Sophie von Kessel im Interview

Kann "anderes Fernsehen" funktionieren?

24.11.2020 von SWYRL/Eric Leimann

Sophie von Kessel spielte "Heilig Abend", ein Kammerspiel von Starautor Daniel Kehlmann, zwei Jahre auf der Bühne. Nun ist sie an der Seite Charly Hübners auch in der Fernseh-Adaption dabei. Kann ein 90-minütiges Verhör zwischen einem Polizisten und einer Terrorverdächtigen im TV funktionieren?

Sophie von Kessel ist eine der wenigen deutschen Schauspielerinnen, die trotz erfolgreicher TV-Präsenz das regelmäßige Arbeiten am Theater niemals aufgaben. Nach langen Jahren in München gehört die 52-Jährige mittlerweile zum Ensemble des renommierten Wiener Burgtheaters. Ihre TV-Hauptrolle in "Das Verhör in der Nacht" (Freitag, 27. November, 20.15 Uhr, ARTE, und Montag, 30. November, 20.15 Uhr, ZDF) hat nun ebenfalls viel mit Theater zu tun. Nicht nur, weil der Kammerspiel-Thriller auf einem Bühnenstück beruht, sondern auch, weil dieser Zweipersonen-Thriller, der fast ausschließlich in einem Hotelzimmer spielt, alles andere als "Primetime von der Stange" bedeutet. Der Terror-Krimi von Starautor Daniel Kehlmann ("Die Vermessung der Welt") - er schrieb nun auch das Drehbuch - gibt ein nächtliches Verhör zwischen einem Staatsschutz-Polizisten (Charly Hübner) und einer terrorverdächtigen Professorin (von Kessel) wieder. Bekommt der Ermittler im Laufe des Abends ein Geständnis? Lässt sich der Anschlag noch verhindern, oder handelt es sich um einen Fall von Sicherheits-Paranoia, weil gar keine Bombe existiert?

teleschau: Sie spielen eine Rolle, die Sie auch sehr oft auf der Bühne verkörpert haben. Wissen Sie, wie oft?

Sophie von Kessel: Wir haben das Stück über zwei Jahre gespielt. Ich schätze, da kamen etwa 50 oder 60 Vorstellungen zusammen.

teleschau: Und da dachte man: "Die von Kessel hat das ja schon drauf. Dann nehmen wir die auch für die Verfilmung"?

Sophie von Kessel: Nein, das war ein bisschen anders. Ich habe einen befreundeten Filmproduzenten, Reinhold Elschot, einfach mal ganz naiv zu der Vorstellung eingeladen. So nach dem Motto: Wenn du mal in München bist, dieses Stück könnte dir gefallen. Er hat es gesehen und danach den Regisseur Matti Geschonneck gebeten, sich die ebenfalls Vorstellung anzusehen. Ich spreche solche Tipps Filmleuten gegenüber eher selten aus, weil die Erfahrung zeigt: Viele haben Probleme mit Klassikern oder besonderen Projekten am Theater. Bei "Heilig Abend" von Daniel Kehlmann hatte ich das Gefühl, dass es anders sein könnte. Das ist eigentlich schon wie ein spannender Filmplot - aber eben erstmal für die Bühne.

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"Man muss sich auf den Film einlassen"

teleschau: Man rennt also mit so einem Theaterstück offene Türen bei Filmemachern ein?

Sophie von Kessel: Vom Spannungsaspekt betrachtet, vielleicht schon. Aber es gibt natürlich auch Widerstände gegen solche Stoffe. Da spielen nur zwei Personen, sie befinden sich die gesamte Zeit in nur einem Raum - also ein klassisches Kammerspiel. Dieses wurde für den Film von Daniel Kehlmann und Regisseur Matti Geschonneck noch umgearbeitet. Dazu kommt, dass der Ausgang im Theater etwas offener ist, als jetzt in der TV-Fassung. Im Theater fragten mich viele Zuschauer nach den Vorstellungen, ob sie das Stück richtig verstanden hätten. Ein offenes Ende macht etwas mit dem Zuschauer. Ich finde, die Veränderungen, die vom Theaterstück zum Film vorgenommen wurden, entsprechen den Stärken und Vorteilen des Mediums Film.

teleschau: Wie sehr sprengt "Das Verhör in der Nacht" normale Sehgewohnheiten?

