Sebastian Hellmann im Interview

"Bayern München will man siegen oder scheitern sehen"

26.04.2022 von SWYRL/Julian Weinberger

Das Halbfinale der Champions League steht an - jedoch ohne Bayern München. Sportmoderator Sebastian Hellmann ordnet das Aus des Rekordmeisters ein. Außerdem spricht er über seine Fanliebe zu Arminia Bielefeld und zieht nach seiner ersten Saison bei Prime Video eine Zwischenbilanz.

Aus, vorbei der Traum von Henkelpott: Wer im Vorfeld Villarreal als Viertelfinalgegner des FC Bayern als Glückslos bezeichnet hatte, sah sich am Abend des 12. April eines Besseren belehrt. In seiner Funktion als Moderator von Prime Video war Sebastian Hellmann in vorderster Reihe bei dem bitteren Ausscheiden dabei und erlebte Team und Verantwortliche "konsterniert". Selbst Thomas Müller sei sprachlos gewesen, "das habe ich noch nie gesehen", beobachtete Hellmann. Trotzdem: Der 54-Jährige sieht die Bundesliga international auf einem guten Niveau. Zu sprechen wäre auch über Hellmanns Fan-Liebe zu Arminia Bielefeld, Fußball im Bezahlfernsehen - und ein Spiel, dass sich für immer "in der kleinen Fußballseele" des Moderators eingebrannt hat.

teleschau: In der vergangenen Woche wurde Frank Kramer, der Trainer von Arminia Bielefeld, entlassen. Was sagen Sie als leidenschaftlicher Bielefeld-Fan dazu?

Sebastian Hellmann: Mir klingen noch die Sätze im Ohr wie: "Jobgarantie auch in der zweiten Liga" und "Wir ticken ein bisschen anders". Nach sieben Spielen ohne Sieg wird es aber irgendwann schwierig. Überrascht hat mich die Entlassung trotzdem. Wir haben zwar eine ganz ordentliche Mannschaft, vergessen aber das Toreschießen. Ich finde es schade, Frank Kramer ist ein guter Typ. Jetzt drücke ich mir selbst die Daumen, dass Bielefeld in der Liga bleibt.

teleschau: Sie sind von an Anfang Bielefeld-Fan gewesen, wuchsen in unmittelbarer Nähe des Stadions auf. Wie muss man sich Ihr Fandasein als kleiner Junge vorstellen?

Hellmann: Schon mit fünf oder sechs Jahren hat mich mein Vater immer mit ins Stadion genommen. Er war auch Journalist. Ich konnte das gar nicht richtig einordnen, weil Zwei-Wochen-Rhythmen für einen Fünfjährigen nicht so richtig nachvollziehbar sind. Alle zwei Wochen am Samstag wurde der kleine Sebastian an die Hand genommen und durch den Oetkerpark direkt neben der Alm geschleift. Am Anfang dachte ich immer: "Viele bunte Leute, das ist ja schön."

teleschau: Und später?

Hellmann: Irgendwann habe ich gemerkt, dass es ganz wichtig ist, zu gewinnen. Ich habe mit meinem Vater fast alle Heimspiele geschaut. Das ist ein Band, das so fest ist, dass es sich nicht mehr lösen lässt. Fansein war für mich eine prägende, familiäre Angelegenheit. Das hatte immer etwas mit guten Gefühlen zu tun.

teleschau: Mit Bielefeld haben Sie Hoch- und Tiefpunkte erlebt, vor einigen Jahren ging es in die dritte Liga. Schweißt das Verein und Fan noch stärker zusammen?

Hellmann: Ich kann Achterbahn, der Bayern-Fan kann nur ganz oben. Die Relegation 1977 gegen 1860 München war schon Wahnsinn. Da war ich damals auch im Stadion. Wir haben 4:0 zu Hause gewonnen, dann Rückspiel 0:4. Ich wollte im Rückspiel eigentlich gar nicht nach München fahren, weil ich dachte, wir sind eh aufgestiegen. Und dann verlieren wir das Entscheidungsspiel noch. Da lässt du so viel Herz und Emotionen. In der dritten Liga gab es Fast-Insolvenzen, wenn nicht irgendwelche mittelständischen Unternehmen um 23.59 Uhr noch die fehlenden 250.000 Euro überwiesen hätten. Am Ende ist es immer eine wilde Fahrt. Ich hoffe, dass die Achterbahn aktuell nicht wieder auf dem Weg nach unten ist.

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"Thomas Müller war sprachlos, das habe ich noch nie gesehen"

teleschau: Sie meinten gerade, die Bayern kennen eigentlich nur oben. Diese Saison gilt das Motto nicht so wirklich. Wie haben Sie das Team und die Verantwortlichen nach dem Aus gegen Villarreal erlebt?

