"Tatort"-Schauspieler Roland Riebeling im Interview

"Wir leben in einer Zeit, in der man sich ständig verlieren kann"

14.09.2021 von SWYRL/Eric Leimann

Im Kölner "Tatort" spielt Roland Riebeling seit 2018 den schnarchnasigen Kommissar Norbert Jütte. Eine untypische Krimi-Figur, weil sich normale TV-Ermittler gerne mal komplett in ihren Fälle verlieren. Jütte jedoch lebt die Distanz - und kritisiert so unsere auf Leistung gebürstete Gesellschaft.

Seit 2018 ist Roland Riebeling im Kölner "Tatort" für die ein oder andere - oft komische - Szene zuständig. Als "Dienst nach Vorschrift"-Ermittler Norbert Jütte verkörpert er eine Ruhe und Distanz, die man sich in einem fiktionalen Krimi-Drehbuch erst mal leisten muss. Jütte ist eine Figur, die - immer dann, wenn sie mehr als nur komisch ist - gegen den Zeitgeist der extremen Effizienz schießt. Was erlaubt sich dieser Jütte eigentlich, denken sich auch die Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) immer wieder? Im neuen Fall "Tatort: Der Reiz des Bösen" (Sonntag, 19. September, 20.15 Uhr, ARD), in dem es um Frauen geht, die sich zu Gewalttätern hingezogen fühlen, kommt Jütte eine deutlich größere Rolle als sonst zu. Ein guter Anlass, um mit dem renommierten Theater-Darsteller und Schauspieldozenten Roland Riebeling zu klären, warum wir alle eine Menge von Jütte lernen können.

teleschau: Sie waren um den Jahreswechsel ziemlich heftig an Corona erkrankt. Wie geht es Ihnen heute?

Roland Riebeling: Mittlerweile geht es mir wieder gut. Vielleicht lässt es sich medizinisch nicht erklären, aber ich fühle mich nochmal fitter, seit ich Ende April meine Impfung bekommen habe. Irgendwie hat mir die noch mal einen positiven Schub gegeben.

teleschau: Das heißt aber auch, dass sie über Monate mit den Folgen der Erkrankung zu kämpfen hatten?

Riebeling: Ja, ich habe die Folgen noch lange gespürt. Es ging mir immer wieder mal schlecht - tageweise. Dann fühlte ich mich abgeschlagen, hatte ziemlich Konzentrationsschwächen. Etwa ein halbes Jahr ging das so. Selbst heute merke ich es noch ab und zu. Auch der Geruchssinn ist hin und wieder noch weg. Also, es wird besser - aber ich kann ganz klar sagen: Es ist eine Infektion, die man sehr ernst nehmen muss.

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"Es arbeiten nicht immer alle am Anschlag"

teleschau: Wie sieht es mit Sport aus, geht das schon wieder?

Riebeling: Ja - und das ist ein sehr gutes Gefühl. Ich mache tatsächlich fast jeden Tag Sport, selbst wenn ich vielleicht nicht so aussehe (lacht). Ich laufe, fahre Rad und trainiere an Geräten im Fitness-Studio. Auch da merke ich, nach bald einem dreiviertel Jahr, dass ich wieder auf einem guten Level bin.

teleschau: Im Kölner "Tatort" spielen Sie Norbert Jütte, ebenfalls ein Mann mit Krankheitserfahrung. Seit er einen Herzinfarkt hatte, ist er so eine Art Reha-Kommissar ...

Riebeling: Das ist richtig. Die Figur wurde 2018 so eingeführt, dass er ein ziemlich langsamer Typ ist. Und das nicht, weil Jütte nicht will, sondern weil er nicht anders kann. Es wurde allerdings nie erklärt, wie es zum Zusammenbruch Jüttes kam. Das erfährt man nun in der neuen Folge.

teleschau: Jütte ist eine sehr ungewöhnliche Ermittlerfigur, weil er sich dem Job eben nicht manisch verschrieben hat, sondern Abstand und Ruhe sucht. Interessant zu spielen?

Riebeling: Ja, total. Jütte ist eine Nebenfigur, die unsere Hauptfiguren zu ungewöhnlichen Reaktionen herausfordert, weil sie sich eben anders verhält als im fiktiven Kriminalkosmos üblich. Er dramatisiert nicht, sondern er sucht im Climax-Moment die Entspannung. Er gießt erst mal einen Tee auf, wenn die anderen in hektische Action verfallen. Und wenn sich andere die Nacht um die Ohren schlagen, macht er Feierabend.

teleschau: Klingt nach Comedy. Ist so etwas im Krimi nicht gefährlich?

Riebeling: Zunächst mal ist es realistisch. Es arbeiten nicht immer alle am Anschlag, das muss aber auch nicht sein. Jütte hat den Preis dafür bezahlt, dass er mal anders drauf war. Insofern könnte man ihn auch als klugen Charakter bezeichnen. Und er ist ja nicht dumm. Immer dann, wenn man es nicht erwartet, überrascht Jütte mit akribischer Arbeit und Analysen, die fast nie falsch sind.

