"Freshtorge" im Interview

Torge Oelrich über das öffentlich-rechtliche Fernsehen: "Da muss unbedingt ein Umdenken stattfinden"

27.05.2023 von SWYRL/Aylin Rauh

2006 begann Torge Oelrich seine Karriere mit Comedy-Videos auf YouTube, nun startet er Anfang Juni mit seiner eigenen TV-Serie "Einsame Herzen" auf ZDFneo. Im Interview spricht der Comedian über seine Heimatstadt Wesselburen, seine Figuren und das öffentlich-rechtliche Fernsehen.

Viele kennen sie: Die geistig etwas zurückgebliebene Sandra, die Tratschtanten Helga und Marianne und die Schlagersängerin Monika Angel - sie alle gehören zu den Figuren, die von Comedian Torge Oelrich alias "Freshtorge" auf YouTube verkörpert werden. 2006 begann er seine Karriere auf der Videoplattform, mittlerweile folgen fast vier Millionen Menschen seinem Kanal. "Ich kann mir keine andere Arbeit auf der Welt vorstellen, die mir mehr Spaß machen würde", schwärmt er im Interview. Und jetzt startet der 34-Jährige richtig durch, mit seiner TV-Satireshow "Einsame Herzen" (ab Sonntag, 4. Juni, 10.00 Uhr, ZDFmediathek und 23.15 Uhr auf ZDFneo), in der er alle Figuren selbst spielt. Oelrich sagt, er wisse "gar nicht mehr, wer die Idee hatte". Aber irgendwann sei beschlossen worden, "die 'einsamen Herzen' in eine Datingshow zu packen und eine Sendung für unvermittelbare Singles zu entwickeln". Die Zusammenarbeit mit dem ZDF empfand er als "erfrischend". Dennoch müsse bei den öffentlich-rechtlichen Sendern seiner Meinung nach "ein Umdenken stattfinden". Wie er das genau meint? Freshtorge, einer der bekanntesten deutschen Webvideoproduzenten, verrät es im Interview.

teleschau: In Ihren YouTube-Videos verkörpern Sie verschiedene Charaktere - woher nehmen Sie die Inspiration für diese Figuren?

Torge Oelrich: Meistens funktioniert das wirklich, wenn ich andere Leute sehe, sie auf der Straße treffe oder mich mit ihnen unterhalte. Dann merke ich, dass sie eine gewisse Eigenart haben, weswegen es in meinem Kopf anfängt zu rattern. So komme ich auf Ideen und denke mir: Hey, das wäre eine interessante Figur. Die könnte man parodieren oder weiterentwickeln.

teleschau: Studieren Sie so auch Menschen aus Ihrem engeren Umfeld?

Oelrich: Ja, aber das sind weniger engere Freunde, sondern Leute, die ich neu kennenlerne. Ich war zum Beispiel vor einer Woche bei einem Fußballspiel von meinem Bruder, und da haben Männer teilweise Sprüche rausgehauen, bei denen ich mir dachte: Boah, ihr seid aber auch echt richtige Originale! Durch solche Momente entstehen meine Figuren. Letztens habe ich auch eine Sängerin in einer Schlagershow gesehen, die mich für die Figur Monika Angel inspiriert hat. Menschen sind eine gute Inspirationsquelle.

teleschau: Haben Sie eine Lieblingsfigur?

Oelrich: Puh, das ist schwierig zu beantworten ... Meistens sind das die Charaktere, die noch neu sind, weil man noch viel an ihnen entwickeln kann. Die Rolle Sandra spiele ich schon seit 16 Jahren, und ich kenne sie in- und auswendig. Da weiß ich genau, wie sie auf gewisse Situationen reagieren würde. Wenn ich Rollen wie Monika Angel spiele, muss ich mich richtig konzentrieren. Aber das macht Spaß, weil ich den neuen Figuren noch einen gewissen Touch verleihen kann.

teleschau: Gibt es eine Rolle, die an Sie selbst erinnert?

Oelrich: Oh Gott, ich hoffe nicht (lacht). Ich glaube aber, wenn es eine Figur gibt, die mir am ähnlichsten ist, wäre das Marianne. Sie ist sehr positiv eingestellt und etwas verträumt. Mir fällt keine andere Rolle ein, in der ich mich eher sehen würde als sie. Wegen meines Jobs denken viele Leute, dass ich privat voll lustig bin, aber das ist gar nicht so der Fall. Ich bin relativ ruhig und zurückgezogen und gehe nicht gerne feiern oder so. Alles, was in mir ist, lasse ich in meinen Videos raus.

