Schauspielerin Nina Kunzendorf im Interview

"Frauen stehen zu selten im Zentrum"

08.11.2020 von SWYRL/Maximilian Haase

Persönlich schaut sie selten deutsches TV - trägt mit außergewöhnlichen Rollen aber dazu bei, es zu verbessern: Schauspielerin Nina Kunzendorf über ihren ZDF-Zweiteiler "Altes Land", Frauen im Film und die Zukunft des hiesigen Fernsehens.

Ja, noch immer werde sie von Fans auf ihre Rolle der "Tatort"-Kommissarin angesprochen - obwohl ihr Ausstieg nun schon fünf Jahre zurückliegt. Nein, genervt sei sie davon nicht. Es sei besser, "im richtigen Moment von der Party gegangen zu sein", sagt Nina Kunzendorf. Den richtigen Moment scheint die 49-jährige Schauspielerin auch mit Blick auf die gesellschaftliche Relevanz ihrer Formate abzupassen: In der ARD-Dystopie "Ökozid" (Mittwoch, 18. November, 20.15 Uhr) gibt sie eine Anwältin, die vor Gericht das Scheitern der Bundesrepublik in Sachen Klimawandel anprangert; im ZDF-Zweiteiler "Altes Land" (Sonntag, 15. und Montag, 16. November, jeweils 20.15 Uhr) eine Frau, die das Flucht-Trauma ihrer Familie mit sich herumschleppt. Noch immer, sagt die gebürtige Mannheimerin, sei die weibliche Perspektive jedoch eine Besonderheit. Wie ihr neues ZDF-Drama derlei alte Muster nun zu durchbrechen sucht, weshalb sie die Sehnsucht nach dem Landleben gut kennt und auf welche Weise das deutsche Fernsehen zukunftsfähig bleiben kann, erklärt Nina Kunzendorf im Interview.

teleschau: Ihr aktueller Zweiteiler "Altes Land" hat "keinen Plot im üblichen Sinne", wie Regisseurin Sherry Hormann sagt. Wie würden Sie die Romanadaption beschreiben?

Nina Kunzendorf: Es ist wie ein sehr großer und bunt gewebter Teppich - aus unterschiedlichen Figuren und Zeiten. Alles zusammen ergibt ein großes Bild, und das ohne klassischen Plot und ohne ermüdende Dramaturgie von Gut und Böse. Lässt man sich drauf ein, erfährt man viel über Familie, Herkunft und die Frage, wer man ist und wo man hingehört. Das Gefühl, Teil eines Puzzles zu sein, deckte sich durchaus mit meinen Dreherfahrungen.

teleschau: War es für Sie schwierig, den Überblick zu behalten?

Kunzendorf: Als Schauspielerin ist man ohnehin Teil eines Puzzles, das sich erst später zusammensetzt. Die Zuschauer haben das Gefühl, dass alle mit allen zu tun haben, dabei ist dem nicht so. Ob ich nun "Charité" oder "Altes Land" drehe - es gibt sehr viele Kollegen, die mitspielen, denen ich aber am Set nie begegne.

teleschau: Das Vertrauen in Regie und Buch muss also groß sein, oder?

Kunzendorf: Gerade weil ich mit Autorin und Regisseurin Sherry Hormann bereits zuvor gearbeitet hatte und das eine ganz wunderbare Erfahrung war, lag mir das Projekt sehr am Herzen. Da gibt es ein Vertrauen und eine Kenntnis voneinander und das ist der beste Nährboden für angstfreies Arbeiten. Das ist echt Gold wert. "Altes Land" war eine ganz besondere Reise für mich, gerade auch in der Zusammenarbeit mit Sherry Hormann. Wir sind nochmal neue und andere Wege miteinander gegangen. Die Rolle ist sehr eigen und das Format ist es auch.

teleschau: Auch, weil der Stoff auf so unterschiedliche Weise rezipiert werden kann?

Kunzendorf: Ja, man kann es als historische Geschichte lesen, aber auch als hochaktuelle Flüchtlingsgeschichte, die sich um Heimatlosigkeit und Vertriebenwerden dreht. Sehr interessiert hat mich auch die Frage nach der Familie: Wer darin welche Rolle übernimmt, und wie sehr Familie von Missverständnissen, Egozentrik und Misskommunikation geprägt sein kann.

teleschau: Zudem wird die Geschichte in erster Linie aus weiblicher Perspektive, aus Sicht mehrerer Frauen erzählt. Ist das noch immer eine Besonderheit?

