22.09.2024 von SWYRL/Martina Maier
"Kommissarin Lucas"-Darstellerin Ulrike Kriener hat sich vom Krimi-Genre verabschiedet und startet nun mit Komödien richtig durch. Arrogant und übergriffig gibt sie sich in "Alle nicht ganz dicht" (ZDF).
Als sie sich vor rund einem Jahr nach 20 Dienstjahren von ihrer bekanntesten Rolle, jener der Kommissarin Lucas, verabschiedete, hatte Schauspielerin Ulrike Kriener bereits Zukunftspläne geschmiedet. Neben Reisen und mehr Familienzeit mit Mann und Sohn wolle sie sich nun auf Komödien konzentrieren, versprach sie den Zuschauern. Bis heute hat die gebürtige Bottroperin, die an Heiligabend ihr 70. Lebensjahr vollendet, mehrere "leichte Stoffe" abgedreht und weitere in der Pipeline. In "Alle nicht ganz dicht" (am Donnerstag, 26. September, im ZDF, vorab in der Mediathek) spielt sie eine Frau kurz vor der Rente, die beruflich erfolgreich war und sich plötzlich auf einen neuen Posten degradiert wiederfindet, mit ihrem Sohn als Vorgesetzten. Ulrike Kriener lacht, als sie von der Rolle erzählt, und lobt den Mut und die Frechheit ihrer Figur. Im Gespräch gibt sie sich mal nachdenklich, mal forsch, sehr offen und ohne Scheu, auch mal Kritik zu üben. Ulrike Kriener, die sich seit vielen Jahren für Kinderhospize engagiert, über Mut zur Hässlichkeit im Schauspielberuf, ihre Faszination mit Technik und ihren zweiten Kirchenaustritt.
teleschau: Sie haben im vergangenen Herbst gesagt, Sie wollten sich erst mal ganz auf Komödien fokussieren. Jetzt haben Sie mit "Alle nicht ganz dicht" eine Komödie gedreht, deren Figur Barbara Lucke nicht nur lustig ist. Oder wie haben Sie das empfunden?
Ulrike Kriener: Die Rolle beschreibt genau die Lebensphase, in der ich und viele meiner Freunde und Freundinnen sich befinden, nämlich den Übergang in das Alter. Barbara Lucke lebt und arbeitet in Strukturen, in denen man zu einem festen Datum aufhört zu arbeiten, aber das hat sie nie so realisiert. Auch nicht, dass ihr Sohn nicht mehr von ihr behütet werden muss und will. Da zeigt sich ihre Verdrängung im privaten Leben genauso wie im beruflichen Leben, und plötzlich gerät sie in eine Verteidigungsposition, mit der sie nicht gerechnet hat.
teleschau: Könnte Barbara Lucke eine Freundin von Ihnen sein?
Ulrike Kriener: Ja, denn was mir an ihr gefällt, ist ihre Kampflust und ihr Mut, klar ihre Meinung zu sagen. Aber ich glaube, sie wäre eine Freundin, bei der man sich immer wieder gegen ihre Übergriffigkeit und Besserwisserei wehren muss.
teleschau: Ihr Sohn ist ungefähr im selben Alter wie Barbaras Sohn. Was würden Sie ihr gern von Mutter zu Mutter für einen Rat geben?
Ulrike Kriener: Ich würde ihr raten, ihrem Kind zuzutrauen, sein eigenes Leben zu leben und ihm den Raum zu geben, damit es eigene Entscheidungen und auch eigene Fehler machen kann.
teleschau: Es gibt nicht viele deutsche Filme mit derart vielen Anglizismen und Tech-Sprech. Sind Sie sehr technikaffin?
Ulrike Kriener: (lacht) Na ja ... geht so, aber ich verlange von mir, dass ich in bestimmtem Ausmaß mitgehe. An meinen Eltern habe ich gesehen, dass es problematisch ist, sich komplett von der technischen Entwicklung abzuwenden. Es verstärkt die Abhängigkeit und verunmöglicht auch schöne Dinge. Auf der anderen Seite finde ich es nicht tragbar, dass alte Leute nur am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, wenn sie sich am Computer und mit dem Internet auskennen. Das Angebot muss immer noch auch für ältere oder eingeschränkte Menschen gelten, ohne dass sie angeraunzt werden: "Sie haben doch sicher jemanden, der Ihnen hilft." Sie sollen ihre Dinge selbstständig erledigen können, und das heißt eben auch analog.
teleschau: Haben Sie Ihr Verständnis von Technik von Ihrem Vater mitbekommen?
