04.03.2025 von SWYRL/Eric Leimann
"Tatort: Colonius" eröffnet den für Besucher schon lange stillgelegten Kölner Fernsehturm wieder. Dort fanden wohl bis 1994 heiße Clubnächte statt. Im Krimi wurde ein Partyhengst von einst ermordet. Seine Clique hing damals im Colonius rum, den der "Tatort" in Rückblenden zum Leben erweckt.
Seit 1999 ist der 266 Meter hohe Fernsehturm im Herzen Kölns nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich. Schon 1994 schlossen Gastronomie und Diskothek über den Dächern der feierfreudigen Rheinländer. Mittelalte Kölner Frohnaturen berichten von legendären Partys dort. Inspiration genug für das ortsansässige Ehepaar Eva und Volker A. Zahn, einen Fernsehkrimi zu schreiben, der die 90-er im Colonius genannten Turm wiederaufleben lassen. Die Ermittler Freddy Schenk (Dietmar Bär) und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) müssen den Mord an einem ehemaligen Szene-Fotografen, Dealer und Partyhengst aufklären, der erschlagen in seiner Wohnung liegt. Der Mann hat in letzter Zeit viel rund um seine alte Technoclique recherchiert. Was hat das Opfer im "Tatort: Colonius" vor seinem Ableben umgetrieben?
Gerade noch hat man die Colonius-Kult-DJane Angelheart (Riccarda Richter) auf dem Friedhof verabschiedet. Nun müssen drei Partyfreunde des Opfers Alex Schmitz (Sven Gerhardt) auf dem Revier "antanzen": der hippe, jung gebliebene Szene-Gastronom Renè Horvath (Andreas Pietschmann), Meike Bennis (Karoline Eichhorn), die im Kunstbetrieb tätig ist, und der bürgerlich gesetzt wirkende Christian Kohlheim (Thomas Loibl). Christian ist damals jung Vater geworden, seine Tochter Swenja (Vanessa Loibl) wurde gerade 30. Ihre Mutter Gina (in Rückblenden: Emma Bading), Christians Freundin, ist während einer der letzten Partynächte im Colonius spurlos verschwunden. Zwar gab es von ihr später zwei Postkarten aus Spanien und Nordafrika, aber die könnten auch Fake sein. Für Christian, Swenja und die ganze Gruppe war das Verschwinden Ginas ein traumatisierendes Erlebnis. Hat sich die überforderte junge Mutter 1993 vom Acker gemacht? Oder wurde auch sie ermordet?
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Tanzen im Spusi-Anzug
Es ist schon ein Coup, der dem produzierenden WDR da mit dem Drehort Colonius gelungen ist. Schließlich handelt es sich beim Fernsehturm an der Inneren Kanalstraße um einen "verbotenen Ort" inmitten der Stadt. Einer, der wie ein Mahnmal der Erinnerung ans Gestern von überall in der City und um die Stadt herum sichtbar ist.
Wie passend, dass auch der Fall auf zwei Zeitebenen spielt und immer wieder ins Jahr 1993 zurückkehrt. Zu jener Partynacht, in der die feurige Gina verschwand. Dabei gelingen Regisseurin Charlotte Rolfes ("Tatort: Pyramide") und ihrem Kameramann Rainer Lipski exzellente Colonius-Bilder von endlosen Fahrstuhlschächten, Szenen auf dem Dach oder Ermittlern im Gegenlicht mit der Großstadt zu Füßen. Selbst die Party-Szenen von 1993 zu Technobeats sind in Ordnung. Fachleute wissen, wie schwer überzeugendes Feiern mit vielen Menschen zur Musik im Film zu realisieren sind. Ekstase lässt sich eben nur schwer auf Knopfdruck herstellen.
Überhaupt spielt im 93. Fall von Ballauf und Schenk Techno immer wieder eine Rolle. Dankenswerterweise hat man nicht versucht, den Kommissaren Mitte 60 entsprechende Club-Biografien in die fiktive Timeline zu schreiben. Aber - es gibt andere schöne Ideen: Einmal untersucht Spurensicherungs-Expertin Natalie Förster (Tinka Fürst) nachts alleine die Wohnung des Opfers und öffnet eine Sounddatei auf dessen Computer. Als daraufhin Technonbeats erklingen, lässt sich Natalie zu einer Tanzsession alleine in ihrem Spusi-Anzug durch die Wohnung treiben. Erfrischend und ungewöhnlich ist auch eine Szene auf dem Präsidium, in der Emotionen eskalieren und es zu Handgreiflichkeiten kommt. Die Schlägerei auf dem Amt wird in Zeitlupe zu blubbernden Soundfilter-Techno inszeniert. Eine der bislang besten Szenen im noch nicht allzu alten "Tatort"-Jahr.
Referenz an Aimee Mann und "Magnolia"
Doch wie ist er als Krimi, der neue "Tatort" mit Ballauf und Schenk? Auch wenn sich die Auflösung am Ende eines recht billigen Tricks aus der Mottenkiste des TV-Krimis bedient - was zuvor an möglichen und tatsächlichen Beziehungsgeflechten zwischen den Figuren und zwischen dem Gestern und Heute aufgebaut wird, ist sehenswert spannend. Mit Gaststars wie Andreas Pietschmann, Karoline Eichhorn und Thomas Loibl als alt gewordene Generation Techno ist der Film dazu mit sehr fähigem Personal besetzt, dem man gerne bei der Arbeit zuschaut. Vanessa Loibl, eine gefragte Theaterschauspielerin und Thomas Loibls Filmtochter, ist übrigens nicht mit diesem verwandt - was man aufgrund der Namensgleichheit denken könnte.
Am Ende hat man jenem Thomas Loibl noch eine Referenz an Paul Thomas Andersons Film "Magnolia" aus dem Jahr 1999 ins Drehbuch geschrieben. Zu einem Original-Song des wunderbaren "Magnolia" Filmscores der Songwriterin Aimee Mann regnet es vom Kölner Himmel ungewöhnliche Dinge. In "Magnolia" sind es Frösche - eine der berühmten skurrilen Szenen der Kinogeschichte. Laut Filmanalysten war dies damals sowohl eine Referenz auf die biblische Plage (und Strafe Gottes) im Buch Exodus, aber auch ein kathartisches Ereignis, das die Charaktere zur Einsicht ihrer Fehler bewegte.
Auch die Generation Techno im Kölner "Tatort" hat Fehler gemacht. Nur, dass der ein oder andere davon im Party- und Drogennebel des Jahres 1993 vorübergehend verschütt gegangen ist.