Sophie von Kessel: Der Film entspricht nicht den normalen Sehgewohnheiten des Zuschauers. Normalerweise wird man im Fernsehen mit vielen Bildern konfrontiert. Alles ist schnell, es ist laut. Man kann sich als Zuschauer in eine Position begeben, die da heißt: Unterhaltet mich! Bei unserem Film muss man zur Ruhe kommen, beobachten, zuhören, mitdenken. Man muss sich auf den Film einlassen - und zwar von Anfang an. Sonst verliert man irgendwann den Faden. Es ist eine Herausforderung und ich finde es mutig, dass sich das ZDF dieser Herausforderung stellt.

teleschau: Glauben Sie, dass es funktioniert?

Sophie von Kessel: Ja, ich kann mir vorstellen, dass es funktioniert - aber sicher nicht bei allen Zuschauern. Es kommt darauf an, wie sehr man bereit ist, sich auf ein "anderes Fernsehen" einzulassen. Sich einem neuen Reiz, einer anderen Art von Spannung zu stellen. Ich hoffe, dass es bei genügend Zuschauer funktioniert. Denn davon hängt es ab, ob andere künstlerisch ambitionierte Projekte realisiert und auf prominenten Sendeplätzen gezeigt werden können.

"Unserere heutige Welt der mediokren Vernunft"

teleschau: Erklären Sie doch mal, worin die Spannung dieses Kammerspiels liegt ...

Sophie von Kessel: Es geht um die Auseinandersetzung zweier Menschen vor dem Hintergrund, dass ein vermeintlicher Terroranschlag stattfinden könnte oder eben verhindert werden soll. Ich versuche mal, das Interessante des Stückes über meine Figur zu erklären, weil ich die am besten kenne: Ich spiele eine kluge, gebildete und gut situierte Professorin, die bereit ist, ihr ganzes Leben für etwas zu opfern, woran sie glaubt. Für Dinge, die andere Menschen vielleicht fragwürdig fänden. Die Spannung liegt nicht nur darin, ob es die geplante Tat tatsächlich gibt und ob sie verhindert werden kann, sondern vor allem darin, wie der Kommissar versucht, an diese Informationen zu kommen und die Professorin letztendlich dagegenhält.

teleschau: Weil Terror, also konkret ein Sprengstoff-Anschlag, ein Tabu darstellt?

Sophie von Kessel: Ich möchte gar nicht so sehr den Begriff Terror bemühen, weil es ein abschreckendes Signalwort ist. Es hat etwas mit mir gemacht, eine Frau zu spielen, die ihr Leben in den Dienst einer größeren Sache stellt. Das hatte etwas Erhebendes - in unserer heutigen Welt der mediokren Vernunft.

teleschau: Sie rufen jetzt aber nicht dazu auf, dass wir alle radikaler werden müssen?

Sophie von Kessel: Nein, nicht radikal, sondern passioniert. Dass wir unsere Komfortzonen verlassen, um etwas Größeres zu erreichen. Durch Corona hat sich das ein bisschen geändert, weil es eine Bedrohung ist, die das Leben aller auf eine Art und Weise bedroht, dass man sich nicht mehr so leicht in die Komfortzone zurückziehen kann. Auch Greta Thunberg und die Klimaschutz-Bewegung haben diese Zurückhaltung oder das Sicherheitsgefühl davor schon aufgebrochen - vor allem bei Jugendlichen. Doch dazwischen gab es gefühlt ein paar Jahrzehnte, wo ich das Gefühl hatte: Die Menschen interessieren sich vorwiegend nur für sich selbst - danach kam lange nichts.

"Man kann da Parallelen zur aktuellen Corona-Situation erkennen"

teleschau: In der bürgerlichen Wahrnehmung radikalisieren sich heute nur jene, die nichts zu verlieren haben. Ist es im positiven Sinne irritierend, dass es bei ihrer Figur anders ist?

