Dortmunder "Tatort: Du bleibst hier"

Jörg Hartmanns Ruhrgebiets-Melancholie: "Je älter ich werde, desto mehr fehlt mir dieses Gefühl"

11.01.2023 von SWYRL/Eric Leimann

Jörg Hartmanns neuer Fall als Dortmunder "Tatort"-Kommissar Peter Faber ist sehr besonders. Es ist der erste nach dem Tod von Anna Schudts Figur Martina Bönisch. Dazu hat er den Krimi selbst geschrieben. Ein Gespräch darüber, wie ihn Jürgen Klopp zum BVB-Fan machte und die verlorene Pott-Kultur.

Vor knapp einem Jahr saß die "Tatort"-Gemeinde geschockt vorm Fernseher, als im Dortmunder Krimi "Liebe mich!" nach zehn Jahren im Einsatz Kommissarin Martina Bönisch, gespielt von Anna Schudt, erschossen wurde. Am meisten schockiert war jedoch ihr Kollege und nach langer Zeit endlich "geouteter" Liebhaber Peter Faber, verkörpert von Jörg Hartmann. Im Interview erzählt der 53-jährige Schauspieler, wie es nun nach dieser Zäsur im "Tatort: Du bleibst hier" (Sonntag, 15. Januar, 20.15 Uhr, Das Erste) weitergeht. Er kann das, weil er - mit verlottertem Zauselbart - nicht nur die Hauptrolle spielt, sondern den Krimi auch selbst geschrieben hat. Für Hartmann, der aus Herdecke stammt, aber schon lange weggezogen ist, eine wunderbare Gelegenheit, die eigene Kindheit im Ruhrgebiet zu reflektieren und dabei auf die Suche nach verloren gegangenen Orten und Stimmungen zu gehen. Im Film führen sie zu einem verbotenen "Schwimmbecken", einen Friseursalon und zu nachbarschaftlichen Gefühlen, die es so heute kaum noch gibt.

teleschau: Ihr "Tatort"-Kommissar Peter Faber ist schockiert vom Tod seiner Kollegin und großen Liebe Martina Bönisch, gespielt von Anna Schudt. Wie schockiert war der Schauspieler Jörg Hartmann über den Ausstieg?

Jörg Hartmann: Ich erinnerte mich, dass Anna öfter mal gesagt hatte am Anfang: "Länger als zehn Jahre mache ich das auf keinen Fall." Aber man staunt ja - plötzlich sind die zehn Jahre wie im Flug vergangen. Ich war schon auch persönlich schockiert, habe das aber erst mal verdrängt. Die Sterbeszene für "Liebe mich!" zu drehen, war dann echt hart. Da hat man es dann kapiert, dass es ein Abschied ist.

teleschau: Wie nah stehen Sie sich privat?

Hartmann: Wir sind gute Freunde geworden über die Jahre. Für uns ist ein gemeinsamer Lebensabschnitt zu Ende gegangen. Es war menschlich schmerzhaft: der letzte Drehtag, die Abschiedsfeier. Was es für die Reihe bedeutet, weiß ich noch gar nicht. Faber und Bönisch, ihre verborgene Liebe, war schon das emotionale Zentrum der Erzählung über viele Folgen hinweg. Es wird nach "Du bleibst hier!" eine neue übergeordnete Erzählung geben, über die ich aber noch nichts verraten darf. Sie wird aber eher mit der Polizeiarbeit zu tun haben. Es ist ein bisschen, als würde beim Dortmunder "Tatort" eine neue Staffel beginnen.

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"Früher war mehr Nachbarschaft und gegenseitiges Helfen"

teleschau: "Du bleibst hier" ist der erste Dortmunder "Tatort", der nach einem Drehbuch von Ihnen entstanden ist. Ist es Zufall, dass diese Geschichte ausgerechnet Folge eins nach Anna Schudt ist?

