

Moretti: Wir haben das beide komplett ausgeblendet. Gleich von der ersten Szene an, die wir zusammen gedreht haben, war sie einfach eine Kollegin. Aber ich war auch beeindruckt davon, was sie schon kann.

teleschau: Hat Sie denn davor schon viel gedreht?

Moretti: Sie ist jetzt 23 Jahre alt und studiert eigentlich Physiomedizin, was sie auch abschließen will. Ob sie tatsächlich hauptberuflich ins Schauspiel rein will, weiß ich gar nicht. Ich mische mich da nicht ein (lacht).

teleschau: Sie haben noch zwei weitere, jüngere Kinder. Gehen die beruflich auch in die kreative Richtung?

Moretti: Mein Sohn studiert in der Tat Schauspiel in Frankfurt. Und dann haben wir ja noch die kleine, zehnjährige Tochter. Sie ist wach und neugierig in alle Richtungen. Mal schauen, wohin es einmal gehen wird.

teleschau: Freuen Sie sich, wenn Ihre Kinder in Richtung Schauspiel gehen oder überwiegen die Sorgen, ob sie in diesem Job glücklich werden?

Moretti: Ach, das weiß ich gar nicht. Jeder Mensch muss das machen, was ihm Freude bereitet und Erfüllung bringen könnte. Man kann nicht ein Leben lang einen Beruf machen, den einem die Eltern verschrieben haben, mit dem man aber selbst nicht viel anfangen kann. Um gut in etwas zu sein, muss auf jeden Fall Leidenschaft in einem brennen.

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