Hellmann: Konsterniert, es war eine sehr merkwürdige Atmosphäre in der Allianz-Arena. Die Fans haben gut reagiert und die Mannschaft nach Schlusspfiff sofort unterstützt. Aber du hast es den Spielern und Verantwortlichen angesehen: Es kann nicht sein, weil es nicht sein darf. Keiner konnte sich vorstellen, dass die Reise in der Champions League vorbei ist. Thomas Müller war sprachlos, das habe ich noch nie gesehen. Oliver Kahn flüchtete sich ein wenig in Sarkasmus. Der Einzige, der das Aus direkt verstanden hat, war Julian Nagelsmann.

teleschau: Woran hakt es bei Bayern aktuell?

Hellmann: Ich glaube, dass die ausstehenden Vertragsverlängerungen und die Unruhe schon eine Rolle spielen. Niklas Süle geht, die finanziellen Mittel sind nicht so da. Alleine so ein Gravenberch zeigt ja auch, wo die Bayern jetzt angreifen: bei so einem jungen, talentierten Spieler, der ein guter Kicker, aber noch lange nicht fertig ist. Wenn Thomas Müller mal so einen Knick hat wie aktuell und Spieler wie Kimmich oder Süle verletzt ausfallen, dann fehlen so ein paar Prozent. Eklatant war auch, dass auf der Bank als offensive Option nur noch Serge Gnabry saß. Das ist ein deutlicher Unterschied zu Vereinen wie Liverpool.

teleschau: Welche Antwort erwarten Sie von Bayern München in der kommenden Saison?

Hellmann: Wir gehen alle davon aus, dass die Bayern wirtschaftlich vernünftig agieren. Dass sie keinen Haaland holen, der im Gesamtpaket 350 Millionen Euro kostet, finde ich nachvollziehbar. Das sind Dimensionen, die Wahnsinn sind. Das heißt, dass Julian Nagelsmann den Auftrag bekommt, junge Spieler zu formen und er einen neuen Geist entwickeln muss. Wenn Leipzig es schafft, die Mannschaft zusammenzuhalten und Dortmund gut einkauft, dann gehen die Bayern zwei, drei Schritte auf die anderen zu. Dann könnte es spannender werden nächste Saison. Es ist auf jeden Fall ein Wahnsinn, wie die Bayern polarisieren. Die will man siegen oder scheitern sehen.

teleschau: Zum zweiten Mal ist Bayern früh in der Champions League ausgeschieden. Die anderen deutschen Vereine waren schon in der Gruppenphase rausgeflogen. Sehen Sie die Stellung der Bundesliga international gefährdet?

Hellmann: Nein, eigentlich nicht. Klar, Dortmund hat in der Champions League enttäuscht. Aber wenn man mal die aktuell ersten vier aus der Tabelle nimmt, glaube ich, sie werden eine gute Rolle spielen in der nächsten Saison. Was die Bundesliga macht, finde ich herausragend - gerade, wenn man Geschäftsmodelle in England oder Italien vergleicht.

teleschau: Was meinen Sie?

Hellmann: Da kaufen Chinesen Anteile und wollen sie wenig später wieder loswerden. Oder die Engländer mit den Geldern aus Saudi-Arabien. Oder ein Roman Abramowitsch, der auf einmal raus ist, und ein Verein wie Chelsea droht von jetzt auf gleich zu zerbröseln. Ich finde, dass wir in Deutschland immer noch eine spannende Liga haben und bei all dem Wahnsinn, der im Fußball insgesamt passiert, ein gutes Maß halten. Bei all dem Tohuwabohu bleibt da ein kleiner moralischer Anker.

"Ich habe nicht das Gefühl, dass der Volkssport Fußball bald kein solcher mehr ist"

teleschau: Vor der Saison übernahmen Sie zusätzlich zu Ihrem Job bei Sky die Moderatorentätigkeit bei Prime Video. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?

Hellmann: Mir macht das total Spaß, es ist sehr harmonisch. Wir sind in den Stadien ganz nah dran, wir haben ein großes Team mit einem tollen Kommentatoren-Duo. Es kommt gut an, auch weil wir an diesen Dienstagen tolle Exklusivspiele hatten. Dazu funktioniert die Expertenmischung sehr gut. Matthias Sammer finde ich sowieso stark, und Mario Gomez bringt in seiner Rolle eine ganz eigene Sichtweise ein, genau wie die Expertinnen auch.

teleschau: Was hat sich im Vergleich zu Sky bei Prime Video verändert?

Hellmann: Der Wechsel ins Stadion ist natürlich eine andere Philosophie. Dazu kommt das neue Team und ein neuer Player, den alle ganz spannend finden. Wenn Prime Video aufschlägt, merkt man schon, dass da einfach eine Marke mit viel Bumms kommt. Ich mache den Job bei Sky ja schon sehr lange, die Bundesliga ist mein Baby. Aber wenn du in ein neues Team mit frischen Ideen kommst, ist das bereichernd.

teleschau: Für alle nationalen und internationalen Spiele sind mittlerweile vier Abos nötig. Blickt der Fan da noch durch?

