Zur 500. Ausgabe von "Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs"

Arnd Zeigler: "Vor allem will ich den Rasen riechen"

25.09.2022 von SWYRL/Kai-Oliver Derks

Arnd Zeigler präsentiert beim WDR die 500. Ausgabe von "Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs". Ein Gespräch über Momente, die man nie vergisst. Und über die eine oder andere bittere Erkenntnis.

Fußball ist nicht lustig. Dafür ist er zu wichtig. Und dafür ist er mit zu viel Herz verbunden. Aber eine Ausnahme gibt es: Am Sonntagabend, im Dritten Programm des WDR, 22.15 Uhr. Seit 15 Jahren, genau seit dem 12. August 2007, präsentiert Arnd Zeigler da "Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs", was zunächst ein Radioformat war und dann ins Fernsehen kam. Zeigler, geboren 1965 in Bremen, gleichsam Autor, Podcaster ("Ball You Need Is Love") und Journalist, ist bekennender Werder-Fan und darüber hinaus Stadionsprecher seines Vereins, blickt darin auf ebenso humor- wie liebevolle Weise auf den aktuellen Spieltag zurück. Und er reist dank eines glänzend geführten WDR-Bewegtbildarchivs mit seinem Publikum immer wieder durch fast sechs Jahrzehnte Bundesliga-Geschichte. Gesendet wird vom Schreibtisch aus seinem Bremer Arbeitszimmer, das stets mit wechselnden Devotionalien aus dem Fußball bestückt ist. Am Sonntag, 2. Oktober, steht ein außergewöhnliches Jubiläum an: Die 500. Folge des "kleinen Fachmagazins" wird eine große: eine Stunde lang, mit musikalischen Gästen und einem Rückblick auf die vergangenen Jahre. Vor allem aber wird auch sie vor allem eine sympathische Liebeserklärung sein an die schönste Nebensache der Welt.

teleschau: "Er kann Momente erzeugen, die man nie vergisst." Das antworten Sie in der Regel, wenn jemand Sie fragt, warum Sie Fußball lieben. Was war Ihr schönster Moment in Ihrer Fußball-Historie?

Arnd Zeigler: Den einen Moment gibt es eigentlich gar nicht. Es gibt immer wieder mal welche. Unlängst gewann meine Mannschaft durch drei Tore in den letzten fünf Minuten doch noch in Dortmund. Ich habe das Spiel leider nur im Fernsehen gesehen. Aber mir war sofort klar: So etwas hast du noch nie erlebt und wirst du vermutlich auch nicht mehr erleben. Ereignisse wie diese sind kostbar. Weil sie eben so selten sind. Nur Fußball gestattet so etwas, da kann kein anderes Hobby mithalten. Kein musikalischer Hochgenuss, kein Theater - nichts kann so unvorhergesehen Glücksmomente bescheren.

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teleschau: Im Stadion müssen Sie sich in Ihrer Funktion als Stadionsprecher ja zurückhalten. Wie hat man sich Arnd Zeigler als Fan vor dem Fernseher vorzustellen? Sind Sie laut?

Zeigler: Ja, schon. Sofern meine Mannschaft spielt. Manchmal werfe ich mit Gegenständen. Andere Teams schaue ich aber sehr sachlich.

teleschau: Wie und wo sehen Sie Fußball dann am liebsten?

Zeigler: Gerne in Ruhe zu Hause. Ungerne in einer Kneipe, sofern es ein wichtiges Spiel ist, was mich berührt. Daheim können schon ein, zwei Freude dabei sein, aber mir kommt es einfach auf das Spiel an. Ich will vom Drumherum nicht gestört werden.

teleschau: Und Ihre Partnerin ..?

Zeigler: Ist Bayern-Fan. Ich weiß es doch auch nicht. Wobei Bayern-Fans ja sehr unterschiedlich ticken, das kenne ich übrigens so von keiner anderen Mannschaft. Meine Freundin kommt eher vom Tennis, darum verfolgt sie Fußball nur beiläufig. Und ihr ist auch wirklich nur das Ergebnis wichtig: Gewinnt Bayern nicht, ist dann alles scheiße. Ein zusammengurktes 1:0 wiederum bedeutet: Alles gut. Im Grunde bräuchte sie nur den Videotext.

teleschau: Haben Sie selbst auch mal mit den Bayern sympathisiert?

Zeigler: Am Anfang meines Fußballfanlebens schon. Ich war acht Jahre alt, Bayern war Europapokalsieger, die deutsche WM-Elf bestand zur Hälfte aus Münchnern. Und ich war mit meinen Eltern im Münchner Olympiapark, den ich wahnsinnig beeindruckend fand. Wir befanden uns auf der Durchreise nach Italien und sind natürlich auch auf den Olympiaturm hoch. Sogar eine Bayern-Fahne bekam ich. Hätte also schon sein können, dass ich Bayern-Fan geblieben wäre.

teleschau: Was geschah dann?

