08.10.2024 von SWYRL/Jens Szameit
Mit Handkuss-Etikette und rheinischer Begeisterungsurgewalt macht Horst Lichter 2.000 Folgen "Bares für Rares" voll. Die ZDF-Erfolgssendung ist die Antithese zu vielen Gewissheiten über das Unterhaltungsfernsehen.
Schlaglichter aus der deutschen TV-Unterhaltung im Herbst 2024. Vor der Kulisse eines Freizeitparks werden schräge Singvögel von einem "Pop-Titanen" routiniert heruntergeputzt. Auf einer von RTL gemieteten "Liebesinsel" lassen sich körperoptimierte Internetmenschen zum Fremdgehen verleiten. Und in einem notorisch Zoff-umwehten "Sommerhaus" geht schon kurz nach dem Einzug der Bewohner die (zum Glück unbegründete) Angst vor einer "Messerattacke" um.
Obszön sells! Aber das heißt ja nicht, dass nicht auch das Gegenteil zutreffen kann. Am Dienstag, 8. Oktober, moderiert Horst Lichter die 2.000. Folge einer Fernsehsendung, die sich wie der Gegenentwurf zum grellen Unterhaltungsstandard im deutschen Fernsehen ausnimmt. "Bares für Rares", im August 2013 bei ZDFneo erstmals ausgestrahlt, ist die Antithese zu vielen Gewissheiten, die Fernsehmacher über das schwere Feld der leichten Unterhaltung haben.
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Wenn Horst Lichter mal wieder "sprachlos" wird
Erfunden wurde mit "Bares für Rares" das Genre der Trödelshow zwar nicht. Der Ruhm gebührt auf Deutschland bezogen doch eher den BR-Kollegen von "Kunst und Krempel" (seit 1985!). Sogar der RTLZWEI-"Trödeltrupp" ist mit Baujahr 2009 vier Jahre älter als "Bares für Rares". Doch nirgends ruht das Sentiment des Wertschätzens - im zweifachen Sinn! - so gemütvoll in sich selbst wie in jenem vor den Toren Kölns gelegenen Klinkerbau, der einmal als Walzwerk diente und nun Menschenschlangen beherbergt, die echte und vermeintliche Schätzchen unterm Arm haben.
Aus allen Landesteilen bringen sie Silberbesteck mit, Steinkrüge, Stoffbären, Werbeplakate, Edel-Chronometer, Freimauerblech und Omas vererbte Goldklunker. Horst Lichter, ein Mann der als TV-Koch berühmt wurde, schüttet auf alles eine Gemütssoße rheinischen Euphorismus - nichts ist so banal, als dass es nicht gefeiert werden könnte. "Leck misch de Söck!", jubelt Horst Lichter dann. Oder er wird "jeck" und gern auch "sprachlos", was sich bei ihm durchweg verbal artikuliert.
Kein Alltagsrascheln, keine Wegwerfmentalität
"Bares für Rares" ist eine magische Show: Hier werden unscheinbarste Staubfänger qua fachgerechter Expertise zu "Sensationen". Auch vergeht seit gut zehn Jahren kaum eine Folge, in der es bei aller muckeligen Gleichförmigkeit nicht zu konstatieren gälte: "So was hatten wir noch nie!" Die Begeisterung darüber ist ansteckend. Knapp zwei Millionen Menschen schalteten im Jahresdurchschnitt 2024 ein - übrigens auch rekordverdächtig viele Jüngere (fast 20 Prozent Marktanteil waren es in einer April-Ausgabe bei den 14- bis 49-Jährigen). Das sind aufs Nachmittagsniveau heruntergebrochen "Tatort"-artige Quotenverhältnisse.
Während der "Tatort" eine echte Tradition (seit 1970) aufzuweisen hat, ist es bei Lichters Trödelparadies eher eine suggerierte, doch die ist nicht weniger wirkungsmächtig. Wer "Bares für Rares" einschaltet, taucht ein in eine Blase, in der die Zeit stillzustehen scheint. Trödeln heißt hier im doppelten Wortsinn eben auch: sich Zeit nehmen. Keine Flohmarktanekdote ist zu abwegig, als dass sie nicht gehört werden wollte. Das hektische Alltagsrascheln, die moderne Wegwerfmentalität haben zwischen Wert-Expertise und Händlerkarte keinen Platz.
Dazu ist dies ein Ort, an dem noch kaiserzeitliche Manieren gepflegt werden. Horst Lichter beherrscht den Handkuss und das galante Nebenbei-Kompliment. Von MeToo und den daraus resultierenden Unsicherheiten der zwischengeschlechtlichen Zuneigungsbekundung hat der Mann mit dem neckisch verzwirbelten Bart noch nie gehört. Das trifft auch auf die Gepflogenheiten im "Händlerraum" zu, wo durchweg cash bezahlt wird.
Es ist nicht gelungen, "Bares für Rares" medial kleinzuklopfen
Die Trödelhändler der Sendung tragen teils putzige Spitznamen wie "80-Euro-Waldi". Ebenjener tauft jedwede weibliche Präsenz "Engelchen", ein mittig sitzender Österreicher sagt gern "Gnä' Frau". Schade ist nur, dass der Mann im Blümchenhemd nicht mehr anzutreffen ist, der stets als Einziger stand, die anderen aber doch nicht überragte: Der Niederbayer Ludwig Hofmaier, der 1967 auf Händen laufend eine Papst-Audienz erhielt, ist inzwischen ebenso in Bildschirmrente wie der viel verehrte Kunstexperte Albert Maier. Seine gravitätische Erscheinung wird schmerzlich vermisst. Man hätte ihn für so unvergänglich gehalten wie die Bronzebüsten, die man ihm regelmäßig auf den Tresen gestellt hat.
Mag sein, dass sich dann und wann manch treuherzige Frührentnerin etwas unter Wert zum Verkauf überreden ließ, wie kritische Beobachter verschiedentlich monierten. Und ganz bestimmt ist es so, dass bezahlte Komparsen durchs Bild laufen, während Horst Lichter doch immer die Ehrlichkeit seiner kleinen Sendereihe rühmt. Das "Bares für Rares"-Bashing hatte zwischenzeitlich beachtliche Konjunktur. Es ist ja auch ein vielfach erprobter Reflex, Erfolgsgiganten medial kleinzuklopfen, allein schon aus Prinzip. Aber das ist nicht gelungen. Und es ist hier auch müßig.
Anders gesagt: Sollte "Bares für Rares" weitere 2.000 Folgen im ZDF-Nachmittagsprogramm überstehen, wird darüber das Abendland schon nicht untergegangen sein. An dem Projekt arbeiten derweil ganz andere.