Die Kinder von Windermere - Fr. 28.01. - 3sat: 20.15 Uhr

Sommer 1945 - eine Wiedergeburt

25.01.2022 von SWYRL/Wilfried Geldner

Kurz nach Kriegsende, im August 1945, wurden etwa 300 Kinder und Jugendliche von Theresienstadt aus über Prag nach Windermere in Nordengland verschickt, um dort ein neues Leben zu beginnen. Nur vier Monate hatten Psychologen und freiwillige Helfer Zeit, um sie in die neue Freiheit zu führen.

Ein Bus nähert sich einem Lager. Es sieht auf den ersten Blick aus wie das Vernichtungslager Buchenwald. Aber es gibt "keine Suchscheinwerfer, keine Wachtürme, keine elektrischen Zäune, kein Krematorium", sagt einer der Jugendlichen, die dem Bus entsteigen. Die Jugendlichen sind jetzt, im August 1945, in Nordengland, in Windermere. Eine britische Wohlfahrtsorganisation hat sie mit Einwilligung der Regierung aufgenommen. Insgesamt waren es nahezu 1.000 Kinder und Jugendliche, die nach England kamen, um dort von ihren Ängsten und Traumata befreit zu werden - nach allem, was sie in zuvor in den Konzentrationslagern erlebten.

Bis es zu diesem hoffnungsvollen Ende kommt, bekommt der Zuschauer in dieser Koproduktion von BBC und ZDF, die eigens zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentartionslagers Auschwitz zustande kam, viel Anschauungsunterricht darüber, wie das gewesen ist damals - Menschen wurden aus der Hölle befreit und sollten nun herangeführt werden an ein normales Leben. Anlässlich des Tags zuvor begangenen Holocaust-Gedenktags wiederholt 3sat "Die Kinder von Windermere" zur besten Sendezeit.

Nur vier Monate bleiben dem deutschen Psychologen Oscar Friedmann, der selbst in einem Waisenhaus aufwuchs und später in einem Heim für schwer erziehbare straffällig gewordene Jugendliche arbeitete, um die Jugendlichen, im Film leider immer wieder "Kinder" genannt, an ein neues Leben in Freiheit zu gewöhnen. Zu wenig eigentlich, sagt er gleich zu Beginn, um am Ende ihrer Wiedergeburt staunend zu bekennen: "Das ist außerordentlich. Ich applaudiere euch allen!"

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Hitlergrüße in England

Er sei sich vorgekommen "wie im Himmel", sagt einer der Befreiten zu Beginn aus dem Off. Doch der Himmel sieht anders aus. Nicht nur, dass das Lager, das gerade von Flugzeugarbeitern geräumt worden war, den früheren Lagern gleicht. Noch einmal trennen die Ärzte - "Mädchen rechts, Jungen links!", so wie einst an der Rampe, die jungen Menschen. Sie werden desinfiziert wegen Typhusgefahr, die Kleider werden verbrannt, sie stehen in der Unterwäsche da, morgen erst soll es neue Kleider geben. Auch England war damals arm.

Dass es auch nach grauenvollsten Erlebnissen nicht selbstverständlich war, in England aufgenommen zu werden, veranschaulicht der Film in der Kürze, die ihm zur Verfügung steht. Da muss schon einmal eine Nachbarin mit ihrem Hündchen eine Gruppe von Kleinkindern erschrecken und ihre Zweifel darüber kundtun, ob das mit dem Flüchtlingslager so richtig und angemessen sei. Im Städtchen zeigen Halbwüchsige den Hitlergruß und pöbeln die jüdischen Fremdlinge an.

Die Freundschaften halten bis heute

Es ist die Stunde des Psychologen, den Thomas Kretschmann als väterlichen Betreuer mit beharrlichem Understatement spielt. Er faltet die einheimischen Pöbler zusammen, lässt sie den Arm gen Himmel strecken und erklärt ihnen, was den Jungen alles an Schrecklichem widerfahren war. Einer hat sich soeben in die Hose gemacht.

Weil er aber die ganze Geschichte erzählen will, die der Betreuer und die der Überlebenden, vom Verlust der Familien und der allermeist vergeblichen Suche nach ihnen, bleibt der Film von Simon Block (Drehbuch) und Michael Samuels (Regie) eher eine informative Skizze als ein in sich abgerundetes Werk. Auch wegen seiner Personenfülle merkt ihm an, dass er auf wahren Erinnerungen fußt. Die Jugendlichen von damals sind heute ältere Herren, die mit dem Leben zurechtgekommen sind. In Windermere haben sie, so sagen sie auch in der anschließenden Dokumentation, eine neue Familie gefunden.

Die Freundschaften von damals halten bis heute. Einer der Jungen aber, der zunächst gar nicht aus dem Bus steigen wollte, hat es im Film anders gesehen. "Die Kiefern, die Häuser, den Fluss, das alles gibt es nicht mehr", belehrt er einen Freund - und meint damit: Die Heimat, auch die Innere, ist für immer verloren.

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