Kaum zu ertragen
Als Darren Aronofskys "Requiem For A Dream" vor 25 Jahren ins Kino kam, schockierte das Drogendrama viele Zuschauer nachhaltig. Der Film wurde dennoch zum Kultklassiker, weil er zeigt was Kino auch sein kann - eine Herausforderung. In der Galerie präsentieren wir Filme, die wehtun und eine echte Zumutung sind, es aber mehr als wert sind, gesehen zu werden ...
© Artisan Entertainment/Courtesy of Getty ImagesEin andalusischer Hund (1929)
Ameisen, die aus einer Hand krabbeln, und ein Auge, das mit einer Rasierklinge zerschnitten wird: "Ein andalusischer Hund" war der Skandalfilm des Jahres 1929. Worum es in dem 18 Minuten langen Meisterwerk geht? Um das Tabu-Thema schlechthin: den Geschlechtsakt zwischen Mann und Frau, den Luis Buñuel so inszeniert, als hätte er die Bilder einem Traum entnommen. Einem Traum, den er und sein Co-Drehbuchautor Salvador Dalí (Bild) geträumt haben.
© 2014 Getty Images/Terry FincherAugen der Angst (1960)
Als "Augen der Angst" 1960 in die Kinos kam, waren die Zuschauer empört. Wie konnte es jemand wagen, eine psychisch kranke Identifikationsfigur mit ihnen, den Zuschauern, gleichzusetzen? Und auch dieser Gedanke war schwer verdaulich: Ausgerechnet Karlheinz Böhm (Bild), der "Sisi"-Darsteller, spielte den Serienmörder, der seine Opfer filmt, während er sie tötet. Dessen Karriere und die von Regisseur Michael Powell nahmen durch den Skandalfilm nachhaltig Schaden.
© ArthausDas große Fressen (1973)
Wollust, Völlerei, Hochmut: Mit "Das große Fressen" (1973) hatte nicht nur die katholische Kirche ihre Probleme. Die Satire um einen feierlichen kollektiven Suizid durch übermäßiges Essen rief vor allem bei Teilen der Zuschauer Ekelgefühle hervor, viele verließen die Kinosäle.Komm und sieh (1985)
Elem Klimows "Komm und sieh" ist ein erschütterndes Porträt über die Verheerungen des Zweiten Weltkrieges. Aus Sicht eines jugendlichen Partisanen (Alexei Krawtschenko) erleben wir, wie der Krieg seine Unschuld und sein Leben zerstört. Fljora ist ein Stellvertreter für das Leid von Millionen. Kein anderer Antikriegsfilm ist in seiner Anklage schonungsloser. Und direkter. Grauen und Wahnsinn sind in jedes Bild eingeschrieben. Geht hin und seht, wie irrsinnig Kriege sind.
© SRFFunny Games (1997)
Die Gewalt ist nicht zu sehen, aber sie hat trotzdem ein Gesicht: Arno Frisch spielt Peter, einen scheinbar normalen und netten, jungen Mann, der aber nicht davor zurückschreckt, Kinder zu quälen. Michael Hanekes "Funny Games" (1997) ist eine Auseinandersetzung mit Gewalt, Voyeurismus und Verantwortung und konfrontiert den Zuschauer auf radikale Weise mit seiner eigenen Rolle. Die Kälte der Täter und die gezielte Verweigerung von Genugtuung machen den Film zur nervenaufreibenden Tortur.
© ConcordeRequiem for a Dream (2000)
Darren Aronofskys Drogendrama "Requiem For A Dream" (2000) ist ein psychischer Tiefschlag in vier Akten. Die Spirale des Verfalls, in die die Protagonisten geraten, ist in ihrer filmischen Umsetzung so intensiv und stilistisch aufwühlend, dass sie kaum auszuhalten ist. Aronofsky nutzt schnelle Schnitte, Split-Screens und eine nervenzerreißende Musik von Clint Mansell, um die Sucht und ihre zerstörerischen Folgen als audiovisuellen Albtraum zu inszenieren.
