"SternTV"

"Ich bin getroffen durch die Videos": Ärztin streitet bei RTL mit #allesdichtmachen-Regisseur

29.04.2021 von SWYRL/Jens Szameit

Seit Tagen wabert durchs Land eine vergiftetet Debatte, die durch die Video-Aktion #allesdichtmachen" befeuert wurde. Ein in Ansätzen klärendes Gespräch initiierte nun ausgerechnet RTL. Bei "SternTV" trafen sich Regisseur Dietrich Brüggemann und die Ärztin Carola Holzner zum Meinungsaustausch.

Bemerkenswert ist das allemal: 51 deutsche Schauspieler und ein Regisseur, viele darunter Stars des öffentlich-rechtlichen Fernsehspiel-Betriebs, treten mit einer Video-Aktion eine mediale Lawine sondergleichen los. Und das erste tiefer gehende TV-Streitgespräch zum Thema? Das findet man nicht etwa bei ARD oder ZDF, sondern knapp eine Woche später tief am Abend beim Privatsender RTL.

Vielleicht ist die fehlende Herzensnähe zum #allesdichtmachen-Mitinitiator Jan Josef Liefers ja auch ein gewinnbringender Vorteil. Während Thomas Gottschalk dem "Jan Josef" bei "Maischberger. Die Woche" mehr oder minder unhinterfragt zugutehielt, grundsätzlich nur "das Beste" zu wollen, bat "SternTV"-Moderator Steffen Hallaschka zeitgleich zwei Antagonisten der Debatte zum Meinungsaustausch und hielt auch mit der eigenen Haltung nicht hinterm Berg. Herausgekommen ist dennoch oder gerade deshalb eine Sendung, die nach all dem wechselseitig verspritzen Debatten-Gift eine Anmutung von sozialem Konsenswunsch immerhin erahnen ließ.

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#allesdichtmachen-Mitinitiator Brüggemann: "Wir können so nicht weitermachen"

Fast wie im Boxring saßen auf roten Ledersesseln zur Linken und Rechten des Gastgebers: Filmemacher Dietrich Brüggemann, der einige der #allesdichtmachen-Videos selbst produzierte und sich seit Tagen als Sprachrohr der unter Zerfallserscheinung leidenden Gruppe positioniert (rund ein Drittel der Teilnehmer hat seine Videos inzwischen gelöscht). Auf der anderen Seite: die Essener Notfallmedizinerin Dr. Carola Holzner, auch bekannt über ihren Instagram-Moniker "Doc Caro". Die hatte in einer Reaktion auf die provokanten Satirevideos der Gruppe davon gesprochen, dass "eine Schmerzgrenze überschritten" sei, und unter dem Hashtag #allemalneschichtmachen die beteiligten Schauspieler aufgefordert, sich selbst ein Bild von den dramatischen Zuständen auf deutschen Covid-Stationen zu machen.

Deutlich mehr Redeanteile hatte dabei der eloquente Filmemacher Brüggemann, der seine Position in der Debatte bekanntlich zu kurz gekommen sieht. "Wir können so nicht weitermachen, dieser Lockdown macht uns komplett kaputt", stellte der "Tatort"-Regisseur seine Kernthese in den Raum, die seiner Ansicht nach "aus der Mitte der Gesellschaft" komme. Brüggemann: "Wir sind 83 Millionen Menschen, die unter diesem Lockdown massivst leiden auf tausend verschiedene Arten, und wir können nicht immer nur sagen, wir sind eine Intensivstation." Es sei nicht in Ordnung zu unterstellen, dass jeder, der den Lockdown ablehne, den Tod von Menschen in Kauf nehme.

Carola Holzner: "Ich bin getroffen durch die Videos"

"Ich bin getroffen durch die Videos", hielt Carola Holzner dagegen. Sie habe zwei Tage gebraucht, ehe sie zu einer öffentlichen Antwort gefunden habe. Hunderte Nachrichten von Menschen aus dem Gesundheitswesen hätten sie in der Zeit erreicht - der Tenor: "Wir fühlen uns angegriffen, wir sind traurig, es fühlt sich an wie ein Schlag ins Gesicht."