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"In Wesselburen habe ich meine Ruhe"

teleschau: Sie kommen aus der Kleinstadt Wesselburen im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein, die nicht einmal 4.000 Einwohner hat. Haben sich die Menschen dort daran gewöhnt, dass sie unter sich einen Promi haben, der solche Videos dreht?

Oelrich: Doch, ich würde schon sagen, dass sie sich daran gewöhnt haben. Ich habe dort von klein auf gewohnt. Schon als Teenager bin ich in Wesselburen oft auf der Bühne gestanden, mit der Schule haben wir auch viele Musicals veranstaltet. Deswegen kannten mich alle schon immer ein bisschen und wussten, dass ich gerne etwas in dieser Richtung mache. Hier weiß auch jeder, was mein Beruf ist, und es spricht mich kaum einer darauf an. In Wesselburen habe ich meine Ruhe. Außer im Sommer, wenn viele Urlauber dort sind. Dann werde ich öfters angesprochen und mache Fotos. Ich könnte mir nicht vorstellen, in eine andere Stadt zu ziehen.

teleschau: Bis 2015 haben Sie noch an einer Grundschule gearbeitet ...

Oelrich: Die Viertklässler wussten schon, was ich auf YouTube mache. Durch mein Auftreten konnte ich aber relativ verdeutlichen, dass ich in der Schule nicht Freshtorge bin, sondern der Erzieher und eine ganz andere Autorität habe. Eigentlich hat das immer sehr gut geklappt, auch bei den Elterngesprächen. Ich muss aber dazu sagen, dass es jetzt schwieriger wäre, weil mich die meisten Erwachsenen seit meinen Figuren Helga und Marianne kennen. Dadurch ist eine andere Fanbase dazugekommen. Aber die Eltern waren immer recht ruhig, weil sie nordisch geprägt sind. Wir sind eher unaufgeregt und kühl.

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"Ich kann mir keine andere Arbeit auf der Welt vorstellen, die mir mehr Spaß machen würde"

teleschau: Wieso haben Sie aufgehört, an der Grundschule zu arbeiten?

Oelrich: Ich habe beide Berufe nur so halb gemacht. Vormittags habe ich als Erzieher gearbeitet und nachmittags die Videos gedreht. Ich konnte mich nicht wirklich auf eine Sache voll konzentrieren. Da musste ich eine Entscheidung treffen. Mein damaliger Chef hat mir auch angeboten, dass ich jederzeit an der Grundschule anfangen kann, wenn das mit YouTube nicht läuft. Das hat mir die Sicherheit gegeben, das mal auszuprobieren.

teleschau: Warum haben Sie sich letztendlich für YouTube entschieden?

Oelrich: Am Ende war es die größere Leidenschaft. YouTube, das Schauspiel, Sketch, Comedy - für all das habe ich mehr gebrannt als für meinen Job als Erzieher. Ich konnte mein Hobby, das ich schon mein Leben lang ausgeführt habe, nun zum Beruf machen. Und jetzt kann ich davon leben. Besser hätte es mich nicht treffen können. Ich kann mir keine andere Arbeit auf der Welt vorstellen, die mir mehr Spaß machen würde als das, was ich gerade mache.

teleschau: Der Kosmos Influencer und Content Creator wird von der älteren Generation eher skeptisch betrachtet. Können Sie das nachvollziehen?

Oelrich: Zum Teil. Eigentlich ist es wie beim Fernsehen. Dort gibt es Sendungen, die wirklich gelungen sind und solche, die absoluter Müll sind. In der Online- und Creatorwelt ist das auch so. Es gibt Menschen, die sehr kreativ und diszipliniert sind und innovative Ideen entwickeln. Aber es gibt auch Leute, die das nicht machen und oftmals über die Stränge schlagen, um Klicks zu bekommen. Die ihre Kinder abfilmen, die man auch sieht, und jeden einzelnen Moment mit der Öffentlichkeit teilen, und wenn sie von dem Tod ihrer Oma erfahren, erst einmal die Handykamera rausholen, um zu zeigen, dass man weint. So was ist natürlich zu kritisieren. Was aber nicht bedeutet, dass automatisch alles schlecht ist.

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"YouTube ist meine Heimat"

teleschau: Hat sich das Bild über dieses Berufsfeld in den letzten Jahren geändert?

