Christina Hecke im Interview zu "Leben über Kreuz"

"Hoffnung ist eine gefährliche Sache"

03.05.2022 von SWYRL/Elisa Eberle

In "Leben über Kreuz" (ZDF) spielt Christina Hecke eine nierenkranke Frau, die für die lebensrettende Organspende eine falsche Freundschaft eingeht. Ein Gespräch über das Für und Wider der Organspende, Nahtoderfahrungen und die gefährliche Seite der Hoffnung.

Das Leben und der Tod sind für Christina Hecke eine untrennbare Einheit: Im Dezember 2007 erlitt die Schauspielerin einen schweren Autounfall. Ihre Lunge platzte, und sie lag zehn Tage lang im Koma. Ihre damalige Nahtoderfahrung beschreibt die heute 43-Jährige in ihrem Buch "Mal ehrlich - Mein Blick hinter unser Leben" (2020). Doch auch im Interview zu dem ZDF-Drama "Leben über Kreuz" (Montag, 9. Mai, 20.15 Uhr) ist das alte Trauma immer wieder greifbar.

In dem Film spielt Hecke die nierenkranke Mutter Caren Blumberg, die nur durch eine Lebendspende gerettet werden kann. Ihr Mann Sebastian (gespielt von Benjamin Sadler) scheidet als Spender aus. Der behandelnde Arzt (Johannes Ahn) schlägt schließlich eine unkonventionelle Lösung vor: Sebastian soll seine gesunde Niere an den nierenkranken Jan Kempe (André Szymanski) spenden. Dessen Frau Birthe (Annette Frier) wiederum spendet ihre Niere an Caren. Medizinisch spricht nichts dagegen, doch aus juristischer Sicht ist eine Lebendspende nur unter sich nahestehenden Personen möglich. Somit bleibt den Ehepaaren nur eine Möglichkeit: Sie müssen die Ethikkommission von ihrer Freundschaft überzeugen.

teleschau: Frau Hecke, sind Sie ein hoffnungsvoller Mensch?

Christina Hecke: Hoffnung ist aus meiner Perspektive eine gefährliche Sache, denn sie ist ein bisschen wie die Karotte, die man dem Esel vor den Kopf schnallt. In Situationen, in denen Realismus und ein klarer Blick viel mehr unterstützen würden, ist Hoffnung mit einer potenziellen Zukunft verknüpft, von der wir nie wissen, ob sie eintritt. Das ist kein Leben im Moment. Deshalb ist es so großartig, dass meine Figur in "Leben über Kreuz" sagt: "Okay, ich bin krank, und ich kann es nicht ändern. Das einzige, was mich noch antreibt, ist, dass meine Kinder nicht ohne Mama aufwachsen sollen." Ohne die Kinder würde sie ihr Schicksal vermutlich ohne Drama akzeptieren. Erst in dem Moment, in dem sie das Angebot für die Spende über Kreuz bekommt, wird aus der vagen Hoffnung eine realistische Option, und sie empfindet einen gewissen Selbstrettungsdrang.

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Über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft

teleschau: Mit anderen Worten, Sie sind ein Mensch, der im Hier und Jetzt lebt, aber nicht in der Vergangenheit wühlt oder von der Zukunft träumt?

Hecke: Im Gegenteil! Die Vergangenheit ist dazu da, um daraus zu lernen. Das ist eine Aussage, die wir in unserem gesamtgesellschaftlichen Miteinander gerne zitieren, aber in unserer individuellen Lebensrealität ignorieren. Seit Menschengedenken hatten wir zum Beispiel immer wieder Krieg. Und obwohl wir wissen, warum gewisse Dinge zu Krieg führen, schaffen wir es immer noch nicht, unser Handeln zu ändern.

teleschau: Und wie ist Ihre Einstellung gegenüber der Zukunft?

Hecke: Selbstverständlich gilt es auch, nach vorne zu gucken und sich zu fragen: Welche Auswirkungen hat mein Verhalten jetzt auf das potenzielle Morgen? Das ist ein interessanter Teil von Verantwortung. Aber Spekulationen über die Zukunft finde ich müßig, denn da argumentieren die einen in die eine und die anderen in die andere Himmelsrichtung. Ich finde es wichtig, die Zukunft jetzt zu leben.

"Die Angst vor dem Tod ist menschengemacht"

teleschau: Ihre Figur zieht ihren Überlebenswillen einzig und allein aus ihren Kindern. Woraus ziehen Sie Kraft?

Hecke: Für mich ist spätestens seit einer Situation in meinem Leben, in der ich kurzzeitig tot war, klar, dass alles ein Kreislauf ist und in irgendeiner Weise wiederkehrt. Vor diesem Hintergrund habe ich weder vor dem Tod Angst noch vor Abschieden, denn diese Angst ist menschengemacht. Die Lebenskraft liegt darin, zu verstehen, dass jeder Moment einen Sinn hat, nicht nur für das Ego, sondern für das Ganze.

teleschau: Ist diese Angst vor dem Tod vielleicht auch ein Phänomen unseres Kulturkreises?

