UFA Produzent Guido Reinhardt im Interview

Produzent über 7.000 Folgen "Unter uns": "Es ist nicht einfacher geworden, weil so viel produziert wird wie noch nie"

22.11.2022 von SWYRL/Marina Birner

Nach einer Schauspielausbildung und einem Medizinstudium fasste er doch im TV-Business Fuß: Guido Reinhardt ist nicht nur der Macher von "Alles was zählt", sondern als langjähriger UFA Serial Drama-Produzent auch bei "Unter uns" tätig. Vor dem anstehenden Jubiläum verrät er, was alles hinter der gigantischen Strecke von 7.000 Folgen steckt.

7.000 Folgen in 28 Jahren: Was braucht eine Daily, um auf so eine beeindruckende Bilanz im deutschen Fernsehen zu kommen? UFA Serial Drama-Produzent Guido Reinhardt (55) begann mit "Unter uns" seine berufliche Karriere Anfang der 90er-Jahre, nun spricht er angesichts der Jubiläumswoche im Interview über Höhen und Tiefen der Serie. Was war früher anders angesichts des 90er-Daily-Booms? Schließlich konkurrieren lineare Fernsehformate mittlerweile auch mit etlichen Social Media-Angeboten und natürlich mit Netflix und Co. Produzent Reinhardt verrät vor der Jubiläumssendung am Mittwoch, 23. November, 17.30 Uhr, das "Unter uns"-Erfolgsrezept.

teleschau: 7.000 Folgen - und die Sendung wirkt noch immer jung: Wie haben Sie und die Macher das hinbekommen?

Guido Reinhardt: Wir als Produktionsfirma haben zusammen mit RTL routinierte Kontroll- und Erneuerungsprozesse, die wir in bestimmten Abständen mit vertiefender Fragestellung immer wieder initialisieren. Das heißt: Wir setzen uns grundsätzlich alle zwei Jahre hin und hinterfragen den gesamten Inhalt. Wir nehmen die Serie komplett auseinander. Eine wichtige Leitfrage ist dabei: Was ist der Markenkern dieser Serie? An diesen Ergebnissen orientieren wir uns, um die Serie danach ein Stück weit neu auszurichten.

teleschau: Also dann: Was genau hebt "Unter uns" von anderen Dailys, wie beispielsweise "GZSZ", ab?

Guido Reinhardt: Alle drei Serien der UFA Serial Drama haben sehr unterschiedliche Markenkerne, also emotionale Botschaften. Der Markenkern bei "Unter uns" ist der Dreiklang aus Familie, Freundschaft und Nachbarschaft. Das wird sehr konsequent durchdekliniert. Die Menschen in der Schillerallee kennen sich alle untereinander. Es handelt sich um einen kleinen Kosmos, es ist alles überschaubar. Im Gegensatz zu "GZSZ" sind die Themen bei "Unter uns" dadurch weniger weltstädtisch.

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"Es braucht einfach immer gute und neue Impulse von außen"

teleschau: Die Schauspieler und Schauspielerinnen, wie etwa Isabell Hertel, schwärmen besonders von der familiären Stimmung bei "Unter uns". Wie schafft man es, so ein Klima zu erzeugen?

Guido Reinhardt: Eine Erfolgskomponente ist mit Sicherheit die offene Kommunikation in der Produktion, sowohl mit dem Team als auch mit den Schauspieler:innen vor der Kamera. Hier müssen immer alle mit anpacken, können sich einbringen und alle sind wichtig. Es ist einfach ein gutes Gefühl, wie in einer Großfamilie an einer Serie zu arbeiten. Das ist ein kostbares Gut.

teleschau: Wie wichtig ist ein fester Cast für die Identifizierung der Fans mit der Serie?

Guido Reinhardt: Auch hier macht es die Mischung, wie bei den Geschichten. Solche Anker oder Fixpunkte wie beispielsweise Isabell Hertel sind wichtig für die Fans. Darüber hinaus beleben neue Figuren das Format. Charaktere wie Easy, Bambi oder Sina gehören mittlerweile auch zum angesehenen Establishment der Serie. Es braucht einfach immer gute und neue Impulse von außen, Menschen, die einen in die Geschichten mit hineinziehen.

teleschau: Es ist also eine Mischung aus "alten Geschichten" und frischem Blut?