Zeigler: Die geografische Nähe zu Bremen sorgte eben dafür, dass es dieser Verein wurde, der mich berührte. Wobei Bremen zu dieser Zeit ein verarmter Provinzclub war, der gegen den Abstieg spielte. Aber genau das hat mich damals irgendwie berührt. Und Werder hat in all den Jahren nie aufgehört, mich zu berühren. Egal, wie gut oder schlecht die Zeiten waren.

teleschau: Das erste Spiel, das sie als Kind sahen, war eines in Bremen gegen die Bayern. Ein trostloses 0:0 ...

Zeigler: Es war der 7. Februar 1976. Kalt, keine Rasenheizung, schneebedeckter Platz. Ich fuhr eigentlich hin, um Beckenbauer und Müller zu sehen. Die Eintrittskarte gab es für zwei Mark fünfzig.

teleschau: Wie verlief denn Ihre eigene Karriere?

Zeigler: Oh, ein schwieriges Thema. Ich war als Kind sehr, sehr langsam. Und zum Ausgleich auch körperlich schwach (lacht). Ich war lange der Kleinste und der Dünnste und habe meine eigene Karriere in weniger guter Erinnerung.

teleschau: Wo spielten Sie?

Zeigler: Mein Verein war der ETSV Kirchweyhe, den gibt es gar nicht mehr. Ich war rechter Verteidiger oder rechtes Mittelfeld. Absolut einbeinig übrigens. Aber immerhin hatte ich einen gewissen Torinstinkt auf dem Schulhof. Gut war ich nie. Eine Weile später spielte ich später montagabends mit Kollegen in der Halle noch Fußball. Ich habe sogar all meine beruflichen Termine so gelegt, dass dieser wöchentliche Kick stattfinden kann. Heute lässt sich das für mich zeitlich aber nicht mehr machen, sodass ich lange nicht mehr gespielt habe. Neulich fragte mich Ingo Anderbrügge, ob ich mal bei einem Benefizspiel von ihm mitmachen will. Ich lehnte ab. Ich müsste vorher in jedem Fall sechs Wochen ins Fitnessstudio gehen. Alles in allem eine bittere Erkenntnis.

teleschau: Zurück in die Gegenwart? Lieben Sie den Fußball eigentlich noch?

Zeigler: Ja, das tue ich.

teleschau: Aber?

Zeigler: Aber es wird schwieriger. Ich muss mir Mühe geben, ihn zu lieben und mir die Rosinen rauspicken. Übrigens funktioniert meine Sendung genau so: Es geht darum, das auszugraben, was am Fußball immer noch toll ist. Doch das wird zunehmend schwieriger. Zu Anfang meines Fußballerlebens war ich noch relativ unkritisch, da fand ich noch jeden Transfer toll, jede Liveübertragung, jede Fußballzeitschrift. Und irgendwann wird dann klar, dass es mit den Jahren immer mehr Sachen gibt, die einen stören.

teleschau: Auch in Ihrer Sendung und vor allem in Ihrem Podcast ist deutlich zu spüren, wie Sie mit den Mechanismen des Fußballs von heute hadern.

Zeigler: Ich darf einfach nicht zu rational an den Fußball rangehen, sonst bleibt da nicht viel übrig. Manches würde mich wirklich depressiv machen, wenn ich näher drüber nachdenken würde. Nehmen Sie nur die WM in diesem Jahr. Ich will weder eine in Katar noch im Winter. Unzählige Menschen sind bei den Bauarbeiten ums Leben gekommen. Die Stadien werden in Zeiten der Klimakrise runtergekühlt, damit man da spielen kann. Ehrlich, ich weiß noch nicht, wie ich die WM verfolge. Wahrscheinlich werde ich schauen, aber mit keinem guten Gefühl.

teleschau: In der Bundesliga ist es die Verteilung der Gelder, über die Sie sich häufig echauffieren.

Zeigler: Hier ein Beispiel. Als ich klein war, war noch klar: Du hast eine gute Mannschaft, wenn die eine ausgeglichene Auswärtsbilanz hatte. Mittlerweile gibt es Saisons, da gewinnen die Bayern 15 Auswärtsspiele. Als wir das letzte Mal in der Bundesliga gegen die Bayern spielten, hat unser gesamter Kader weniger gekostet als Leroy Sane. Verstehen Sie mich nicht falsch: Das ist kein Neid. Es ist einfach eine grundverkehrte Entwicklung. Man kann nicht einen spannenden Wettbewerb und eine tolle Liga wollen, wenn man gleichzeitig so ein Gefälle nicht nur zulässt, sondern sogar fördert. Nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Überall stehen jetzt die Mannschaften oben, die um die Jahrtausendwende regelmäßig in der Champions League waren. Da gab es dann mehr Geld für sie, und jetzt ist die Situation so wie sie ist. Früher hat man in solch einem Zusammenhang immer gesagt, die europäischen Wettbewerbe seien ja schön und gut, aber die heimische Liga bleibe immer das Brot- und Buttergeschäft. Davon ist nichts mehr geblieben.

teleschau: Im Wesentlichen ist hierzulande aber der FC Bayern die Zielscheibe, wenn diese Situation kritisiert wird.