Hecke: Es gibt natürlich Kulturen, die eine Party aus dem Tod machen. Als junge Frau fand ich es bizarr, als ich in Indien sah, wie die Menschen an einer Stelle im Fluss ihre Leichen verbrannten und fünf Meter weiter ein anderer Mensch seine Teller wusch. Im Gegensatz dazu sind unsere strengen Bestattungsvorschriften natürlich etwas eng. Ich glaube, dass wir mit unserer jüngeren Vergangenheit, dem Zweiten Weltkrieg, auch erfuhren, was Tod bedeutet, der nicht durch Alter oder Krankheit hervorgerufen wurde, sondern dadurch, dass man sich gegenseitig beschießt. Dies führte dazu, dass der Tod bei uns tabuisiert wurde.

teleschau: Inwiefern haben Sie Ihre Erfahrungen in Ländern wie Tibet oder Indien geprägt?

Hecke: Geprägt, das klingt für mich immer ein bisschen nach festgefahren. Stattdessen würde ich eher sagen: Die Erfahrungen erweiterten mich. Jede Reise, jede Begegnung, jede Erfahrung in dieser Welt erweiterte und festigte mich.

Über das Für und Wider von Organspenden

teleschau: Im Abspann zu "Leben über Kreuz" heißt es: "Allein in Deutschland warten derzeit 10.000 Menschen auf eine Organspende." Welche Gedanken gehen Ihnen bei solchen Zahlen durch den Kopf?

Hecke: Ich mag es, Dinge in Relation zu sehen. Deshalb beschäftigte mich intensiv mit Themen wie Organhandel und Organspende. Rechtlich gesehen ist ein Arzt dazu verpflichtet, das Leben zu retten. Ob der Betroffene das wirklich will und was es für ihn bedeutet, ist eine andere Frage. Ich hatte einmal eine Operation, bei der ich viel Blut verlor. Eigentlich hätte ich eine Bluttransfusion benötigt, doch die wurde mir nicht gegeben. Der Arzt sagte hinterher: "Sie sind noch so fit. Sie brauchen jetzt wahrscheinlich auch ein paar Wochen, aber bevor ich Ihnen Sangria durchtränktes spanisches Blut in die Venen pumpe, entschied ich mich dagegen." Ich mochte diese Einstellung sehr, denn jedes Organ war Teil eines Lebenskreislaufs von einem Menschen und hat eine entsprechende Historie. Wenn es mir eingepflanzt wird, macht das auch etwas mit mir. Deshalb ist die Entscheidung für oder gegen eine Spende eine ganz persönliche Angelegenheit, bei denen die gesellschaftlichen Maßstäbe von richtig oder falsch nicht angewandt werden können.

teleschau: Haben Sie einen Organspendeausweis?

Hecke: Ich habe keinen Organspendeausweis, denn trotz des Films möchte ich nicht, dass mein Körper eines Tages in Einzelteile zerlegt wird. Warum versagen Organe? Da spielen ganz viele Faktoren wie die Lebensweise des einzelnen oder ein individuelles Ereignis eine Rolle. Ich glaube, dass es Menschen gibt, deren Aufgabe es ist, Organe zu spenden, und das ist großartig, und das werde ich immer unterstützen. Aber gleichzeitig gibt es Menschen, deren Aufgabe das nicht ist.

"Das Grundgesetz einzuschränken, fand ich schon grenzwertig"

teleschau: Sie studierten einst Jura. Welche Meinung vertreten Sie gegenüber der Lebendspende unter Fremden, die in Deutschland illegal ist?

Hecke: Wir versuchen durch Vorschriften, unser Leben zu regulieren. Das ist in manchen Bereichen unfassbar sinnvoll und in manchen Bereichen deutlich fragwürdig. Wenn ein Mensch einem anderen ein Organ spenden will, dann sollte eine Rechtsvorschrift diesen freien Willen nicht verhindern. Die deutsche Rechtssprechung ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch einfach ein bisschen hilflos: Sie soll den Bürgerinnen und Bürgern eine Form von Rechtssicherheit geben. Aber wie soll das gelingen, wenn alle verunsichert sind? Das sind Fragen, die wir zuletzt auch in der Coronapandemie diskutierten: Das Grundgesetz einzuschränken, fand ich schon grenzwertig, denn an anderen Stellen heißt es immer: Das Grundgesetz ist das, was uns auszeichnet.

teleschau: Wie hätte man die Probleme der Pandemie besser lösen können?

