"This England" bei Sky

Serie mit Kenneth Branagh als Boris Johnson: Chronik einer totalen Überforderung

03.10.2022 von SWYRL/Julian Weinberger

Echt, echter, Kenneth Branagh: In der Politserie "This England" schafft der Schauspieler eine fast perfekte Illusion seines realen Vorbilds Boris Johnson. Aber reicht das für eine Empfehlung der Sky-Produktion?

Zerzaustes Haar, zerknautscher Blick und eine frappierende Ähnlichkeit zu Boris Johnson: Das Werbeplakat zur neuen Sky-Serie "This England" (ab 6. Oktober) mit Kenneth Branagh in der Hauptrolle triggert gekonnt die Erwartungen des Publikums. Die leicht geöffnete Tür zur Downing Street Nr. 10 suggeriert, dass die sechsteilige Mini-Serie exklusive Blicke hinter die Kulissen der britischen Polit-Machtzentrale liefert. So recht wird man aber nicht schlau aus den Geschehnissen innnerhalb der elitären Zirkel und den schwierigen Entscheidungen, die die britische Regierung um den mittlerweile ehemaligen Premier Johnson zu Beginn der Corona-Pandemie treffen mussten.

Überhaupt, so lässt es zumindest die aufwendig recherchierte Serie von Regisseur Michael Winterbottom vermuten, war es nicht unbedingt Johnson, der wegweisende Entscheidungen traf. Die vielen Zahlen und wissenschaftlichen Analysen haben den Tory-Politiker vielfach überfordert, so vermittelt es "This England". Stattdessen war es sein Stab um den karrieregeilen Berater Dominic Cummings (Simon Paisley-Day), der neue Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Auswüchse auf den Weg brachte. Johnson selbst, der von Kenneth Branagh in Mimik, Gestik und Sprache beinah originalgetreu imitiert wird, hingegen missachtet zu Beginn selbst die eigentlich primitive Vorschrift, auf das Händeschütteln zur Begrüßung zu verzichten.

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"Partygate"-Skandal spielt in "This England" keine Rolle

Stattdessen leidet der Premier darunter, von seinen Kindern getrennt zu sein. Immer wieder spricht er ihnen auf den Anrufbeantworter, so recht will die Kontaktaufnahme aber nicht fruchten. Und dann ist ja da auch noch seine Freundin Carrie (Ophelia Lovibond), die ihr erstes gemeinsames Kind erwartet.

Insgesamt bleibt der Handlungsstrang, der Johnson privat zeigt, aber vage, auch weil sich Winterbottom hütet, zu sehr über das Privatleben des umstrittenen Politikers zu spekulieren. "Unser Boris ist selbstreflektierter, als er es wahrscheinlich im wirklichen Leben ist. Vielleicht ist unsere Version näher an der Person, die sich Großbritannien gewünscht hätte", beschrieb der Serienmacher im Interview mit der "Financial Times". Man habe Johnson "vermenschlichen" wollen.

Trotz der famosen darstellerischen Leistung von Kenneth Branagh bleibt Johnson in "This England" aber erstaunlich blass und ist längst nicht so präsent, wie es die Werbekampagne um die Serie hatte vermuten lassen. Keine Spur findet sich in der Miniserie, die den Zeitraum von Anfang bis Juni 2020 abdeckt, übrigens von den berühmt-berüchtigten Lockdown-Partys, die Boris Johnson letztlich das Amt kosteten. Einfache Begründung: Die Drehbücher der Serie waren bereits fertig geschrieben, als der "Partygate"-Skandal dem Premier um die Ohren flog.

"This England" wird es in Deutschland schwer haben

Aber was ist "This England" dann, wenn schon kein aus der Sicht Johnsons erzähltes Politdrama? Nun, diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Am ehesten ist die Sky-Produktion wohl noch in die Sparte von fiktionalisierten Doku-Dramen einzuordnen. Erzählfluss, wie man ihn aus konventionellen Serien kennt, kommt nie so recht auf. Zu hektisch sind Schnittbilder aus Krankenhäusern, von wissenschaftlichen Fakten und Zahlen dominierte Lagebesprechungen und Sequenzen von recht zufällig anmutenden Einzelschicksalen von Britinnen und Briten aneinandergereiht.

Überhaupt dürfte es "This England" hierzulande schwer haben, ein Publikum zu finden. Bis auf ausgewiesene Großbritannien-Experten oder Zuschauerinnen und Zuschauer mit britischen Familienverstrickungen dürfte eine Retrospektive auf den Verlauf der ersten Corona-Welle in Großbritannien für das gemeine Streaming-Publikum schlichtweg keine Relevanz haben. Dafür reicht ein groß aufspielender Kenneth Branagh und eine vielversprechende Werbekampagne eben nicht ganz aus.

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