Hartmann: Ja und nein. Ich hatte dem Team meine Idee zum ersten Mal vor etwa fünf Jahren präsentiert. Damals war die Geschichte aber noch anders, fast ein bisschen 'ne Horror-Story. Dann wandelte sie sich in eine Erzählung über Verlust: den Verlust von Menschen, aber auch Orten. Das passte sehr gut zu Annas Ausstieg beziehungsweise die Trauer über den Tod von Martina Bönisch.

teleschau: "Du bleibst hier" erzählt vom alten Ruhrgebiet der kleinen Leute, die ihr Herz am rechten Fleck haben. Einer Kultur, die am Verschwinden ist - glaubt man dem Film. Sie sind selbst ein Kind des Ruhrgebiets. Trauern Sie um die Welt Ihrer Kindheit?

Hartmann: Was ich im Film beschreibe, ist schon etwas, das mir fehlt. Etwas, das auch andere, mit denen ich gesprochen habe, vermissen. Gerade dieser alte Friseursalon, den ich da im Film beschreibe. Früher war mehr Nachbarschaft und gegenseitiges Helfen. Da hat die Friseuse aus dem Erdgeschoss schon mal Pommes für alle geholt, oder man hat sein Kind kurz da im Laden gelassen, weil man einkaufen musste. Man kannte sich halt und half sich. Ich hoffe nicht, dass ich die Vergangenheit verkläre, aber: So erinnere ich das. Heute gibt es das nicht mehr. Jeder ist im Stress, hat tausend Termine, ist "verplant". Die spontane Zeit miteinander fehlt komplett. Auch das Einlassen aufeinander.

teleschau: War das eine Eigenart des Ruhrgebietes oder eine der alten Zeit?

Hartmann: Ich glaube, dass der Miteinander-Gedanke im Ruhrgebiet besonders intensiv gelebt wurde, trotzdem war es natürlich auch ein Zeitphänomen. Ich bin schon lange weg von Zuhause, lebe mittlerweile im Potsdam. Es war auch ein Grund damals, den Dortmunder "Tatort" zu machen, weil ich über dieses Engagement wieder öfter in die Heimat gekommen bin. Je älter ich werde, desto mehr fehlt mir dieses Gefühl.

"Du gehst da alleine in eine Kneipe und kommst mit zwei neuen Kumpels wieder heraus"

teleschau: Haben sie privat, also abseits vom "Tatort", denn noch viele Verbindungen ins Ruhrgebiet?

Hartmann: Meine Mutter lebt noch in Herdecke, auch meine Schwester ist noch dort. Auch darüber hinaus gibt es noch ein paar Leute, die mir wichtig sind. Wenn ich vor Ort drehe, nutze ich das immer auch privat aus. Ich bin häufig im Ruhrgebiet und fühle noch einen starken Bezug.

teleschau: Woher kommt das eigentlich, dass die Leute im Ruhrgebiet so geradeheraus und aneinander interessiert sind?

Hartmann: Das ist eine gute Frage. Es hat sich einfach so entwickelt, denke ich. Vielleicht hat es tatsächlich mit dieser alten Bergmannstradition zu tun, wo man sich aufeinander verlassen musste, um zu überleben. Das hat sich als Geist und Umgangsform in der Region festgesetzt. Noch heute ist es so: Du gehst da alleine in eine Kneipe und kommst mit zwei neuen Kumpels wieder heraus. Das habe ich so nirgendwo sonst erlebt. Ich glaube zumindest, dass einem das hier in Brandenburg weniger oft passiert (lacht) ...

teleschau: Sind Sie auch Fußball-Fan?

Hartmann: Ja, aber kein leidenschaftlicher.

teleschau: Aber wenn Sie es eher mit Schalke hielten statt mit dem BVB, wäre das als Dortmunder Kommissar schon ein Problem, oder?

Hartmann: Ich war vielleicht kein normaler Junge, aber Fußball hat mich als Kind überhaupt nicht interessiert. Nur zur Fußball-WM oder so habe ich das ein bisschen verfolgt. Die Bundesliga interessierte mich damals nicht. Mit der Jürgen Klopp-Ära beim BVB hat sich das dann geändert. Diese Zeit deckte sich ja mit unserem "Tatort"-Beginn in Dortmund. Da habe ich mich dabei ertappt, dass ich damals am Wochenende immer gucken musste, wie die Schwarz-Gelben gespielt haben. Dann war ich auch das ein oder andere Mal im Stadion. Auch 2022 war ich immerhin einmal da. Also in Sachen Fußball schlägt mein Herz mittlerweile schon für Dortmund, definitiv!