Sophie von Kessel: Ja. Bei Daniel Kehlmanns Stück geht es auch um den Gegensatz zwischen einem proletarischen, bodenständigen Polizisten und einer intellektuellen Verdächtigen. Sie hat alles in ihrem Leben bekommen, was er nie gehabt hat: eine tolle Ausbildung, internationale Schulen, ein Leben im Luxus. Und trotzdem ist sie es, die die Verhältnisse radikal infrage stellt. Dieser Konflikt kommt zur eigentlichen Auseinandersetzung der beiden noch hinzu. Um die Frage, ob man gebildet und intellektuell sein muss, um zu verstehen, was auf der Welt schiefläuft. Das ist noch mal ein ganz eigenes, interessantes Thema des Stückes.

teleschau: Das Theaterstück "Heilig Abend" ist vor dem Hintergrund der Terrordebatte entstanden. Mittlerweile streiten wir aber auch über Corona-Maßnahmen. Die Frage ist: Muss der Staat uns - vielleicht auch autoritär - schützen oder darf er das gar nicht? - Sehen Sie diesen Bezug?

Sophie von Kessel: In unserem Stück geht es um einen anderen Grundkonflikt, nämlich das Leben der Reichen auf Kosten der Armen und den globalen Kapitalismus. Es geht aber auch um Überwachung und die Kontrolle unseres Lebens durch den Staat. Natürlich kann man da Parallelen zur aktuellen Corona-Situation erkennen. Nach dem Motto: Wie sehr darf der Staat unter dem berechtigten Ziel des Allgemeinwohls das Leben des Einzelnen bestimmen?

teleschau: Glauben Sie, dass heutige Theaterzuschauer auf weit voneinander entfernt gelegenen Plätzen und Masken tragend diesen Bezug der Kontrolle ihres Lebens im Stück sehen?

Sophie von Kessel: Schwer zu sagen. Unser Stück war schon ein halbes Jahr abgespielt, bevor die Dreharbeiten zum Film begannen. Das war eher ein Zufall als beabsichtigt. Ich persönlich sehe bei der Corona-Debatte vor allem einen Staat, der seine Bürger schützen will. Ich würde deshalb auch nicht auf irgendwelchen Anti-Corona-Maßnahmen-Demos herumrennen. Trotzdem kann ich verstehen, dass eine gewisse Unzufriedenheit entsteht, wenn Maßnahmen nicht transparent oder im Einzelfall ungerecht sind. Es ist in Ordnung, das System und seine Maßnahmen infrage zu stellen. Man sollte das aber auf der Basis von Logik und Wissenschaft tun. Einen autoritären Staat, der seine Bürger gängeln will, sehe ich in Deutschland definitiv nicht.

" Die Menschen tragen Masken, man kann nicht in ihren Gesichtern lesen"

teleschau: Sie haben aktuell ein festes Engagement am berühmten Wiener Burgtheater. Wie groß ist ihr Frust, was das Theaterspielen unter Pandemie-Bedingungen betrifft?

Sophie von Kessel: Am schwierigsten finde ich, dass sich permanent alles ändert. Mal dürfen wir spielen, mal nicht. Außerdem werden die Regeln für die Zuschauer ständig dem Infektionsgeschehen angepasst. Mal dürfen mehr, mal weniger Leute herein. Insgesamt spielt man natürlich immer vor relativ dünn besetzten Reihen. Das macht schon etwas mit uns Schauspielern - auch wenn es besser ist, als gar nicht zu spielen.

teleschau: Spielen Sie auf der Bühne anders als vor der Pandemie?

Sophie von Kessel: Ich hoffe nicht! Wenn die Leidenschaft geringer wäre, müsste man ja auch klar sagen: Die Qualität der Aufführung hat abgenommen. Ich persönlich finde es schwer, mit dem Publikum in Kontakt zutreten. Die Menschen tragen Masken, man kann nicht in ihren Gesichtern lesen. Sie trauen sich nicht zu lachen, wenn es etwas zu lachen gibt oder sich anders laut zu äußern. Alles ist angespannter, zurückgenommener. Es ist nicht das, was man im Theater erleben möchte. Der Austausch fehlt, das nimmt auf beiden Seite Kraft weg. Dennoch erzählen mir alle Leute, die solche Vorstellungen besuchen, wie viel Kraft ihnen diese Erfahrung gegeben haben. Ich finde, das zeigt noch mal, wie sehr uns allen die Live-Kultur derzeit fehlt.

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