Kunzendorf: Ja, ich glaube, es ist noch etwas Besonderes - was wiederum etwas traurig scheint. Die Perspektive liefert natürlich vor allem die Romanvorlage von Dörte Hansen. Sie zeigt, dass Frauen - insbesondere in den Kriegszeiten - den Laden schmissen und gezwungenermaßen zu unfassbaren Kräften kamen. Aber auch, dass die Frauen aller Generationen auf die ein oder andere Weise versehrt sind. Alle Figuren haben große Defizite und große Schäden abgekommen.

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"Ich bin ein Stadtmensch"

teleschau: Bekommt diese weibliche Erfahrung allgemein zu wenig Raum?

Kunzendorf: Frauen stehen zu selten im Zentrum. Wobei ich auch kein Freund von Themenfilmen - etwa Frauen- oder Männerfilmen - bin. Im besten Fall bildet Film eine Gesellschaft ab. Das geht über die Geschlechterfrage hinaus: Die meisten Figuren im deutschen Fernsehen sind weiß und gut situiert. Die Diversität im Film fehlt mir - ohne, dass gleich immer Themenschwerpunkte gesetzt werden. Als ich mit Anke Engelke, ebenfalls unter Regie von Sherry Hormann, "Tödliche Geheimnisse" drehte, war uns auch sofort klar, dass wir keinen Film drehen wollen, in dem das Lesbischsein der beiden Frauen im Mittelpunkt steht. In meinem Leben gibt es Schwule, Lesben, Schwarze, Weiße, Menschen mit Behinderung, Kleine, Große, Dünne, Dicke - und das sollte sich auch im Film abbilden, ohne dass es gleich beispielsweise ein "Behindertenfilm" oder "Schwulenfilm" ist.

teleschau: Eine weitere gesellschaftliche Dimension, die "Altes Land" aufwirft, ist der unterschiedliche Blick auf das Landleben - einerseits als harte Realität, zum anderen als romantisierte Sehnsucht von Städtern. Wie würden Sie Ihr persönliches Verhältnis zum Land beschreiben?

Kunzendorf: Ich verstehe diese Sehnsucht total, ebenso den verführerischen Drang, so ein Landleben zu romantisieren. Ähnliche Vorstellungen von einem Bilderbuchleben habe ich auch - selbst wenn man schnell eines Besseren belehrt wird. Ich lebte allerdings drei Jahre auf dem Land in Oberbayern, das habe ich sehr genossen. Da machte ich gar keine schlechten Erfahrungen, das fand ich sogar schöner als München. Dennoch würde ich das Stadtleben ungern aufgeben wollen, ich bin ein Stadtmensch.

teleschau: Während des Corona-Lockdowns träumten viele davon, sich einsam aufs Land zurückzuziehen. Gab es das bei Ihnen auch?

Kunzendorf: Naja, ich habe zwei schulpflichtige Kinder (lacht). Die dürfen ja zum Glück wieder in die Schule gehen. Ich kam gar nicht drumherum, in der Stadt zu sein, auch weil ich ja arbeitete. Trotzdem versuchte ich, viel draußen zu sein. In Berlin hat man es gar nicht so auf dem Zettel, dass das Umland auch traumhaft schön ist. Und in der Stadt ist eben alles enger, kleiner, gedrängter.

teleschau: Überstanden Sie die vergangenen Monate dennoch gut?

Kunzendorf: Ich bin sehr geschmeidig durchgekommen. Zwar sind ein paar Lesungen weggefallen, und ich habe weniger gearbeitet als ich es unter normalen Umständen getan hätte. Aber ich darf wirklich nicht meckern. Clubbesitzer beispielsweise und Gastronomen und viele Kollegen und Kolleginnen sind diejenigen, die schlimm dran sind. Ich bin vergleichsweise echt privilegiert - auch grundsätzlich: Ich bin weiß, lebe in Deutschland. Für mich war das eine etwas anstrengende Zeit, aber weit entfernt von Katastrophe. Dass sich inzwischen alles wie Mehltau aufs Gemüt legt, liegt nicht nur an der Pandemie.

teleschau: Sondern?

