Evangelikale – Mit Gott an die Macht - Di. 04.04. - ARTE: 20.15 Uhr

"Da wurden jeden Tag 15 neue Gemeinden gegründet": Doku zeigt unfassbaren Aufstieg der Evangelikalen

31.03.2023 von SWYRL/Elisa Eberle

Rund 660 Millionen Christen bezeichnen sich weltweit als Evangelikale. Schon in wenigen Jahren könnten es schätzungsweise 800 Millionen sein. Wie gelang dieser unfassbare Aufstieg? Und was macht die Glaubensgemeinschaft so problematisch? Ein ARTE-Dreiteiler erklärt.

Es waren Bilder, die die Welt bewegten: Am 6. Januar 2021 brach ein wütender Mob ins Kapitol in Washington ein, zerstörte Teile der Einrichtung, besetzte den Sitzungssaal des Repräsentantenhauses und forderte den eben abgewählten Donald Trump zurück ins Präsidentenamt. Aber - und das mag angesichts der Brutalität ein wenig befremdlich wirken - manche von ihnen beteten auch. Denn ein nicht kleiner Teil jener Aufständischen versteht sich als Evangelikale, als Angehörige einer Glaubensgemeinschaft, die in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend an Macht und Einfluss gewann. Der investigative ARTE-Dreiteiler "Evangelikale - Mit Gott an die Macht" von Thomas Johnson dokumentiert ihren beispiellosen Aufstieg in Ländern wie den USA oder Brasilien. Von den "Erweckungspredigten" des charismatischen Billy Graham bis hin zur Wiedereinführung des Abtreibungsverbots in den USA 2022.

Der 1918 geborene Amerikaner Graham, der von dem französischen Philosophen Roland Barthes einst mit einem "Marktschreier" verglichen wurde, schaffte es, während des Kalten Krieges nahezu täglich Millionen von Menschen auf der ganzen Welt zu missionieren: "Es gab eine Zeit, da wurden jeden Tag 15 neue Gemeinden gegründet", erinnert sich Billy Kim, Pastor der Central Baptist Church, in der südkoreanischen Stadt Suwon. Und die Glaubensrichtung wächst auf unfassbare Weise weiter: "Von 2010 bis 2020 ist die Zahl der Evangelikalen um 30 Prozent gestiegen", heißt es in der Doku. "Die Weltbevölkerung nur um zwölf Prozent". Einen deutlichen Zuwachs verzeichnet vor allem Afrika: Allein in Nigeria gibt es 25 sogenannte "Megachurches", eines der größten Gotteshäuser ist ein Kilometer lang.

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"Das bedauere ich zutiefst": Ein Aussteiger berichtet

Mit Geldern aus der Ölbranche kämpfte Graham für einen evangelikalen Kapitalismus, trug seinen Glauben ins Weiße Haus und fungierte als spiritueller Berater mehrerer US-Präsidenten. Als er sich im Zuge der Watergate-Affäre 1972 aus der Politik zurückzog, hatte seine Karriere bereits extremeren TV-Missionaren den Weg geebnet: Francis Schaeffer, der Gründer der "ProLife"-Bewegung", warb in einem eigens produzierten Werbefilm gegen Abtreibung und für den Schutz traditioneller Familien - zwei Werte, die Evangelikale, die auch Darwins Evolutionstheorie und den Klimawandel leugnen, bis heute hochhalten.

Schaeffers Sohn Francis, der das Drehbuch schrieb, zählt zu jenen Aussteigern, die in der dreiteiligen Doku zu Wort kommen: "Leider war unsere Reihe sehr erfolgreich, was die Propaganda anbelangt", sagt er: "Das bedauere ich zutiefst." Seit seinem Ausstieg vor 30 Jahren versuche er deshalb, "den angerichteten Schaden wieder gutzumachen", indem er "über echte Familienwert, über Respekt und Liebe" rede, "anstatt Frauen den Zugang zu medizinischer Versorgung und Abtreibung zu verwehren".

Doch es ist nicht nur der Kontrollverlust schwangerer Frauen über ihren Körper, der Kritikerinnen und Kritiker des Evangelikalismus alarmiert. Mindestens ebenso gravierend ist der religiöse Einfluss auf politische Entscheidungen: Als Donald Trump 2017 Präsident der Vereinigten Staaten wurde, war eine seiner ersten Entscheidungen Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Damit entsprach er dem Glauben der Evangelikalen an eine "Prophezeiung" ob der baldigen Rückkehr Christi im Heiligen Land, missachtete jedoch die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern, die sich durch diesen Schritt verstärken.

"Black Lives Matter" und der Sturm auf das Kapitol

Weitere Beispiele für die angespannte Lage sind Trumps pro-evangelikale Inszenierung als Reaktion auf die "Black Lives Matter"-Bewegung und der bereits erwähnte Sturm auf das Kapitol: Michele Bachmann, eine überzeugte Republikanerin und Evangelikale, bezeichnet die Ereignisse des Dreikönigstags 2021 unfassbarer- und fälschlicherweise als Putschversuch der Antifa und der "Black Lives Matter"-Bewegung. In Wahrheit waren es die teils evangelikale QAnon-Anhänger, die eine demokratische Wahl nicht anerkennen wollten.

Als Reaktion auf diese Vorkommnisse, auf den fatalen Umgang mit der Wahrheit und weitere Auswüchse haben sich viele Evangelikale von Trump und auch von der extremistischen Richtung ihres Glaubens abgewandt. Viele jedoch vertrauen auf den ehemaligen Vizepräsidenten Mike Pence, der 2024 als "evangelikaler Thronfolger" ins Weiße Haus ziehen könnte. Er sucht bereits jetzt die Nähe zu den extremen Rechten Europas, was eines Tages üble Folgen für die Welt haben könnte.

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