"Ich brauche Ruhe' ist ein Satz, den man heute kaum noch aussprechen darf"

teleschau: Jütte nervt seine Kollegen aber auch mit "Dienst nach Vorschrift" und Beamtenmentalität. Gehört er zu jener Sorte Arbeitnehmer, die man von früher kennt, die aber in der heutigen Effizienz-Gesellschaft immer weniger zu werden scheinen?

Riebeling: Jütte hat Qualitäten, die heute nicht mehr so anerkannt werden: Ruhe, Akribie, aber auch eine gute Intuition, die aus der Ruhe erwächst. Unsere Gesellschaft, gerade unser Arbeitsleben, ist mittlerweile ziemlich überdreht. Alles muss immer schneller, weiter und höher gemacht werden. Optimierung ist das Wort unserer Zeit. Das macht nur leider keine glücklichen Menschen aus uns, weil es auf Dauer ungeheuer anstrengend und im Endeffekt gar nicht zu schaffen ist. Jütte erinnert uns daran, dass es noch andere Wege gibt, mit der Welt da draußen umzugehen.

teleschau: Also ist Jütte ein Vorbild in Sachen Lebensgestaltung?

Riebeling: Für mich schon. Wir leben in einer Zeit, in der man sich ständig verlieren kann. Ich kenne ja noch Zeiten, da gab es kein Internet, keine Handys. Manchmal war man einfach für sich und musste aus dem Fenster schauen, um sich zu unterhalten. Ich lehre Schauspiel an der Hochschule und unterhalte mich mit meinen Studenten, die natürlich einer anderen Generation angehören, recht oft über dieses Phänomen der uns abhanden gekommenen großen Pause. Wir vergessen oft, dass sich unser Alltagsleben innerhalb nur einer Generation komplett verändert hat. "Ich brauche Ruhe", ist ein Satz, den man heute kaum noch aussprechen darf. Da wird man angeschaut, als käme man aus einer anderen Zeit (lacht).

teleschau: Sie waren lange Jahre Theaterschauspieler und im Ensemble des Schauspielhauses Bochum. Jetzt aber nicht mehr?

Riebeling: Nein, ich lebe zwar noch im Bochum, bin aber nicht mehr im Ensemble. Tatsächlich habe ich um 2018 herum, als der "Tatort" begann, mit der Festanstellung aufgehört. Der Bühne bin ich aber noch sehr verbunden. Nicht zuletzt dadurch, dass ich in Bochum und Osnabrück an der Schauspielschule als Dozent arbeite. In Osnabrück leite ich den Schauspiel-Zweig für jene Schüler, die dort eine Musical-Ausbildung machen. Es ist die Schule, die uns den letzten deutschen Eurovision Song Contest-Teilnehmer gebracht hat.

teleschau: Jendrik war ein Schüler von Ihnen?

Riebeling: Nein, ihn habe ich knapp verpasst. Er war gerade von der Schule abgegangen, als ich dort anfing. Aber ich arbeite fieberhaft an der Ausbildung des nächsten deutschen Eurovision Song Contest-Teilnehmers (lacht) ...

Roland Riebeling in "How to Sell Drugs Online (Fast)"

teleschau: Es ist momentan vermutlich ohnehin besser, nicht als freier Schauspieler auf Theaterengagements angewiesen zu sein ...

Riebeling: Ja, wegen Corona ist die Situation für freie Schauspieler am Theater ziemlich schwierig. Man weiß halt nach wie vor nicht so richtig, wie es mit dem Spielen weitergeht, wie sich die ganze Sache entwickelt. Insofern bin ich als Filmschauspieler und Dozent gerade auf der etwas sichereren Seite. Ich inszeniere auch selbst an der Bühne und werde auch ganz sicher wieder spielen. Mit der Oper in Duisburg bin ich im Gespräch für ein Projekt im Januar. Ich bin zu sehr Theaterfan, als dass ich die Bühne als Schauspieler aufgeben könnte.

teleschau: In der Netflix-Serie "How to Sell Drugs Online (Fast)" spielen Sie den Vater der Hauptfigur. Vor kurzem erschien die dritte Staffel. Wird es auch mit dieser Rolle weitergehen?

Riebeling: Netflix lässt sich immer ein bisschen Zeit, um zu entscheiden, ob es weitergeht. Aber ich denke, es sieht ganz gut aus. Soweit ich informiert bin, sind wir selbst in den amerikanischen Netflix-Charts schon wieder in den Top 10. Insofern kann man sagen, dass wir eine sehr erfolgreiche Serie produzieren. Ich kann keine Prognose abgeben, weil es nicht mein Verantwortungsbereich ist - aber von den Zahlen her ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass wir eine nächste Staffel bekommen werden.

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