© Highlight / ConstantinDas Experiment (2001)
Oliver Hirschbiegels Thriller "Das Experiment" (2001) basiert auf einem authentischen Sozialpsychologie-Experiment von 1971. Der Journalist Tarek (Moritz Bleibtreu) stellt sich in der Hoffnung auf eine Story als Testperson zur Verfügung. Zwei Wissenschaftler teilen die Freiwilligen in zwei Gruppen auf: Zehn Wärter stehen zehn Häftlingen gegenüber. Schikanen, Psychoterror, Gewalt: Die zunehmende Brutalisierung und das völlige Kippen der moralischen Ordnung machen den Film nur schwer verdaulich.
© ProSieben / Senator Film Irreversibel (2002)
Stühle klappen hoch, Menschen verlassen das Kino - die Vorführung von Gaspar Noés Skandalfilm "Irreversibel" bei den Filmfestspielen in Cannes wurde eine besondere. Der Grund: Extreme Gewalt und eine neun Minuten lange ungeschnittene Vergewaltigungsszenen - die Gräueltat sollte laut Regisseur auf diese Weise fassbar werden. Die Kameraführung ist desorientierend, der Soundtrack pulsierend aggressiv. Ein Film, der sich mit seiner Rückwärtserzählung bewusst gegen klassische Dramaturgie stellt, zermürbt seine Zuschauer emotional und visuell.
© AlamodeAntichrist (2009)
Provokant, brutal, verstörend: Lars von Triers "Antichrist" - ein Psychodrama über Trauer, Schuld und Wahnsinn - spaltet das Publikum. Mit Charlotte Gainsbourg (Bild) und Willem Dafoe erzählt der dänische Skandal-Filmemacher die vielschichtige Geschichte von einem Paar, das im Wald zu sich finden möchte, dabei aber nichts als tiefe, persönliche Abgründe entdeckt und sich psychologisch zerfleischt. Die schockierenden Bilder voller Gewalt - verbunden mit einem nihilistischen Weltbild - machen "Antichrist" zu einem der unbequemsten Filme der jüngeren Filmgeschichte.
© MFA+ / Christian GeisnaesDie Stadt der Blinden (2009)
Was passiert, wenn eine Gesellschaft von einer rätselhaften Blindheit befallen wird? In "Die Stadt der Blinden" (2009), folgt Regisseur Fernando Meirelles einer Gruppe Infizierter, die in einem Lager interniert wird. Der Zusammenbruch von Moral, Hygiene und Menschlichkeit wird drastisch, aber ohne Schockeffekte inszeniert. Die psychologische Ausweglosigkeit, das soziale Chaos und die Frage, wie Zivilisation unter Druck zerfällt, machen den Film zu einem schwer zu ertragenden Gleichnis.
© ARD / DegetoSon of Saul (2016)
Schwer zu ertragen ist der ungarische Oscargewinner "Son of Saul" (2016). Und doch so wichtig: Der Film nimmt die Perspektive eines jüdischen Zwangsarbeiters ein, der in einem Krematorium des KZ Birkenau für den reibungslosen Ablauf der Vernichtung sorgen muss. Als er unter den Toten die Leiche seines Sohnes zu erkennen glaubt, will er den Jungen würdevoll bestatten.
© ARTE / Lakoon Filmgroup / Magyar Nemzeti FilmalapManchester by the Sea (2016)
Die meisterhaft gespielte Tragödie "Manchester by the Sea" (2016) erzählt von einem Mann, der nach einem schweren Verlust zurück in seine Heimat kehrt - und dort mit den Geistern seiner Vergangenheit konfrontiert wird. Es sind keine lauten Momente, sondern leise, zutiefst menschliche Szenen, die emotional zermürben. Casey Affleck brilliert in der Rolle eines Mannes, der unfähig ist, zu verzeihen - sich selbst am allerwenigsten.
© Universal / K Period Media / Claire FolgerDer Schacht (2019)
In dieser dystopischen Parabel wird die soziale Ungleichheit radikal inszeniert: Ein vertikales Gefängnis mit Hunderten Ebenen, in dem Nahrung von oben nach unten gereicht wird - wer unten lebt, verhungert. "Der Schacht" (2019) ist eine klaustrophobische Allegorie auf Egoismus, Klassenkampf und Verrohung. Die Kälte des Systems und die schleichende Entmenschlichung der Figuren sind schwer auszuhalten - nicht wegen der Gewalt allein, sondern wegen der kompromisslosen Gesellschaftskritik.
© Netflix