Brüggemann hielt dagegen, dass die Gesellschaft nicht nur aus Ärzten und Pflegepersonal bestehe, er interessiere sich "für alle Menschen auf der Welt". Auch für die "83 Millionen, die schwer verletzt sind in ihrer ganzen Existenz durch etwas, was die Regierung tut: Sie verordnet einen Lockdown." Der gehe "ans Mark der menschlichen Existenz". Gleichzeitig tue die Politik in ihren Kampagnen so, als sei ein Lockdown "lustig". Diese Art von unaufrichtiger Kommunikation habe er in den Videos persiflieren wollen. Wie auch die Verlogenheit "der bessergestellten Laptop-Klasse", die den Lockdown demonstrativ unterstütze, aber die Nöte der "arbeitenden Bevölkerung" nicht sehe. Der werde nämlich "alles weggenommen", Kita, Fußball, Kneipe. Brüggemann: "Die drehen durch."

Den impliziten Vorwurf mangelnder Kritik an der Regierung wies die Medizinerin Holzner weit von sich. "Ich bin wirklich die Letzte, die alle politischen Entscheidungen gut fand." Das habe sie in politischen Talkshows den Entscheidern schon mehrfach ins Gesicht gesagt. "Ich verstehe Sie", beteuerte Holzner dem Gegenüber. "Der Dauerlockdown ermüdet uns alle". Jedoch hätte sie sich gewünscht, dass die #allesdichtmachen-Teilnehmer ihre Reichweite für einen "konstruktiven Vorschlag" genutzt hätten, "ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen". Stattdessen gebe es nun eine Debatte über Ironie. Mit tränenerstickter Stimme fügte sie hinzu: "Ich kriege ganz viele Nachrichten von Menschen, die ihre Angehörigen an Corona verloren haben, die sagen: 'Ich bin erschüttert davon.'" Brüggemann hielt dagegen: "Aufgabe der Kunst ist nicht, Lösungen anzubieten."

Steffen Hallaschka in Journalisten-Ehre gekränkt: "Glauben Sie das wirklich?"

An dieser Stelle der Diskussion wollte auch Moderator Steffen Hallaschka etwas loswerden. Der Video-Beitrag von Jan Josef Liefers spiele "mit der Legende, kritische Wissenschaftler würden nicht gehört und auch kritische Presse sei eine verdrängte Randerscheinung". Ein Punkt, der den TV-Journalisten persönlich kränkt, wie er Mitinitiator Brüggemann wissen ließ: "Glauben Sie ernsthaft, der öffentliche Diskurs über Pandemiemaßnahmen wird beschnitten, wird zensiert?"

Als der Filmemacher die "Homogenität" der aus seiner Sicht alarmistischen Berichterstattung bekräftigte, griff Hallaschka zum Einspielfilm. Die Redaktion hatte ein Best-of Lockdown-kritischer Stimmen von Marlene Lufen bis zum Querdenker-Demonstranten vorbereitet, wie sie alleine bei "SternTV" gesendet wurden. Brüggemann beeindruckte das wenig, er beharrte: "Die Leute haben keine Stimme, die unter dem Lockdown leiden."

Zu einem halbwegs versöhnlichen Ausklang fand die Runde dennoch: Carola Holzner freute sich über die positive Resonanz auf ihren #allemalneschichtmachen-Aufruf - viele aus der Schauspielbranche würden sich für den angebotenen "Perspektivwechsel" interessieren. Dietrich Brüggemann will selbst zwar nicht vor einer Kamera "als reumütiger Sünder" Abbitte leisten ("Was habe ich auf einer Intensivstation zu suchen?"), hatte jedoch noch eine empathische Botschaft für das überlastete medizinische Personal: Wenn die Pandemie wirklich so schlimm sei, solle man das Gesundheitssystem stärken und "auf jeden Lohn 500 Euro drauflegen". Die Menschen sollten es nicht zulassen, "dass das Gesundheitssystem und der Rest der Gesellschaft gegeneinander ausgespielt werden".

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