Guido Reinhardt: Es sind zeitgemäße neue Geschichten, zu denen sich auch die Charaktere neu verhalten müssen - sie haben ja bereits unendlich viele Geschichten durchlebt. Das Schöne ist, dass man dabei zuschauen kann, wie unsere Heldinnen und Helden sich weiterentwickeln. Wir versuchen, den Fans und Zuschauern und Zuschauerinnen das Gefühl zu vermitteln, zu Freunden und Freundinnen nach Hause zu kommen, sobald man den Fernseher einschaltet. Die Charaktere entwickeln sich mit einem selbst weiter, man wird gemeinsam älter.

"Wir sind nicht die Realität, wir sind Fiktion"

teleschau: Würden Sie sagen, dass es in den Anfangsjahren in den 90-ern leichter war, "Unter uns" zu produzieren als es heute der Fall ist?

Guido Reinhardt: Definitiv. Es war damals etwas Neues, auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer. In der Zeit danach folgten jedoch viele weitere Formate, wie beispielsweise die Telenovelas im ZDF und bei SAT.1. Ich glaube schon, dass diese Formate, auch "Unter uns", unglaublich viel Einfluss hatten. Wir wissen beispielsweise von vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die nach Deutschland eingewandert sind, dass sie über diese Serien ihre Deutschkenntnisse, unsere Sprache, erlernt haben. Mit diesen Formaten wurde eine ganze Generation ein Stück weit mit sozialisiert - erste Liebe, erster Kuss etc. Die Bedeutung hat sicherlich abgenommen, da andere Angebote besonders im digitalen Bereich hinzugekommen sind. Facebook, TikTok und Co. haben teilweise diese Funktion übernommen.

teleschau: Social Media hat natürlich vieles verändert: Mittlerweile ist alles transparent, jede Lebensrealität scheint zig-mal erzählt... Was heißt es für Serienmacher, dass sich den Zuschauern Fiktion nicht mehr so leicht als Wahrheit verkaufen lässt?

Guido Reinhardt: Unsere täglichen Serien hatten damals einen ähnlichen Stellenwert wie Social-Media-Kanäle heute. Heute hat sich das in Teilen verschoben, die Aufmerksamkeit ist aber immer noch sehr groß. Umso wichtiger ist, dass wir dranbleiben, dass wir nicht nur am Puls der Zeit entlang schreiben, sondern auch das Lebensgefühl der Zuschauerinnen und Zuschauer treffen. Das Publikum ist mit den Serien älter geworden, da geht es dann eben nicht mehr um den ersten Kuss oder die erste Liebe. Wenn es uns gelingt, die Wahrhaftigkeit in Geschichten zu treffen, haben wir die Aufmerksamkeit. Wir sind nicht die Realität, wir sind Fiktion - das ist unser Auftrag.

teleschau: Wie lautet dieser klare Auftrag?

Guido Reinhardt: Der Auftrag ist, fiktive Geschichten zu schreiben, die trotzdem die Lebensrealität der Zuschauerinnen und Zuschauer treffen. Es gibt also einen maßgeblichen Unterschied zur überhöhten Social Media Darstellung einzelner Personen. Alltagsnähe ist uns wichtig, aber eben mit Geschichten, die nicht alltäglich sind, sondern ein bisschen "larger than life". Schließlich sollen Happy Ends möglich sein.

"Zufrieden ist man nie"

teleschau: Haben sich zwei Jahre Pandemie auf Ihr Konzept ausgewirkt?

Guido Reinhardt: Auf jeden Fall. Wir haben aus den letzten beiden Jahren einiges gelernt. Wir wollen uns auch hier ein bisschen den neuen Realitäten anpassen: Leben mit Katastrophen und mit Zuversicht. Letzteres ist natürlich genau das, was Fiktion kann. Also: Wir wollen optimistisch und mit Zuversicht erzählen.

teleschau: Sie greifen immer wieder auch aktuelle Themen auf, wie häusliche Gewalt oder Leihmutterschaft eines gleichgeschlechtlichen Pärchens. Wo finden die Autoren diese Geschichten?