Ulrike Kriener: Ja, er hat mich dazu herangezogen. Ein technisches Problem im Haus mit dem Schraubenzieher selbst zu lösen, macht mir überhaupt keine Probleme, und ich habe auch Interesse an Technik und Fortschritt. Die Entwicklung geht ja immer weiter. Ich muss nicht alles selber lernen, aber ich lese viel darüber, schaue viel, habe mir eine Wärmepumpenheizung einbauen lassen, solche Dinge.
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"Kommissarin Lucas' passte perfekt in meine Lebenssituation"
teleschau: In einem Interview mit "Kirche und Leben" vor einigen Monaten ging es um Glaubensfragen. Sie erzählten, dass Sie zum zweiten Mal aus der Kirche ausgetreten seien. Wäre für Sie ein Wiedereintritt überhaupt denkbar?
Ulrike Kriener: Ich bin der Kirche gegenüber nicht vollkommen abgewendet und mit dem Schritt, den ich jetzt gegangen bin, auch nicht vollkommen erlöst, erleichtert und glücklich. Aber ich war es vorher, in der Kirche, auch nicht mehr. Trotzdem fehlt mir jetzt etwas. Es gibt einfach keine Lösung, die mich gänzlich zufrieden macht, das akzeptiere ich jetzt.
teleschau: Was kritisieren Sie?
Ulrike Kriener: Ich bin gläubig, ich fühle mich verbunden, aber ich möchte kein Bestandteil der katholischen Kirche mehr sein. Das hat natürlich auch mit dem zu tun, was wir alle, immer wieder, in den Zeitungen lesen, mit dem Missbrauch, mit der sich nicht entwickelnden Ökumene, mit vielen anderen Dingen der Kirchenpolitik. Ich trenne zwischen der Religion und der Institution. Und der Religion bin ich treu, von der kann ich mich gar nicht trennen, weil sie Bestandteil und Basis unserer Kultur ist.
teleschau: In der Doku "Unsichtbar? Schauspielerinnen ab 50" sprachen Sie vor Kurzem davon, dass es schwierig sei, für Schauspielerinnen ab 50 noch gute Rollen zu bekommen. Sie übernahmen die Rolle der Kommissarin Lucas mit Ende 40. War Ihr Alter für Sie mit ein Grund, warum Sie damals ein langfristiges Projekt zugesagt haben?
Ulrike Kriener: Überhaupt nicht! Der Hauptgrund war, dass es eine super interessante Rolle war, und sie passte perfekt in meine Lebenssituation. Ich hatte einen kleinen Jungen, der in die Schule gehen musste. Es war ein Privileg, vor Ort meinen Beruf ausüben und ein relativ normales Familienleben führen zu können, weil die Reihe in München und die Außenaufnahmen in Regensburg gedreht wurden. Es war ein großes Glück.
teleschau: Haben Sie jemals Diskriminierung aufgrund des Alters erfahren?
Ulrike Kriener: Nein. Vielleicht gibt es eine Diskriminierung, die ich nicht mitbekomme, dass man hinter meinem Rücken sagt, nee, die sieht zu alt aus. Die Besetzungen werden ja nicht öffentlich diskutiert. Dass Rollen für Frauen ab einem gewissen Alter spärlicher werden, ist eine Tatsache. Das hat allerdings sicher viele Gründe, das wäre sicher noch mal ein eigenes Gespräch wert.
teleschau: Ihre Kolleginnen beklagen gelegentlich, dass sie eine bestimmte Rolle nur bekommen, wenn sie sich jünger schminken lassen und die Haare entsprechend verändern ...
Ulrike Kriener: Das ist doch normal und Bestandteil des Berufs. Ich werde nicht als Ulrike Kriener besetzt, sondern als Schauspielerin, die bereit ist, sich zu verändern. Sich mal dicker zu machen mit einem Fatsuit, oder ein paar Kilo abzunehmen oder eine Perücke zu tragen, die Haare zu verändern, das alles gehört zum Beruf und hat nichts mit Diskriminierung zu tun. Wie ich in echt aussehe, ist dabei vollkommen wurscht (lacht).
"Um beim Film eine Chance zu bekommen, musste man entdeckt werden"
teleschau: Wie war das erste Jahr ohne "Kommissarin Lucas"?
