"Ein Staat geht: Abschied von der DDR"

Hier grüßt die erste und letzte "Miss DDR": TV-Doku erinnert an die wundersame Zeit zwischen Mauerfall und Einheit

29.09.2020 von SWYRL/Christopher Schmitt

40 Jahre DDR-Sozialismus - und plötzlich ist alles anders: Es sind bewegte 328 Tage für die DDR-Bürger zwischen dem Fall der Mauer und dem offiziell wiedervereinigten Deutschland. In der "ZDFzeit"-Doku berichten Zeitzeugen und Prominente über diese turbulenten Monate des Umbruchs.

Dass glückliche DDR-Bürger auf der Mauer getanzt hatten, war noch nicht einmal ein Jahr her, und die Wiedervereinigung stand im Sommer 1990 kurz bevor, sie war aber noch nicht offiziell vollendet - und schon wurden innerhalb Deutschlands wieder neue Grenzen gezogen. Allerdings bestanden sie diesmal nicht aus Mauer und Stacheldraht, sondern aus Kreide. Sie umzäunten auch keinen offiziellen Staat und wurden mit Schießbefehl bewacht, sondern grenzten eine Art alternatives Pilotprojekt ein. Im Dresdener Stadtteil Neustadt wurde für ein Wochenende im Juni die "Bunte Republik Neustadt" ausgerufen. "Ich habe tatsächlich gedacht, es gäbe einen dritten Weg", berichtet Aktivistin Ulla Wacker von ihrem damaligen Traum, an der Elbe eine Alternative zu Kapitalismus und Real-Sozialismus zu etablieren. Das Beispiel aus der "ZDFzeit"-Dokumentation "Ein Staat geht. Abschied von der DDR" (Dienstag, 29. September, 20.15 Uhr, ZDF) zeigt, dass in den 328 Tagen zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung so ziemlich alles möglich schien. Der Film erzählt von einer Zeit der großen Hoffnungen und geplatzten Träume - und erinnert auch an die erste und einzige "Misswahl" der DDR.

Zwischen November 1989 und Oktober 1990 wurde Geschichte im Zeitraffer geschrieben, und den Erwartungen der Ostdeutschen standen Unsicherheit und Angst vor einer ungewissen Zukunft gegenüber. Der Film von Regisseurin und Autorin Christin Köppen ordnet außergewöhnliche Einzelschicksale in die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge ein, angesichts zahlreicher packender Geschichten und gut ausgewählter Gesprächspartner erweisen sich 45 Minuten jedoch als zu kurz, um diesem ambitionierten Ziel in vollem Umfang gerecht zu werden.

Neben unbekannten ehemaligen DDR-Bürgern kommt auch diverse Prominenz zu Wort. So erinnert sich der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck gerührt an ein historisches Ereignis, das am 18. März 1990 stattfand: "50 Jahre musste ich werden, um zum ersten Mal in meinem Leben in freien, gleichen und geheimen Wahlen wählen zu dürfen." 93 Prozent der Wahlberechtigten gaben in den ersten freien Volkskammer-Wahlen ihre Stimme ab - solche Zahlen scheinen bei heutigen bedeutenden Wahlen nahezu utopisch. Zur stellvertretenden Regierungssprecherin wurde übrigens eine junge Politikerin namens Angela Merkel gewählt.

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An einen "dummen Ossi" kann man das noch verkaufen

Bekanntermaßen witterte der ein oder andere Westdeutsche gleich nach der Wende das große Geschäft. So berichtet "Bauer sucht Frau"-Moderatorin Inka Bause - damals noch als Schlagersängerin aktiv - sichtlich amüsiert davon, beim Kauf eines Gebrauchtwagens im Westen übers Ohr gehauen worden zu sein: "Der Gebrauchtwarenhändler heilfroh war, dass er das an einen 'dummen Ossi' noch verkaufen konnte". Die BRD-Perspektive nimmt der ehemalige Fußball-Manager Reiner Calmund ein, der beschreibt, wie er das junge DDR-Talent Andreas Thom als ersten Ost-Transfer der Geschichte in die Bundesliga zu Bayer 04 Leverkusen lockte.

Dass das viel zitierte Wort "Wendeverlierer" keine reine Phrase ist, macht die Doku ebenfalls anhand von anschaulichen Beispielen deutlich. Seien sie ideologisch, wie im Fall des Ex-FDJ-Vorsitzenden Eberhard Aurich, oder finanziell, wie im Falle der Arbeitnehmer, die im Zuge der Liquidierung diverser Ost-Betriebe arbeitslos wurden. "Man darf nicht vergessen, dass Anfang der 90er-Jahre mehr als drei Viertel der Menschen in der ehemaligen DDR entweder ihren Job verloren haben oder einen anderen Job annehmen mussten", erläutert Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, die fundamentalen Umwelzungen der Beschäftigungsverhältnisse zwischen Erzgebirge und Ostseestrand.

Mit der Öffnung der Grenze wurde schließlich auch der Beruf des Grenzoffiziers obsolet. Für Erich Petke, damals stationiert an der DDR-Grenze zwischen Thüringen und Hessen, brach nicht nur eine Mauer zusammen, sondern gleich eine ganze ideologische Welt. "Man kann sagen, dass ich mit Leib und Seele Grenzoffizier war und auch politisch 200 Prozent überzeugt war", berichtet Petke von einer Zeit, in der er ideologisch voll auf Linie war. Zögerlichen Grenzsoldaten trichterte er auch mal ungefragt die Bedeutung ihrer Aufgabe ein. Dann hieß es notgedrungen Abschied nehmen von der Nationalen Volksarmee - mit einem letzten Fahnenappell. Ab sofort schnürte er die Stiefel für die gesamtdeutsche Bundeswehr. Sein erster Auftrag führte ihn nach Berlin. Die Mauer baut sich schließlich nicht von alleine ab.

Erzählt werden in dem Film aber auch die kleinen Erfolgsgeschichten jener Zeit. Zu den Protagonisten gehören Barbara Egler und ihr Mann. Sie eröffneten den ersten Quelle-Shop der DDR. Die Erinnerung, wie Kunden ihr im thüringischen Weida 1990 für kleine Elektrogeräte - die waren schließlich erschwinglich - regelrecht die Tür einrannten, sind noch präsent. Und dann ist doch noch eine gewisse Leticia Koffke. Die Frau aus Brandenburg an der Havel geht als erste und letzte Miss DDR in die Geschichte ein! Leticia Koffke blieb die Einzige, der dieser Titel verliehen wurde, denn die Miss-Wahl fand nur 1990 statt. Kurz darauf war die DDR Geschichte. "Ich habe niemals gedacht, dass ich jemals ein Auto besitzen würde", erinnert sich Leticia Koffke an diese wundersame Zeit.

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