Umstrittene Altkanzler-Aussagen

"Völlig abstrus": Militär-Experte zerlegt im ZDF das Schröder-Interview

04.08.2022 von SWYRL/Christopher Schmitt

Mit einem Interview ließ der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder am Mittwoch aufhorchen. Seine Vorschläge zur Befriedung des Ukraine-Kriegs ordnete Militärhistoriker Sönke Neitzel im "heute journal" ein. Den Großteil der Aussagen nahm er auseinander - in einem Punkt war man sich aber einig.

"Ist das ein ernstgemeintes Vermittlungsangebot oder nur perfide Kreml-Propaganda?" Mit diesen Worten leitete Moderator Christian Sievers am Mittwochabend eine Gesprächsschalte im "heute journal" ein. Bezogen waren die Worte auf das Interview von Gaslobbyist und Altkanzler Gerhard Schröder, welches er nach einem Gespräch mit Russlands Machthaber Wladimir Putin für "stern", RTL und n-tv gab.

Unter anderem forderte Schröder, trotz des russischen Angriffskriegs mit Nordstream 2 eine weitere Gaspipeline in Betrieb zu nehmen. Auch machte er konkrete Vorschläge, wie es in seinen Augen zum Waffenstillstand in der Ukraine kommen könnte. Professor Sönke Neitzel, Militärhistoriker der Uni Potsdam, war zugeschaltet, um Schröders Aussagen einzuordnen. Seine Einschätzung zum Interview: "Aus meiner Sicht ist da keine Substanz drin."

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Neitzel: "Ich sehe in dem Interview eigentlich nur Nebelkerzen"

Neitzel betonte zwar, es sei falsch, Schröder von vornherein zu "verdammen", zerpflückte aber viele zentrale Argumente des Altkanzlers. So würde Schröder vorschlagen, die Ukraine und Russland könnten sich auf die Anerkennung der Krim, eine Kantonslösung nach Vorbild der Schweiz im Donbass sowie Nicht-Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato einigen. Doch das seien alles Punkte, die Russland vom Westen und der Ukraine "vor dem 24. Februar hätte bekommen können". Sein Fazit: "Ich sehe in dem Interview eigentlich nur Nebelkerzen."

Wie stehen die Chancen auf eine Verhandlungslösung? Laut Neitzel habe der russische Außenminister Lawrow erst vor einer Woche gesagt, dass die Ukraine ausgelöscht werden müsse. Zudem dürfe man nicht vergessen, dass aktuell 4.000 bis 5.000 Granaten täglich von der russischen Artillerie abgeschossen werden, rund 30 ukrainische Soldaten würden jeden Tag sterben. Neitzel: "Also nach Verhandlungslösung sieht das nicht aus."

Kantonslösung im Donbass "überhaupt nicht vorstellbar"

Zur Annexion der Krim war Schröders Postion: Kein russischer Präsident würde die Halbinsel jemals wieder aufgeben. Das hielt auch Neitzel für sehr unrealistisch: "Ja, da würde ich ihm auch zustimmen." Er sehe "im Gegenzug auch nicht die militärische Fähigkeit der Ukraine, die Krim zurückzuerobern". Dafür würden schlicht die Voraussetzungen fehlen. In der Frage, ob die Ukraine überhaupt den südlichen Landkorridor zurückerobern könne, gebe es ebenfalls "ganz große Fragezeichen".

Eine "de jure Anerkennung" der Krim als russisches Staatsgebiet werde es nie geben, so Neitzels Prognose. "Aber man kann sich eben auch mit der normativen Kraft des Faktischen abfinden." Dies habe der Westen im Prinzip bereits getan.

Zu Schröders Kanton-Idee für den Donbass - angelehnt an den Föderalismus der Schweiz - hatte Sönke Neitzel nur ein müdes Lächeln übrig. "Also das ist ja nun völlig abstrus aus meiner Einschätzung." Putin werde das Donbass-Gebiet nicht mehr hergeben, das er "mit so viel Blut seiner Soldaten erobert hat". Eine eigene Sprachpolitik in den sogenannten Volksrepubliken könne er sich "überhaupt nicht vorstellen". Für grundsätzlich realistisch hielt der Experte, die Grenzen des 24. Februar wiederherzustellen. Für die Ukraine wäre das ein großer Erfolg. Das Problem: "Ich sehe überhaupt nicht, dass Putin bereit wäre, so was zu akzeptieren."

Experte glaubt nicht an Kriegsende 2022

Sievers sagte, viele Menschen wollten wissen, wann der Krieg endlich ende. "Kriege werden begonnen, weil Staaten meinen, dem Gegner mit militärischen Mitteln den Willen aufzuzwingen", erklärte Neitzel. Beendet würden sie, weil das gelinge oder weil man merke, dass man mit diesen Mitteln nicht weiterkomme. Wenn es militärisch nicht reiche, müsse man sich auf einen Kompromiss einlassen.

Auf beiden Seiten sieht der Militärhistoriker "genau diesen Zwang zurzeit nicht". Er erkenne nicht, dass die Ukraine glaube, militärisch am Ende zu sein. Putin würde hingegen glauben, militärisch noch nicht alle Karten ausgespielt zu haben. "Das heißt nicht, dass es nie zu einer Kompromisslösung kommen wird", betonte der Experte. Allerdings glaube er nicht mehr in diesem Jahr nicht an eine solche.

Auch Schröders Position zu Reparaturen an einer Turbine der Gaspipeline Nordstream 1 kamen zur Sprache. Der ehemalige Bundeskanzler warf dem amtierenden Amtshinhaber Olaf Scholz - und damit einem SPD-Parteigenossen - vor, die Unwahrheit zu sagen. Neitzel hatte eine komplett gegenteilige Meinung: "Aus meiner Sicht sagt Schröder die Unwahrheit".

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