Ulrike Kriener: Ich denke immer noch gerne an diese Zeit und habe dabei ein sehr warmes, gutes Gefühl. Kürzlich bin ich mit meinem Mann durch Bayern gefahren und entdeckte etliche Drehorte. Sofort dachte ich: Da war die Basis, da stand das Catering. Oft weiß ich dann nicht mehr, welche Folge das war, aber natürlich ist das immer bei mir. Es ist die Rolle gewesen, die mein Berufsleben am meisten geprägt hat. Was ich vermisse, sind bestimmte Menschen, mit denen ich zu tun gehabt habe, aber ich bin mit vielen von ihnen noch immer verbunden.
teleschau: Werden Sie noch immer als Frau Lucas angesprochen?
Ulrike Kriener: Nein, die Leute wissen schon, dass ich Ulrike Kriener bin. Aber natürlich werde ich wiedererkannt. Damit habe ich überhaupt kein Problem. Solange die Menschen freundlich sind und mich nicht anfangen, heimlich zu fotografieren, freue ich mich darüber.
teleschau: Sie waren zuerst in einer Ausbildung zur Arzthelferin, bevor Sie Ihrer Freundin auf die Schauspielschule gefolgt sind. Bei den meisten geht es nach der Ausbildung erst mal ins Theater. War Ihnen immer klar, dass Sie den Sprung zum Fernsehen anstreben würden?
Ulrike Kriener: Nach der mittleren Reife dachte ich, ich gehe von der Schule ab und fing dann die Ausbildung zur Arzthelferin an. Aber ich merkte schnell, das ist nicht das Richtige. Also machte ich mein Abitur und ging dann auf die Schauspielschule. Damals war es völlig klar, dass das Ziel immer das Theater war. Um beim Film eine Chance zu bekommen, musste man entdeckt werden.
teleschau: Bei Ihnen passierte das sehr früh, richtig?
Ulrike Kriener: Ich hatte das Glück, dass ich schon während der Ausbildung für den Film "Britta" entdeckt wurde, in dem Laien und professionelle Schauspieler spielten. Dieser Film hat mir die Möglichkeit gegeben, dass man mich gesehen hat. So auch Doris Dörrie, die ich dadurch kennenlernte, und später "Männer" mit ihr drehte.
teleschau: Die Arbeit vor der Kamera hat Sie mehr begeistert als das Theater?
Ulrike Kriener: Ja, das muss man schon so sagen. Die Art und Weise der Arbeit beim Film hat mir immer mehr Spaß gemacht: dieses Rumgurken, unterschiedliche Motive, jeden Tag woanders sein, das schnelle Arbeiten, an Originalschauplätzen zu sein, in wechselnden Konstellationen zu arbeiten, alle diese Dinge sind mir mehr entgegengekommen.
teleschau: Sie sagten auch, Sie hätten immer Interesse an Sprache gehabt, und es sei Ihnen klar gewesen, dass Sprache in Ihrem Beruf eine wichtige Rolle würde spielen müssen. Wie stehen Sie zu Fremdsprachen - ein Hobby von Ihnen?
Ulrike Kriener: Nein, leider nicht so sehr. Aber ich glaube, jetzt wird es das. Gerade habe ich einen Intensiv-Kurs in Spanisch gemacht. Da mache ich sicher weiter. Ich spreche Englisch so lala und mein Schul-Französisch ... Damit möchte ich möglichst gar kein Wort sagen. (lacht).
teleschau: Nutzen Sie Sprach-Lern-Apps?
Ulrike Kriener: Im Prinzip lerne ich lieber mit einem Lehrer, aber ich werde eine Sprach-App zusätzlich nutzen.
teleschau: Welche weiteren Projekte sind in der Pipeline?
Ulrike Kriener: Gerade habe ich eine wunderbare Arbeit für das ZDF in Prag abgeschlossen. Der umwerfende Rolf Lassgård war mein Partner, und ich habe jeden Tag genossen. Und ich denke, auf den fertigen Film kann man sich wirklich freuen. Es gibt auch noch mögliche andere Projekt für das nächste Jahr, das warte ich ruhig ab.
teleschau: Vor einem Jahr sagten Sie, Sie hätten ganz viel Lust zu reisen und Zeit mit Ihrem Sohn zu verbringen. Haben Sie das verwirklichen können?
Ulrike Kriener: Auf jeden Fall. Ich war in diesem Jahr schon in Brasilien und auf Lanzarote. Wir reisen auf jeden Fall mehr, und ich kann so leben, wie ich mir das gewünscht habe. Für was soll man solche Pläne auch noch aufschieben? Ich bin nicht mehr in dem Alter, wo ich Dinge verschieben will.