Hellmann: Ja, ich glaube, dass sich das bei den Leuten mittlerweile etabliert hat. Es gibt auch viele Leute, die sich dann zusammenschließen. Wenn ich sehe, dass über drei Millionen Haushalte das Bayern-Aus gegen Villarreal bei Prime Video gesehen haben, dann funktioniert es. Das wird sich auch nicht wieder in eine andere Richtung drehen, dafür sind die Lizenzen einfach zu teuer. Aber wenn ich nach England schaue, sind die Abos deutlich teurer. Ich kann die Beschwerden der Fans schon teilweise nachvollziehen, aber die Lizenzen sind so, wie sie sind.

teleschau: Reiner Calmund fürchtete zuletzt um den Volkssport Fußball und kritisierte die Vermarktungsspirale ...

Hellmann: Ich schätze Reiner wirklich sehr, bin da aber komplett anderer Meinung. Wir hatten die Frage schon oft, ob es zu viel ist und sich der Fußball zu weit von den Fans entfernt. Nach der Pandemie ohne Zuschauer in den Stadien wurden Bedenken laut, ob die Fans noch einmal so zurückkommen wie vorher. Die letzten Spiele, bei denen ich war, waren alle ausverkauft. Ich habe das Gefühl, dass die Sehnsucht nach Live-Sport und Ablenkung groß ist. Live kannst du nicht ersetzen, das gibt es eben nur um 21 Uhr am Dienstagabend. Ich habe nicht das Gefühl, dass der Volkssport Fußball bald kein solcher mehr ist.

"Früher war die Fanszene wilder und rauer"

teleschau: Sie sind seit über 20 Jahren dabei im Fußballgeschäft. Welche Dinge von früheren Zeiten vermissen Sie heute?

Hellmann: Das ist immer so nostalgisch. Ich habe mir den Satz "Früher war alles besser" eigentlich verboten. Es war natürlich anders früher, wilder und rauer, wenn ich an die Fanszene denke. Klar ist es heute kommerzieller. Ich kann mir heute nicht mehr mit 3,50 Euro einfach eine Bratwurst kaufen, weil ich dafür eine Fankarte brauche. Das Geschäft ist dynamischer, größer, noch spektakulärer geworden, es ist einfach mit der Zeit gegangen.

teleschau: Welche Spiele sind besonders bei Ihnen hängengeblieben?

Hellmann: 2001, als ich auf Schalke war, und die Mannschaft diese berühmte Treppe hochgefahren ist im Alten Parkstadion. Ich hatte die Info, Schalke ist Meister und habe der Mannschaft gratuliert. Und zehn Minuten später kamen die wieder aus der Kabine und haben mich natürlich angeguckt mit Giftpfeilen in den Augen. Das hat sich schon sehr eingeprägt in meine kleine Fußballseele. Ich mag den Sport einfach, diesen Vergleich elf gegen elf, das Körperliche und die technischen Feinheiten - von Spielen als kleiner Junge auf der Alm bis zum Champions-League-Finale Bayern gegen Dortmund.

teleschau: Die Saison neigt sich dem Ende zu, die Sommerpause kündigt sich an. Was haben Sie für diese Fußballpause geplant?

Hellmann: Ich fahre erst einmal mit meiner Familie in den Urlaub und schaue bei anderen Sportereignissen vorbei. Als Auto- und Motorradfreak schaue ich mir das 24-Stunden-Rennen an, und ich werde Motorrad fahren. Zwischendurch ist natürlich auch immer irgendwas, ich bin ja Freelancer. So ganz frei habe ich also nicht, aber ich kann gut abschalten. Ich brauche dann nicht jeden Tag irgendwelche Fußballmeldungen.   teleschau: Treten Sie auch noch hin und wieder selbst gegen den Ball?

Hellmann: Ja, ab und zu kicken wir noch in Köln auf dem Kunstrasen. Das funktioniert noch ganz gut. Das sind ein paar Kumpels, alles Ex-Amateurkicker. Ich war immer ein dynamisch-rustikaler Fußballer. Das habe ich nicht abgelegt. Aber danach geht's wieder, und wir haben uns alle lieb.

teleschau: Zum Abschluss ein Tipp von Ihnen: Wer macht dieses Jahr das Rennen in der Champions League?

Hellmann: Ich lege mich da komplett auf Liverpool fest. Was sie gerade für einen Fußball spielen, fast ohne Verletzte - denen gelingt momentan fast alles. Sie haben mit Jürgen Klopp einen Trainer, der nach wie vor eine unglaubliche Energie auf die Mannschaft abstrahlt und der nicht alles so vorgibt wie der Kontrollfreak Pep Guardiola.

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