Zeigler: Den Bayern selbst würde ich das nicht vorwerfen: Sie haben einfach viel mehr richtig gemacht als andere Vereine. Der Verein hat sich organisch entwickelt, es wurden die richtigen Entscheidungen getroffen. Im Übrigen haben es die Bayern in Europa bisher in erstaunlichem Maße geschafft, Mannschaften, die noch mehr Geld haben, auf Distanz zu halten.

teleschau: Welche Rolle spielt für Sie die Nostalgie beim Fußball?

Zeigler: Fußballromantiker werden ja gerne ein bisschen belächelt. Damit kann ich leben. Ich sitze gerade an einem Buch, in dem es um die Dinge gehen wird, die einen am Fußball nerven. Und es zeigt sich: Viele Dinge waren eben wirklich angenehmer früher.

teleschau: Immerhin können Sie heute jedes Spiel Ihrer Mannschaft live im Fernsehen sehen.

Zeigler: Aber damals hat uns, als wir die Spiele im Radio hörten, nichts gefehlt. Abends dann mit Glück noch acht Minuten Kurzbericht in der Sportschau. Und gut war's.

teleschau: Hatten Sie bei Ihrer Berufswahl nie die Sorge, dass Sie dem Fußball zu nahekommen könnten? Dass also die naive Liebe leidet, wenn Sie als Journalist hinter die Kulissen blicken?

Zeigler: Doch, doch - diese Angst war allgegenwärtig. Ich wurde ja in Bremen groß und mochte immer die Sportberichterstattung des WDR2. Von da an war es mein Traum, einmal im Stadion zu sitzen und Reporter zu sein. Vor gut 20 Jahren hatte ich dann tatsächlich die Chance, beim WDR ein Casting zu machen. Ich saß damals bei der damaligen WDR-Hörfunksportchefin Sabine Töpperwien im Büro. Und schon während ich zu ihr reinging, dachte ich mir: Eigentlich willst du das gar nicht. Du willst deine Leidenschaft nicht aufgeben müssen. Du willst keine Distanz aufbauen, was man als Reporter ja müsste, Und dann saß ich da ...

teleschau: Was taten Sie?

Zeigler: Ich war freundlich, habe zugehört. Aber am Ende gestand ich ihr: "Frau Töpperwien, ich möchte den Job eigentlich gar nicht." Das hat sie womöglich auch noch nicht erlebt. Heute, als Stadionsprecher und auch im Fernsehen, darf ich eben Fan bleiben. Wobei ich im Stadion wirklich nicht allzu dicht dran sein will an den Spielern. Ich will mich freuen, wenn Sie am Anfang an mir vorbeilaufen, ich will sie als Helden behalten. Aber vor allem will ich den Rasen riechen.

teleschau: Fußball und Humor - bis zum Beginn von "Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs" 2007 war das eher eine Seltenheit. Es geht einfach schwer zusammen ...

Zeigler: Schon richtig. Auch ich saß natürlich mit Stirnrunzeln vorm Fernseher, wenn sich SAT.1 früher an irgendwelchen "ran fun specials" versuchte. Aber ich bin ein Fan von Rainer Brandts "Bankgesprächen" aus dem "Sportstudio". Er stellte Szenen von Trainerbänken zusammen und synchronisierte sie neu. Das war wunderbar. Unfassbar komisch! Humor und Fußball geht also schon. Aber man tendiert eben leicht dazu, zu volkstümlich zu werden und zu viel mit dem Holzhammer zu agieren.

teleschau: Und Fußball bedeutet manchem eben unfassbar viel.

Zeigler: Wenn man über Fußball und Humor redet, man muss sich klarmachen: Fußball ist sicher keine furchtbar ernste Angelegenheit, die wichtiger ist als Naturkatastrophen oder Kriege. Aber trotzdem ist der Fußball eben auch alles andere als unwichtig. Er kann sich genauso furchtbar anfühlen wie ein Trauerfall in der Familie, und er kann eine ungeheure Freude erzeugen, wie es sie nirgendwo sonst gibt. Diese Emotionen darf man nicht kleinreden.

teleschau: Können Sie sich weitere 500 Ausgaben vorstellen?

Zeigler: Ehrlich, es ist ein schlimmer Gedanke, dass es die 1.000. Folge womöglich nicht mehr geben wird. Da wäre ich etwa 72 Jahre alt. Wahrscheinlich ist es also nicht. Umso mehr genieße ich das Hier und Jetzt. Wobei die Sendung ja etwas sehr Autistisches hat. Da sitze ich ja doch ziemlich alleine rum. Aber durch meine Live-Auftritte merke ich, wie die Menschen in Sachen Fußball ticken. Das sind gesellige Fußballabende mit Gleichgesinnten, die den Fußball lieben. Und ich habe festgestellt, dass es doch sehr viele Leute gibt, die Fußball so empfinden wie ich.

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