08.05.2025 von SWYRL/Marko Schlichting
Die neue Bundesregierung hat ihre Arbeit aufgenommen. Kritik will CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann nicht gelten lassen. Damit solle man doch bitte hundert Tage warten, sagt er am Mittwochabend bei "Maischberger" im Ersten. Grünen-Co-Chef Felix Banaszak sieht das natürlich anders.
Der erste Tag der neuen Bundesregierung ist vorbei. Die Ministerinnen und Minister haben ihre Büros bezogen. Bundeskanzler Friedrich Merz ist verreist, hat Frankreich und Polen besucht, ist freundlich empfangen worden. Dennoch: Begonnen hat die Regierung chaotisch. Zum ersten Mal wird ein Bundeskanzler nicht nach dem ersten Wahlgang gekürt. Wie schwierig wird das Regieren jetzt? Das will Sandra Maischberger am Mittwochabend von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und dem Grünen-Co-Chef Felix Banaszak wissen.
"Ich stand kurzzeitig unter Schock", berichtet Carsten Linnemann von den Wahlen am Dienstag. Er habe nicht damit gerechnet, dass es im ersten Wahlgang keine Mehrheit für Merz geben werde. "Ich habe nicht damit gewettet, aber bei zwölf Stimmen überm Durst ist natürlich die Chance immer da", schätzt Banaszak die Situation ein. Er weiß aber auch: So eine Erfahrung hat in der Regel eine disziplinierende Wirkung.
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Linnemann wünscht sich Kritik erst nach 100 Tagen Regierung
Dass am Dienstag ein neuer Bundeskanzler gewählt werden konnte, lag auch an den Grünen und den Linken. Denn eigentlich hätte der zweite Wahlgang erst einige Tage nach dem ersten stattfinden dürfen. Grüne und Linke hatten der schwarz-roten Koalition zu der Zweidrittel-Mehrheit verholfen, um die Geschäftsordnung des Parlaments in diesem Fall auszusetzen. Das sei selbstverständliches Handeln, spielt Carsten Linnemann diesen Vorgang herunter. "Für uns war das eine Selbstverständlichkeit", gibt Banaszak dem CDU-Politiker zur Antwort. "Ich erwarte da auch kein Dankeschön. Wir haben zweimal die Chance gehabt, diese Regierung scheitern zu lassen, bevor sie im Amt war, und wir sind selbstverständlich zweimal dieser Versuchung nicht erlegen. Ob das für Friedrich Merz gleichermaßen gegolten hätte, da habe ich meine Zweifel."
Da wird Linnemann ein bisschen ärgerlich. Er lobt die neue Regierung. Das ist natürlich auch seine Aufgabe. In der ersten Kabinettssitzung am Dienstagabend habe Schwarz-Rot 25 Beauftragte abgeschafft, Merz habe die Freundschaft mit Frankreich erneuert, auch mit Polen, und Kulturstaatssekretär Weimer habe am Mittwoch den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden eingeladen und sich für die Bekämpfung des Antisemitismus ausgesprochen, statt seinen Schreibtisch einzurichten.
"Was ich sagen will ist, dass wir seit 24 Stunden Politik machen, dass wir nicht mehr reden, sondern dass wir machen, dass wir liefern", sagt der CDU-Generalsekretär. "Und wenn wir nur im Ansatz so weitermachen in den nächsten hundert Tagen, wird diese Regierung erfolgreich. Lieber ein holpriger Start und vernünftig durchs Ziel kommen, als eine Inszenierung am Anfang und dann zu scheitern." Damit deutet Linnemann auf die Selfies hin, mit denen die Ampelspitzen vor ihrem Regierungsstart Einigkeit beweisen wollten.
Banaszak kritisiert die Rhetorik der Union
Die Bundesregierung muss jetzt harte Entscheidungen fällen. Vor allem muss sie die Wirtschaft zum Laufen bringen. Das soll vor allem Katherina Reiche in die Hand nehmen, die neue Bundeswirtschaftsministerin. Die hat am Mittwoch ihren Vorgänger Robert Habeck für dessen "übermenschliche Leistung" gelobt. "Das passt überhaupt nicht zu der Rhetorik, die Sie, Herr Linnemann, aber auch andere vor der Wahl an den Tag gelegt haben", so Banaszak. "Und es hat natürlich auch einen inhaltlichen Grund: Vor der Wahl wurde gesagt, man mache jetzt alles ganz anders. In dem Koalitionsvertrag steckt an einigen Stellen mehr Robert Habeck als Carsten Linnemann."
Die Union könne jetzt mit dem Geld, das auch die Grünen ihr zur Verfügung gestellt hätten, die Investitionsagenda umsetzen, die der Ampel nicht möglich gewesen sei. Wenn Unternehmen bei der Umstellung zur klimaneutralen Produktion unterstützt werden sollten, würden die Grünen nicht im Weg stehen. Falsch sei jedoch, dass zwar die Energiepolitik beim Wirtschaftsministerium geblieben sei, die Klimapolitik aber nicht.
Die Bundesregierung plane eine Agenda 2030, gibt Linnemann zurück. Die werde Merz am kommenden Mittwoch im Rahmen einer Regierungserklärung vorstellen. "Wir wollen entlasten beim Strom, bei den Netzentgelten und bei der Stromsteuer", verrät Linnemann. Und man wolle Investitionen in der Wirtschaft finanziell fördern, jedoch nicht flächendeckend wie bei Robert Habeck, sondern im Mittelstand. Die große Unternehmenssteuerreform, die die Union vor der Bundestagswahl noch versprochen hatte, wird es jedoch offenbar nicht geben.
Linnemann: "Brandmauer löscht den Brand nicht"
Kritik an der Regierung, die Banaszak in dieser Diskussion immer wieder äußert, weist Linnemann zurück. "Ich bin dafür, dass man der Regierung jetzt erst einmal hundert Tage Zeit lässt und dann gerne ein erstes Resümee fasst."
Ob das auch für den Umgang mit der gesichert rechtsextremen AfD gilt, wird jedoch in dieser Diskussion nicht ganz klar. "Wir müssen sie inhaltlich bekämpfen", sagt Linnemann. "Ich glaube, es ist falsch, wenn man immer nur sagt, hier sei eine Brandmauer. Denn eine Brandmauer löscht den Brand nicht, sondern sie schützt ihn. Ich möchte aber den Brand löschen. Und ich glaube, diesen Brand löscht man nicht, indem man jeden Tag diese Brandmauer ins Schaufenster stellt, sondern indem man inhaltlich die AfD bekämpft, und - noch besser - indem man Politik macht, Probleme löst, und keine Scheindebatten führt. Und das versuchen wir jetzt."
Banaszak spricht sich dagegen für die Prüfung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD aus. "Und ich würde mir wünschen, dass so ein Verfassungsschutzbericht nicht einfach schulterzuckend zur Kenntnis genommen wird, und dass man die gleiche Strategie einfach weiterfährt, die auch bisher nicht funktioniert hat."
Innenminister Dobrindt werde sich den Verfassungsschutzbericht anschauen, sagt Linnemann. "Rechtlich kenne ich keinen namhaften Experten, der sagt, heute reichen die Argumente und Fakten aus, um ein Verbotsverfahren erfolgreich durchzuführen." Scheitere ein solches Verfahren, würde die AfD größer werden. Würde die AfD verboten werden, würden sich deren Wähler, die die Partei aus Unzufriedenheit wählten, andere Lösungen suchen. "Unzufriedenheit kann man nicht verbieten. Deswegen bin ich der Meinung: Wir müssen gute Politik machen." Und man müsse die Probleme in Deutschland lösen.