Oelrich: Ich glaube, es ist schon ein größeres Bewusstsein dafür da, dass viel mehr in dieser Welt stattfindet. Mittlerweile ist angekommen, dass sich das Fernsehen etwas überlegen muss, wenn es in den nächsten zehn bis 15 Jahren relevant sein möchte. Die Menschen, die sich abends ARD oder ZDF anschauen, sind über 60. Diese Leute haben, hoffentlich, noch einige Jahre zu leben - aber trotzdem muss man sich fragen, wer sich zukünftig um 20.15 Uhr den Krimi im öffentlich-rechtlichen Fernsehen noch anschaut. Da muss unbedingt ein Umdenken stattfinden. Das passiert nach und nach auch mit dem wirklich guten Angebot in den Mediatheken, aber für mich nicht wirklich schnell genug.

teleschau: Wie könnte man die Entwicklung beschleunigen?

Oelrich: Ich kann da nur aus meiner Perspektive sprechen, weil ich an den Prozessen nicht beteiligt bin und zum ersten Mal mit dem ZDF arbeite, was wirklich sehr erfrischend war. Was ein großes Problem darstellt, sind die Strukturen, dieser riesige Apparat "Öffentlich-Rechtlich" und auch sicher sehr alt eingesessene Herren und Denkstrukturen. Wenn man da irgendetwas verändern möchte, dauert das Jahre. Zwar hat man gute Ideen, die man vorstellt, aber dann wird gesagt: "Das können wir nicht umsetzen, weil ...". Und dann hat man keine Lust mehr.

teleschau: Sie haben eine beachtliche Reichweite, unter anderem fast vier Millionen Abonnenten auf YouTube. Warum haben Sie die Folgen von "Einsame Herzen" nicht auf Ihrem Kanal hochgeladen?

Oelrich: Ich wollte schon länger mit den öffentlich-rechtlichen Sendern arbeiten, um frischen Wind und Ideen reinzubringen und auch deswegen, weil es da andere Möglichkeiten gibt, größere Ideen umzusetzen. Ich wohne hier auf dem Dorf und habe nur meine Schwester, die das mit mir macht. Wir organisieren alles selbst. Dank eines großen Filmteams und der langen Drehbuchentwicklung konnten wir etwas Tolles wie die "Einsamen Herzen" umsetzen. YouTube ist meine Heimat, mit der Mediathek gehe auch ich online neue spannende Wege.

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"So wie meine Figuren auf YouTube haben sie alle einen an der Klatsche"

teleschau: Glauben Sie, dass Sie mit dieser Zusammenarbeit vermehrt die Generation Fernsehen ansprechen? Die meisten jüngeren Leute sind ja heutzutage auf Streamingplattformen unterwegs ...

Oelrich: Ja, ich gucke auch nur noch wenig lineares Fernsehen - es sei denn, es handelt sich um Nachrichten oder Politiksendungen. Sonst sind es nur Mediatheken, Netflix und Co. Bei meiner Serie liegt der Fokus auf der ZDFmediathek. Da ist der Sprung von meinen Zuschauern gar nicht so weit. Ich kann mir aber vorstellen, dass viele von den jüngeren Leuten - die ich auch habe - zum ersten Mal in der Mediathek sind und die kennenlernen. Das ist eine schöne Sache.

teleschau: Ihre Serie dreht sich um das Thema Dating. Mal was ganz Neues!

Oelrich: (lacht) Wir wollten für unser Format einen Rahmen haben. Dabei war es mir besonders wichtig, die Richtung Sketch-Comedy zu vermeiden, also das, was früher oft gemacht wurde. Mein Ziel war es, eine eigene Welt zu erschaffen. Mit ein paar Leuten sind wir hier an der Nordsee zusammengesessen, um zu brainstormen. Ich weiß auch gar nicht mehr, wer die Idee hatte. Aber irgendwann haben wir beschlossen, die "einsamen Herzen" in eine Datingshow zu packen und eine Sendung für unvermittelbare Singles zu entwickeln. Wenn man sich die Sendung anschaut, wird klar, warum die unvermittelbar sind. So wie meine Figuren auf YouTube haben sie alle einen an der Klatsche.

teleschau: Und die Inspiration für diese Rollen haben Sie wieder aus Begegnungen geschöpft?

Oelrich: Ja, aber bei manchen Figuren haben wir uns an einen Tisch gesetzt und überlegt, wen wir erzählen könnten und welche Menschen es überhaupt in Deutschland gibt. Dabei sind tolle Charaktere wie Dieter Wolfram entstanden. Er ist sehr beamtenmäßig unterwegs, null spontan und total deutsch. Dann gibt es noch Bettina, die überall versucht, einen Thermomix zu verkaufen. Also prototypische Figuren, Menschen, die es wirklich gibt. Manche sind aber so überzogen, dass ich wiederum hoffe, dass sich keiner angesprochen fühlt (lacht).

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