08.08.2024 von SWYRL/Jürgen Winzer
Katrin Müller-Hohenstein hat's geahnt. "Das wird ein heißer Tanz", kündigte sie das Handball-Viertelfinalspiel zwischen Frankreich und Deutschland an. Damit untertrieb sie eher. Es wurde das (von den 3x3-Schlachten der Supergirls mal abgesehen) nerven- und stimmbandzerfetzendste Spiel der bisherigen Spiele.
Christoph Hamm litt hörbar am meisten. Dem ZDF-Kommentator ging beim Handballdrama schon während der regulären Spielzeit die Stimme flöten, als die Deutschen mit der Schlusssirene ein unglaubliches (mehrfaches) Comeback mit dem Ausgleich krönten und die Verlängerung erzwangen. Während dieser röhrte, röchelte und kiekste Hamm dann wie ein Teenie im Stimmbruch, bis es endlich vollbracht war: Erst nagelte Armands Uscins den Ball aus dem Nichts in den französischen Winkel, dann rettete das lange Bein von Keeper David Späth im Gegenzug in letzter Sekunde den 35:34-Sieg. Schade, eigentlich, dass es nur Halbfinale war.
Auch das Mitfiebern der Moderatoren war durchaus finalwürdig. "War das das krasseste Handballspiel seit langem?", fragte Katrin Müller-Hohenstein eher rhetorisch ihren Studiogast, Tischtennis-Legende Timo Boll. Ja, auch sogar er, der Coole von der Platte, habe schwitzige Hände gehabt. Sein Mitleid mit den dramatisch Geschlagenen ("Echt bitter für die Franzosen") quittierte Müller-Hohenstein, die ehemalige Judoka, mit einem zwischen den Zähnen heraus gepressten "Tut mir leid für die". Aber das war ungefähr so herzlich wie das dezente Buhen der geschockten französischen Fans nach dem Schlusspfiff - bis sie unter dem Euphorie-Singsang "Oh, wie ist das schön" der deutschen Fans komplett verstummten.
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Auch Weitsprung-Ikone Bob Beamon kommt ohne "Hahnri" davon
Der Krimi, das Drama wirkte nach. Als im ZDF-Studio der Schichtwechsel nahte, stöhnten sich Katrin Müller-Hohenstein und Jochen Breyer erstmal gegenseitig an. "Ich bin noch völlig erschöpft" (Müller-Hohenstein), "Das hat mich fertig gemacht" (Breyer). Nur in der Bedeutung waren sie sich uneins. "Das ist schon ein kleines Handballwunder", meinte Breyer, immerhin wurde der siegessichere amtierende Weltmeister und Olympia-Titelverteidiger bezwungen. Entsprechend höher hängte es Müller-Hohenstein: "Das ist ein großes Handballwunder."
Breyer widersprach nicht. Er ist, nicht nur wenn's um "Spielermaterial" geht, um Harmonie bemüht und darauf bedacht, niemandem wehzutun. Das kam auch nach dem entspannten Talk mit Weitsprung-Ikone Bob Beamon raus, als er den US-Gast entkommen ließ, ohne ihm Maskottchen "Hahnri" aufzuoktroyieren. Und auch als er einen harmlosen Witz über den royalen Nachnamen von Norbert König machte, entschuldigte er sich gleich: "Du machst ja selber oft Witze über deinen Namen, sonst hätt' ich mich nicht getraut." Vielleicht bringt Breyer am Freitag Räucherstäbchen mit.
Starke Frauen: Tischtennis-Küken Kaufmann und Matten-Amazone Wendle
Insgesamt war der Tag für Hardcore-Olympia-Gucker anstrengend. Morgens war am spektakulärsten, dass der Siegerin des Geher-Mixed-Wettbewerbs verwehrt wurde, dass ihr Freund sie umarmen durfte. Und wenn der nun einen Hochzeitsantrag geplant gehabt hätte!? So was ist ja, egal ob bei Siegerehrungen oder bei Taylor-Swift- oder Adele-Konzerten gerade groß in Mode. Am aufregendsten war, dass das Tischtennis-Powerküken Annett Kaufmann, gerade 18 geworden, ihr deutschen Frauen-Team ins Halbfinale führte. Und Ringerin Annika Wendle ihre Viertelfinal-Gegnerin erst "aufzureißen" versuchte und dann auf die Matte "nagelte" (jeweils O-Ton Alexander von der Groeben).
Was Katrin Müller-Hohenstein gleich vom "Tag der starken Frauen" fabulieren ließ. Schade, dass Wendle dann im Halbfinalkampf unterlag. Ebenso klar und deutlich wie die Basketball-Damen, an denen sich die Französinnen für die erlittene Pleite ihrer Handball-Männer rächten. Aber sie sollten nicht zu lange frohlocken: Morgen kommt's zum nächsten deutsch-französischen Halbfinalgipfeltreffen, zwischen den Basketball-Männern. Mal sehen, wie viel Schröder-Blues und Wagner-Klassik die Grande Nation verträgt.
Nelvie Tiafack: Noch ein Sport-Wunder am späten Abend?
Davor und danach wetzten diverse deutsche Kurz- und Mittelstreckelnde bemüht, aber deutlich an den Finalläufen vorbei, der deutsche Bahnrad-Vierer der Damen verpasste das Rennen um Bronze.
So wurde aus deutscher Sicht ein Kampf im Stadion Roland Garros um späten (Kampfbeginn: nach 22 Uhr) und abschließenden Höhepunkt. Allerdings gab's da nicht wie sonst Saures für Filzbälle, sondern "immer mitten in die Fresse rein", wie die Ärzte einst im "Schunder-Song" trällerten. Der deutsche Superschwergewichtsboxer Nelvie Tiafack trat am späten Abend im Halbfinale als Underdog gegen den Goldfavoriten Jalolov aus Uzbekistan an. Es war ein David-gegen-Goliath-haftes Duell. "The big Uzbek", seit sieben Jahren ungeschlagen, ist einen halben Kopf größer. Gegen den 2,01-Meter-Hünen mit einer Schlagweite von 2,05 Metern kam der mutige Tiefack kaum in Treffernähe. Kommentator Michael Pfeiffer, der sich ein bisschen durch den Nachnamen des Uzbeken "verweckstabenbuchselte" ("Da sind so viele L in seinem Namen, da kann man schon mal durcheinander kommen"), schwante Böses: "Es gibt Leute, die sich gar nicht mehr gegen Jalolov zu kämpfen trauen."
Das Box-Wunder blieb aus. Tiafack verlor klar nach Punkten - und schrieb doch Geschichte. Er ist der erste deutsche Boxer seit 44 Jahren, der in der höchsten Box-Gewichtsklasse eine Olympia-Medaille nach Deutschland holt. Denn im Boxen haben die beiden Halbfinal-Verlierer Bronze sicher. Gute Idee, eigentlich.