Hecke: Wenn wir Entscheidungen auf Landes- oder Bundesebene treffen, würde ich mir immer die Frage stellen: Sehen wir uns im globalen Kontext? Ich hatte erst im Januar Corona, und mir ging es nicht gut. Mich legte es trotz allem zwei Wochen lang vollkommen lahm. Corona ist keine Spaßkrankheit - keine Frage! Aber zwei Jahre lang die Weltwirtschaft lahmlegen, ist meiner Meinung nach nicht der richtige Weg. Ich frage mich da: Wann beginnt die Relation zu kippen? Und wann beginnt die Unsicherheit die Überhand zu nehmen und die Angst zu regieren?

teleschau: Machen es andere Länder besser?

Hecke: Das würde ich gar nicht sagen. Die Frage ist vielmehr: Sind wir intelligent genug, um global ins Gespräch zu kommen oder sind wir nur Franzosen, Amerikaner, Engländer oder Chinesen, und jeder hat eine Meinung, und deswegen kommt man immer wieder in Streit?

teleschau: Was meinen Sie?

Hecke: Wir sind Weltbürger und kommen aus der Weltbürgerschaft auch nicht raus! Solange wir aber glauben, uns mit Nationalitäten, Berufs- oder Professorentiteln brüsten und von anderen abheben zu müssen, kommen wir nicht vom Fleck. Ich glaube, dass die Sinne - und damit meine ich nicht die fünf Sinne, sondern das feine Wahrnehmen, das Spüren - von unserem Intellekt zurückgestoßen wurden. Wenn wir anfangen, uns auf dieser Ebene wiederzutreffen, haben wir zumindest die Möglichkeit, einen Richtungswechsel einzuläuten.

"Ich glaube nicht daran, dass eine Generation etwas leisten kann"

teleschau: Ändert sich das vielleicht schon durch die junge Generation von "Fridays For Future" und Co.?

Hecke: Da sind wir wieder beim Blick in die Vergangenheit und die Zukunft: Ist es wirklich, die nächste Generation, die das Problem löst? Ich glaube nicht daran, dass eine Generation etwas leisten kann, sondern daran, dass der einzelne etwas bewegen muss. Ich behandle junge Menschen, die psychisch so verdreht sind, weil sie nicht wissen, wie sie sich in der technologischen Welt orientieren sollen, die von morgens bis abends am Handy hängen. Sie wissen nicht, wie sie ihr Leben genießen, sondern sind vollkommen überfordert auf der einen und unterfordert auf der anderen Seite. Aber wir Erwachsenen machen es ja nicht anders!

teleschau: Inwiefern behandeln Sie Menschen?

Hecke: Durch Bodywork. Ich habe eine Praxis für Bodytreatment. Das heißt ich behandle Menschen körperlich und auch im Coaching, etwa übers Schauspiel, ob es nun Unternehmer sind oder Menschen aus der Branche.

teleschau: Der Bedarf an derartigen Behandlungen ist seit der Pandemie sicher auch gestiegen ...

Hecke: Sie werden überrascht sein, wie wenig die Menschen bereit sind, wirklich etwas zu verändern. Die meisten vertreten die Idee: Ich weiß es besser und komme sowieso alleine klar.

"Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit"

teleschau: Interessant! Auch, wenn wir inzwischen weit vom Film abkamen ...

Hecke: Ich glaube, bei all den Aspekten, die wir besprochen haben, sind zwei Dinge wichtig: Das eine ist der Respekt vor dem freien Willen, was mit dem Blick in die Vergangenheit und dem Leben im Hier und Jetzt zusammenhängt. Und dann gibt es den Blick in die Zukunft und die Akzeptanz der Verantwortung. Das sind zwei wundervolle Dinge, die vielleicht tonnenschwer klingen, die ich aber mit einer großen Leichtigkeit meine. Eine Sache möchte ich aber noch erwähnen: Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit. Alle Figuren haben tatsächlich existiert. Und gerade weil das Thema eine solche Intimität hat, ist zwischen Benjamin Sadler, André Szymanski, Annette Frier und mir eine ganz enge Zusammenarbeit entstanden. Annette Frier und ich sind auch nach wie vor befreundet. Zur Regisseurin Dagmar Seume und zur Kamerafrau Friederike Heß habe ich nach wie vor Kontakt.

teleschau: Sprachen Sie auch mit den Personen, auf deren Biografie der Film beruht?

Hecke: Nein, die Geschichte liegt schon zu lange zurück. Die Regisseurin Dagmar Seume versuchte lange, Menschen zu finden, die den Film mit ihr zusammen realisieren. Da steckt sehr viel Detailarbeit und sehr viel Engagement über einen Zeitraum von über zehn Jahren dahinter. Deswegen ist das Projekt für mich ein ganz besonderes.

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