20.01.2025 von SWYRL/Wilfried Geldner
"Hier wohnte" steht auf einer Messingplatte, danach das Datum der Geburt, der Deportation und der Ermordung. 1993 verlegte der Künstler Gunter Demnig in Köln erstmals einen "Stolperstein". Inzwischen gibt es 100.000 in 30 Ländern. Sie bringen die Schicksale von Verfolgten und Ermordeten näher als abstrakte Zahlen, wie der WDR-Film von Marius Möller überzeugend anschaulich macht.
"Jeder Stein erinnert an ein im Nationalsozialismus zerstörtes Leben", sagt der Konzeptkünstler Gunter Demnig, der in den frühen 90-ern die Idee hatte, mit in den Boden eingelassenen Erinnerungssteinen an die vergessenen Opfer des Naziterrors zu erinnern. Die Anfänge waren schwierig, es gab Widerstand, Städte und Gemeinden sperrten sich aus unterschiedlichen Gründen. Doch inzwischen hat das Konzept der "Stolpersteine", das die Auseinandersetzung der Nachkommen und Nachbarn mit persönlichen Schicksalen anregen soll, Erfolg. Das zeigt die so informative wie lebendige Dokumentation von Marius Möller (WDR / ARTE).
"Hier wohnte ...", so beginnen die in Messingplatten gravierten Aufschriften vor Häusern, in denen einst Deportierte und Ermordete wohnten - Juden zumeist, aber auch Sinti und Roma, Euthanasie-Opfer und politisch Verfolgte. Weiter werden der Name des früheren Bewohners sowie das Datum der Deportation und des Todes genannt. Es ist die Alltäglichkeit des Geschehens, die hier ins Bewusstsein zurückgeholt wird. Nicht nur der Opfer wird gedacht, frühere Mitbewohner und Nachbarn werden einbezogen.
"Nicht der Stein ist das Kunstwerk", sagt Demnig, sondern die Auseinandersetzung damit. Statt abstrakter Trauer soll die Nähe zu den Opfern hergestellt werden. Immer mehr Angehörige wollen inzwischen mit "Stolpersteinen" an ihre Vorfahren erinnern. Inzwischen gibt es über 100.000 Denksteine - Betonklötze mit Messingplatte - in 30 Ländern, in Deutschland und Holland die meisten. Frankreich sperrte sich lange, das Land hat eine andere Gedenkkultur, sie blieb dort lange staatlich verordnete Pflicht.
Mit kurzen Archivbildern aus der NS-Zeit und - große Ausnahme - mit lebendigen Statements von engagierten Historikern wird im Film Zeitgeschichte lebendig. Nachkommen aus Kanada wollen in Frankfurt sich und andere an ihre ermordeten Vorfahren "Georg und Susi" erinnern, die einmal "ein Teil von Frankfurt" waren. Aber auch eine jüdische Widerstandskämpferin aus Berlin-Kreuzberg bekam jüngst einen Gedenkstein. Mit 14 war sie auf das Dach des Kaufhauses Hertie gestiegen, hatte den Spruch: "Nieder mit Hitler" aufgemalt und später eine Widerstandsgruppe gegründet. Bisher hatte es keine Erinnerung an sie gegeben.
Auch, wenn sich manche Städte und Gemeinden sträuben, Erinnerungssteine auf öffentlichem Grund zuzulassen und die Verantwortung lieber ins Private verschieben, ist mit ihnen doch der Anfang für eine neue, mehrere Generationen übergreifende "Erinnerungskultur" gemacht. Letztlich plädiert auch diese Doku selbst für ein neues, anderes Erinnern, das sich nicht nur aus Zahlen, aus Schuld und Sühne speist, sondern aus persönlichem Interesse.