16.05.2025 von SWYRL/Eric Leimann
Vor 50 Jahren begann der Prozess gegen die berühmte erste Generation des RAF-Terrors: Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe. Das Dokudrama "Stammheim - Zeit des Terrors", gedreht im Original-Zellentrakt von damals, liefert neue Perspektiven auf eine sehr anstrengende Clique.
Am 21. Mai 1975 begann im eigens für diesen Prozess errichteten "Mehrzweckgebäude" der JVA Stuttgart Stammheim der Prozess gegen die erste Generation der RAF. Jene Terroristen, die bis heute - fast auf den Tag genau 50 Jahre später - noch die klangvollsten Verbrechernamen der westdeutschen Nachkriegsgeschichte tragen: Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe. Im Dokudrama "Stammheim - Zeit des Terrors", gedreht im Original-Zellentrakt von damals, liefern die Filmemacher Niki Stein und Stefan Aust neue Perspektiven auf eine ungemein anstrengende Clique, die sich auch untereinander nicht allzu grün war. Im Anschluss ans Dokudrama, das jedoch eher wie ein Fiction-Film wirkt, läuft um 21.45 Uhr die 30-minütige Doku "Im Schatten der Mörder" von Thomas Schneider und Holger Schmidt. Sie trägt den Untertitel "Die unbekannten Opfer der RAF".
"Stammheim - Zeit des Terrors" verwebt Originalbilder mit fiktionalen Szenen, wobei letztere klar dominieren. Insofern ist die Genrebezeichnung Dokudrama für den ARD-Film zum Jahrestag des Prozessbeginns technisch zwar korrekt, beim Zuschauen fühlt es sich aber wie ein normaler Spielfilm an. Heinrich Breloer-Vibes mit dem Wechsel zwischen Inszenierung und Doku-Material plus Interviews vor Studiowänden kommen hier nicht auf. Man sieht wie die Terroristen Andreas Baader (Henning Flüsloh), Ulrike Meinhof (Tatiana Nekrasov), Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) und Jan-Carl Raspe (Rafael Stachowiak) in die JVA Stuttgart Stammheim eingeliefert werden. Meistens dabei: der Vollzugsbeamte Horst Bubeck (Moritz Führmann), den es wirklich gab.
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Die RAF als coole Rockband - das war einmal!
Oft hat Horst Bubeck erzählt, wie es im siebten Stock der JVA damals zuging. Dass die vier Gefangenen "unglaubliche Privilegien" genossen, über eine Privat-Bibliothek, eigene Fernseher und mehrere Zellen gleichzeitig verfügten. Dass sie acht Stunden täglich zusammen sein durften und mehr Besuch empfingen als jeder andere. Dass er und seine 15 Kollegen eine Terrorgemeinschaft bewachten, der fast jeder Wunsch gewährt wurde. Baader, Ensslin und Co. kommen in diesem Film, der kürzlich entdeckte Tonbandaufnahmen der Stammheim-Prozesse auswertet, ziemlich unsympathisch rüber. Sehr viel schlechter jedenfalls als noch im starbesetzten Kinofilm "Der Baader Meinhof Komplex" von 2008.
Damals inszenierten Bernd Eichinger (Drehbuch) und Uli Edel (Regie) die von Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck und Johanna Wokalek gespielten Top-Terroristen noch als aus dem Ruder gelaufene Bewegung radikal linker Zerstörungswut, die aber auch - in Teilen - sexy war. Auch dieser Film wurde übrigens von Stefan Aust, Autor des gleichnamigen Bestseller-Sachbuches "Der Baader Meinhof Komplex", beraten.
In "Stammheim - Zeit des Terrors" wird das Narrativ der RAF als cooler Rockband samt Opfergang - der umstrittene (Selbst)mord im Zellentrakt - allerdings deutlich gebrochen. Vor allem Baader und Ensslin mobben Ulrike Meinhof auf übelste Art, sodass man letztere bemitleiden muss. Viel Selbstherrlichkeit, ja eine unangenehme Hybris der Terroristen schreibt der mittlerweile dritte größere deutsche Stammheim-Film den RAF-Charakteren in ihre Rollenprofile.
Psychospiele der Insassen - und ihrer Aufpasser
Reinhard Hauffs Film "Stammheim" von 1986, übrigens mit dem jungen Ulrich Tukur als Andreas Baader, war der erste Versuch, sich zehn Jahre nach Prozessbeginn einen Reim auf das westdeutsche Trauma linker Terrorangriffe von innen zu machen. Ziemlich unangenehm, wenn auch nicht uninteressant ist es, die Psychospiele der Insassen, ihrer Aufpasser und anderer Staatsvertreter im neuen Film zu verfolgen. Unter anderem sieht man Heino Ferch als Kriminaler Alfred Klaus, der 1971 am Aufbau der "Sonderkommission Terrorismus" beteiligt war. Er legte einen "Baader-Meinhof-Vorbericht" vor - das erste wichtige polizeiliche Dokument zum Thema. Im Film spielt er eine ebenso kleine Rolle wie "Tatort"-Kommissar Hans-Jochen Wagner, der hier ebenso fiktional dem Staatsapparat dient.
Während Justiz und Vollzug neutral, wenn auch leicht genervt dargestellt werden, fällt es schwer, sich den RAF-Insassen irgendwie nahezufühlen. Auch wenn es ein paar wenige Besuchsszenen der Kinder der Terroristen gibt, die auf tragische Weise rühren. Eigentlich - und das gilt vor allem für das Gespann Baader-Ensslin - schaut man hier einem Club von Unsympathen beim Geschichtemachen zu. Dass sich die Autoren Stein und Aust auf dem bislang besten durch Quellen belegten Authentizitätspfad befinden, wird beteuert. Und es könnte nach Auswerten neuerer Quellen auch durchaus korrekt sein. Das Anschauen des RAF-Klientels in einem filmisch gut gemachten TV-Werk tut trotzdem irgendwie weh. Schon ab 17. Mai steht der Film in der ARD Mediathek zum Streamen bereit.