Guido Reinhardt: Überall, wo das echte Leben ist. Vor allen Dingen müssen die Autoren und Autorinnen mit Menschen sprechen, die unsere Daily anschauen. Wir wollen von unseren Zuschauern und Zuschauerinnen wissen: Was sind ihre Bedürfnisse, Sorgen, Ängste oder Nöte? Auch ihre Hoffnungen spielen eine große Rolle. Wir wollen möglichst dicht an dem dran sein, was die Menschen bewegt.

teleschau: Aktuell schauen rund zwölf Prozent der werberelevanten Zielgruppe "Unter uns"? Sind Sie damit zufrieden?

Guido Reinhardt: Zufrieden ist man nie (schmunzelt). Man möchte immer besser sein, als man gerade ist. Betrachtet man die Performance im Ganzen, dann läuft es gut für "Unter uns", sollte sich daran etwas ändern, dann verändern wir uns auch.

teleschau: Sehen Sie Konkurrenz bei Formaten des linearen Fernsehens oder dann doch eher bei den Streamingdiensten?

Guido Reinhardt: Das ist gar nicht so klar zu beantworten. Am Ende des Tages konkurrieren wir ja um ein Stück freie Zeit der Zuschauerinnen und Zuschauer. Wir werben dafür, dass sie uns jeden Tag eine halbe Stunde schenken. Das ist die Herausforderung. Zeit ist dann doch für viele Menschen das höchste Gut. Wir konkurrieren nicht nur mit Netflix und Co. Sondern auch mit Zeitungen, mit Spielkonsolen, mit Freund:innen, mit Kinobesuchen und vielem mehr.

teleschau: Sollten die Quoten mal schwächeln, wie wird dann auf kreativer Ebene reagiert? Gibt es bei Ihnen Krisensitzungen?

Guido Reinhardt: Bislang hatten wir noch keine (lacht). Wir machen gemeinsam mit den Sendern regelmäßige Qualitätschecks in Form von Umfragen und Forschungen zu den jeweiligen Serien. Wir wissen also alle zwei bis drei Monate immer sehr genau, ob Geschichten ankommen - und das schon vor möglichen Krisensitzungen.

teleschau: Welche Rolle spielen die Caster in diesem Szenario für den Erfolg der Serie?

Guido Reinhardt: Eine genauso große wie die Autor:innen auch. Wir brauchen immer noch besondere Schauspieler:innen, die sich dazu verpflichten, so ein Format spielen zu wollen. Der Anspruch ist enorm gestiegen. Wir suchen immer wieder die Nadel im Heuhaufen. Es ist nicht einfacher geworden, weil so viel produziert wird wie noch nie. Wir konkurrieren da wiederum mit allen, die auch sonst Fiktion produzieren.

"Köln ist auch das, was wir erzählerisch erreichen wollen"

teleschau: Inwiefern ist Köln als Schauplatz relevant für das Gesamtpaket "Unter uns"?

Guido Reinhardt: Köln, das merken wir nach wie vor, ist eine sehr besondere Stadt in Deutschland. Sie gilt als weltoffen und gibt ein warmes Gefühl, ein Gefühl von Heimat. Insofern ist Köln auch das, was wir erzählerisch erreichen wollen. Köln steht dafür, den Menschen zugewandt zu sein, genau für diese Werte Familie, Nachbarschaft und Freundschaft, die auch "Unter uns" widerspiegeln.

teleschau: Diese Werte sind auch in realen Krisenzeiten existenziell: Sie engagieren sich seit der Flutkatastrophe im Ahrtal als Mitglied der UFA Taskforce für den Wiederaufbau des Bürgerhauses in Rech. Warum liegt es Ihnen besonders am Herzen?

Guido Reinhardt: Es ist in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Als ich damit konfrontiert wurde, war klar, wovor die Menschen dort am meisten Angst haben - nämlich, dass sie vergessen werden. Und das passiert gerade. Manche Sachen hören sich an wie ein schlechter Scherz. Ich habe jetzt vor einigen Tagen mal mit dem Bezirksbürgermeister des Ortes Rech im Ahrtal gesprochen. Er ist richtig verzweifelt. Die ganze Ortsplanung hängt an einer Brücke. Seit 15 Monaten ist unklar, wo und wie diese wiederaufgebaut wird oder eben nicht. Die Menschen dort verspüren Wut und Verzweiflung, weil sich die Politikerinnen und Politiker in den ersten Tagen der Katastrophe zwar die Klinke in die Hand gaben, ihr Versprechen von unbürokratischen Hilfen bis jetzt jedoch nicht umsetzten.

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