06.06.2024 von SWYRL
Der Musiker und Entertainer Bernd Begemann gilt als Wegbereiter der "Hamburger Schule". Eine ARD-Dokumentation über jene einflussreiche Pop-Ära ließ den darin nicht befragten Zeitzeugen nun aus der Haut fahren. Der Filmemacherin unterstellte er eine Ego-Agenda und völlige Inkompetenz.
Es mag ein popkulturelles Randphänomen sein, aber eines, das in seinem Einfluss kaum zu überschätzen ist: Rund drei Jahrzehnte, nachdem deutsche Bands der später so apostrophierten "Hamburger Schule" erst die Klubs auf St. Pauli und dann ansatzweise die Charts eroberten, trat nun eine NDR-Filmemacherin an, jene Zeit dokumentarisch aufzuarbeiten.
Schlicht "Die Hamburger Schule" heißt der in der ARD-Mediathek veröffentlichte Film von Natascha Geier - einer Zeitzeugin, die einige Protagonisten jener Ära zu Wort kommen lässt. Und einige andere nicht. Einer, der als stilprägende Figur jener innovativen Art von deutschem "Diskurs-Pop" gilt, wurde nicht für die Dokumentation interviewt und hat sich nach deren Ansicht umso lautstärker zu Wort gemeldet. "Ignorantes Ego-Gew..e", nannte Bernd Begemann Natascha Geiers "sogenannte Doku".
"Sie kennt die Musik nicht, hat sie größtenteils nicht gehört, ist sich ihrer Existenz teilweise nicht einmal bewusst", wettert der Musiker und Songschreiber über die Filmemacherin auf seinen Social-Media-Accounts bei Instagram und Facebook. Geier habe "nicht genug Neugier in sich, um die fiebrigen Auseinandersetzungen, volatilen Allianzen und ehrgeizigen Entwürfe zu erforschen, die unsere Stadt Anfang der 90-er elektrisierten".
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"Nicht die journalistischen Mittel, um diese Geschichte zu erzählen"
Auch lasse sie "die Hamburger Schule zum großen Teil erzählen von Personen, die niemals jemals irgendjemand für Hamburger Schule gehalten hat, die bis vor kurzem auf gar keinen Fall so bezeichnet werden wollten". Sie mache sogar Personen zu "Gesichtern" der Hamburger Schule, die in Berlin lebten. Begemann: "Natascha Geier hat nicht die journalistischen Mittel, um diese Geschichte zu erzählen."
Im Film wachgerufene Erinnerungen an die Cordhosen und Trainingsjacken, mit denen die Band Tocotronic ihre Fans auch modisch beeinflusste, nannte Begemann "RTL2-Lifestyle-Blödsinn". Auch stört den Sänger und Gitarristen offensichtlich, wie sich die Filmemacherin in ihrer Doku selbst in Szene setzt, etwa indem sie ihre Präsenz auf Albumcovern betont. "Solch einen von persönlicher Agenda triefenden IchIchIch-Vlog 'Hamburger Schule' zu nennen, ist eine Frechheit, Etikettenschwindel, es ist infam."
Nachdem Begemanns Wutausbruch Diskussionen unter Fans, Journalisten und Zeitzeugen jener Pop-Ära hervorgerufen hatte, legte der Songwriter zwei Tage später mit einem zweiten Post nach. Darin war sein Ärger mitnichten verraucht. Einige Kommentatoren hätten versucht, ein "'Mann vs. Frau'-Ding" aus seiner Kritik zu machen. Tatsächliche gehe es aber um die Frage "Macht vs. Ohnmacht".
"Ausnahmkünstler in Abwesenheit wie einen Trottel dastehen lassen"
So habe ihn die Regisseurin "hinterrücks" aus einer Podiumsdiskussion ausgeladen und ihn im Film "als Chronistin" aus einer Geschichte entfernt, "die ohne mich so nicht passiert wäre". Ferner habe sie die wichtige Band Die Regierung ihres Expartners Tilman Rossmy ausgespart und einen "Ausnahmekünstler wie Jochen Distelmeyer in Abwesenheit wie einen Trottel dastehen lassen".
Tatsächlich endet die zweiteilige Doku mit der Suggestion, dass Distelmeyers Band Blumfeld mit ihrem Spät-90er-Meisterwerk "Old Nobody" den Weg für Castingshow-Schlager-Pop der Art Max Giesingers geebnet hätte - eine gelinde gesagt streitbare These.
Statt Blumfeld, Begemann und Die Regierung werde in der "Hamburger Schule"-Doku ausführlich der Band Die Goldenen Zitronen gehuldigt, die sich in Begemanns Wahrnehmung erst spät der Szene angeschlossen habe und dann "vor allem linksradikales Dogma" beigetragen habe. Begemann spricht von "K-Gruppen Mief, in dem Gesinnung und Parolen auf einmal das Wichtigste wurden und Gnade dem, der nicht mitzog".
Es sei unter anderem diese Dogmatik gewesen, "die unsere Szene spaltete, implodieren ließ". Der Sänger: "Die Rolle der Goldenen Zitronen nicht kritisch zu hinterfragen, ist nach meinem Empfinden ein ärgerliches journalistisches Versäumnis, eines von vielen." Ihm drehe sich beim Gedanken an den Film noch immer der Magen um.