Kunzendorf: Das ist ein grundsätzliches Gefühl, wenn ich mir die weltpolitische Lage anschaue. Vom Abtreibungsverbot in Polen bis zum Klimawandel, bei dem alles mit allem zusammenhängt. Da verdunkelt sich meine Seele manchmal.

teleschau: Sind Sie daher bewusst auf der Suche nach Stoffen wie der Klimawandel-Dystopie "Ökozid"?

Kunzendorf: Ja, obwohl "Suche" in meiner Position immer ein bisschen schwierig ist. Ich bin darauf angewiesen, dass Menschen mich im Sinn haben, wenn sie Drehbücher schreiben oder Filme besetzen. Aktiv und absichtsvoll bin ich durch meine Auswahl - auch wenn ich nicht davor gefeit bin, Kompromisse machen zu müssen. "Ökozid" war kein Kompromiss. Da klappte ich das Drehbuch zu und rief bei der Agentur an: "Sofort zusagen - ich mach auch Catering!" (lacht). Insofern bin ich sehr froh, bei Produktionen teilhaben zu können, die Sinn machen und sich mit relevanten Dingen beschäftigen. Das muss nicht einmal immer hochpolitisch sein.

"Ich schaue nicht viel deutsches Fernsehen"

teleschau: Ihre Figur sagt an einer Stelle im Film "Altes Land": "Noch so ein Krimi, den die Welt nicht braucht". Könnte man das auch als Seitenhieb auf die Menge an Krimis verstehen, die hierzulande produziert wird?

Kunzendorf: Die Krimiflut fällt mir natürlich auch auf. Aber: Ich schaue nicht viel deutsches Fernsehen. Das muss ich leider gestehen. Abgesehen von Produktionen von Regisseuren und Kolleginnen, die ich schätze: Ich bin nicht wirklich Konsumentin dessen, was meine Branche in der Fernsehlandschaft produziert.

teleschau: Hadern Sie damit?

Kunzendorf: Nicht im Sinne von: Eigentlich müsste ich mehr davon sehen. Sondern eher, weil ich das traurig finde. Es ist schade - denn prinzipiell mag ich das Medium ja. Drum bin ich ja so glücklich, über Produktionen wie "Altes Land" oder "Ökozid". Ich finde betrüblich, dass ich nicht verführt bin, mehr zu schauen. Man könnte es fast schizophren nennen.

teleschau: Inwiefern?

Kunzendorf: Man arbeitet für ein Medium, das man selbst nicht mehr so sehr konsumiert. Meine Kinder schauen kein deutsches Fernsehen mehr, ein Großteil der Kollegen meiner Generation auch nicht. Das zumindest ist meine Erfahrung. Ich will damit nicht sagen, dass es nicht immer wieder hervorragende, sehr tolle Fernsehfilme und Serien gibt. Aber ich finde: zu wenig.

teleschau: Man könnte sagen: Das wollen die Zuschauer so.

Kunzendorf: Ich finde es völlig in Ordnung, zu einem großen Prozentsatz die Sehgewohnheiten derer zu befriedigen, die noch TV schauen. Aber es ist etwas kurz gedacht. Was ist in zehn oder 15 Jahren? 14-jährige Kids heute schauen gar kein deutsches Fernsehen mehr. Man muss sich schwer darum kümmern, dass Fernsehzuschauer nachwachsen.

teleschau: Wie kann das gelingen?

Kunzendorf: Idealerweise würde man vielleicht 60 Prozent Programm für jene produzieren, die noch Abend für Abend einschalten. Einen Großteil aber auch für die anderen, die da nicht mehr sitzen: anspruchsvolle, originelle, feine, kluge, humorvolle Produktionen, die nicht nach dem üblichen Muster gestrickt sind und nicht nur nach der Quote schauen. Für zwei Millionen, die vor dem Fernseher sitzen und sagen: Wie geil ist das denn!

teleschau: Apropos: Kann es nerven, dass Sie dennoch auch nach Jahren noch immer als "Tatort"-Kommissarin angesprochen und betitelt werden?

Kunzendorf: Nein, das nervt mich nicht. Es wird mittlerweile auch weniger, nachdem ich eine Zeit lang nicht fassen konnte, was das für eine Bedeutung hat. Es findet immer noch statt - aber wenn, dann verbunden mit einem Kompliment im Sinne von "Schade, dass Sie aufgehört haben". Aber ich habe lieber das Gefühl, im richtigen Moment von der Party gegangen zu sein, als darauf angesprochen zu werden, dass man langsam mal nach Hause gehen sollte (lacht). Das begegnet mir auf sehr anständige Weise.

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