"Bei den Jüngeren bin ich schon ziemlich anonym unterwegs"

teleschau: Werden Sie in der Stadt oft angesprochen? Interessieren sich die Menschen nach zehn Jahren überhaupt noch für die Drehs?

Hartmann: Die Leute sind interessiert, aber auch zurückhaltend. Es ist über all die Jahre ein schönes, entspanntes Verhältnis zu den Leuten der Region gewesen, das muss ich sagen. Aber man merkt schon auch, dass die meisten, die einen ansprechen, 50 Jahre und älter sind. Ich glaube, auch wenn gerade der "Tatort" auch noch von Jüngeren geschaut wird: Man merkt schon, wer noch lineares Fernsehen schaut und einen auf der Straße erkennt. Bei den Jüngeren bin ich schon ziemlich anonym unterwegs (lacht).

teleschau: Können Sie nach all den Jahren noch neue Orte im Ruhrgebiet entdecken? Oder vielleicht sogar Plätze Ihrer Kindheit wiederfinden?

Hartmann: Neue und spannende Orte finde ich immer wieder. Dortmund ist flächenmäßig sehr groß, teilweise sehr grün, und es hat viele dieser verwunschenen alte Orte, wie wir sie in "Du bleibst hier" in Szene setzen wollten. Deshalb hatten wir beim Dortmunder "Tatort" auch noch nie zuvor so viele Drehtage vor Ort wie diesmal. Meine Kindheit fand allerdings nicht in Dortmund statt.

teleschau: Weil Sie damals nicht aus Herdecke herausgekommen sind?

Hartmann: Der Bezug zu Hagen war stärker, dort lebten meine Großeltern mütterlicherseits. Väterlicherseits waren die Großeltern aus Herdecke. Diese beiden Ort verbinde ich mit meiner Kindheit. Damals sind wir durch Herdecke gestreift. Durch die Berge und großen Wälder in Richtung Speicherbecken, das ja auch am Anfang vom "Tatort: Du bleibst hier" eine Rolle spielt. Nach Dortmund bin ich dann erst später gefahren. Als ich älter war und in die Disko gehen wollte. Meistens mit dem Zug. Meine Eltern haben nie ein Auto besessen.

"Was der Faber da macht, ist streng verboten"

teleschau: Man darf vielleicht verraten, dass Sie am Anfang des Films durch diese Wälder joggen und dann von einer hohen Mauer in dieses Speicherbecken springen. Eine tolle Location - darf man da überhaupt baden?

Hartmann: Nein, um Gottes Willen. Was der Faber da macht, ist streng verboten. Das Pumpspeicher-Kraftwerk Herdecke ist eines der ältesten der Welt und ein Industriedenkmal. Es stammt aus den 20er-Jahren. Es wäre saugefährlich, da in echt hereinzuspringen. Ich erinnere mich noch aus der Kindheit, dass wir heimlich über die Mauer geklettert sind, um zu gucken. Das hat sich als etwas Faszinierendes, Unheimliches in meinen Kopf eingebrannt. Doch ins Wasser zu hüpfen, hätten wir uns nicht getraut. Das Wasser aus dem Speicher wird ja auch nach unten abgepumpt. Sehr viel tiefer liegt das eigentliche Kraftwerk und der See. Es wäre ein Himmelfahrtskommando, da hereinzuspringen.

teleschau: Kommen wir noch mal auf den Dortmunder "Tatort" zurück. Anna Schudt wollte nach zehn Jahren aufhören und hat es getan. Denken auch Sie über ein Ende nach?

Hartmann: Solange ich den Reiz verspüre, den Faber weiterzuerzählen, so lange mache ich mit. Mir war schon immer klar, dass der Faber noch ältere Traumata hat als jenes Drama, dass seine Familie ermordet wurde. Die noch älteren Traumata erzählen wir im neuen Film. Momentan interessiert mich der Typ noch. Ob ich es noch weitere zehn Jahre mache? Das kann ich mir irgendwie nicht vorstellen, andererseits sind die ersten zehn Jahre extrem schnell vergangen ...

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