19.05.2025 von SWYRL/Marko Schlichting
Am vergangenen Donnerstag hätten in Istanbul Friedensverhandlungen auf höchster Ebene statttfinden können - doch Wladimir Putin kam nicht. Ein Waffenstillstand wurde nicht erreicht, die Verhandlungen stocken. "Was nun?", fragt Caren Miosga am Sonntagabend ihre Gäste. Keiner weiß es.
In den vergangenen Tagen hat Bundeskanzler Friedrich Merz eine schmerzliche Erfahrung gemacht: Politik ist nicht so toll, wenn sie mit der Realität kollidiert. Am vergangenen Montag hätte eigentlich ein Waffenstillstand in der Ukraine beginnen können. Der russische Präsident Putin war damit nicht einverstanden. Am Donnerstag hätten in Istanbul auf höchster Ebene Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland stattfinden können. Putin drückte sich. Die Ukraine ist weiterhin meilenweit von einem Frieden entfernt, nur zu einem Gefangenenaustausch haben die Gespräche geführt. Wie es in der Ukraine weitergehen könnte, diskutiert am Sonntagabend einmal mehr Caren Miosga im Ersten mit ihren Gästen.
Mit Norbert Röttgen ist der Vizefraktionschef der Union und Vizechef der Atlantik-Brücke zu Gast. "Es ist jetzt nochmal deutlicher geworden, was schon vorher klar war", sagt Röttgen. "Der Krieg ist das Mittel der Wahl von Putin. Er hat eine historische Mission, das russische Imperium wieder zu begründen. Er ist unter Druck geraten, weil die Europäer und Trump zusammen agiert haben." Putin habe nie verhandeln wollen. "Das zeigt: Wenn Europa und die Amerikaner zusammen agieren, können sie etwas bewegen. Bewegung ist jetzt reingekommen, denn es ist ja noch nicht zu Ende." Die tatsächliche Bewegung geht allerdings nicht in die Richtung, die sich der CDU-Politiker vorstellt: In der Nacht zum Sonntag gab es die massivsten russischen Drohnenangriffe seit Beginn des Krieges.
Abonniere unseren Newsletter und wir versprechen, deine Mailadresse nur dafür zu verwenden.
Claudia Major: Verhandlungen sind für Putin "ein Mittel, um die Krieg trotzdem noch zu gewinnen"
Sicherheitsexpertin Claudia Major erklärt den Denkfehler, dem der Westen offenbar verfallen ist: "ich glaube, dass wir ein völlig anderes Verständnis von Diplomatie haben. Die westlichen Staaten sehen Diplomatie als ein Mittel an, wo man redet, Gesprächsbereitschaft zeigt, Kompromisse schließt, um diesen Krieg zu beenden. Und wir sehen, dass aus russischer Sicht Verhandlungen nur ein anderes Mittel sind, um diesen Krieg trotzdem noch zu gewinnen." Es habe sehr viele Gespräche mit Russland gegeben, jedoch in den letzten drei Jahren keinerlei Kompromissbereitschaft von der russischen Seite. "Wir müssen anerkennen, dass Russland kein Interesse hat, zu verhandeln, um den Krieg wirklich zu beenden, um Kompromisse zu schließen, sondern dass Verhandlungen ein anderes Instrument in dem großen außenpolitischen Instrumentenkasten sind, um zu gewinnen."
Russland habe seine Maximalforderungen für einen Frieden zudem erhöht und angedroht, man könne den Krieg auch noch zwanzig Jahre weiter führen. Der jetzt vereinbarte Gefangenenaustausch sei wichtig, denn ukrainische Gefangene würden in Russland gefoltert, Doch dazu hätte es kein gesondertes Treffen wie das in Istanbul gebraucht, auf einen Gefangenenaustausch habe man sich schon öfter während des Krieges geeinigt.
Heribert Prantl, Kolumnist bei der "Süddeutschen Zeitung", fährt an diesem Abend aus der Haut. Er ist der einzige Gast, der auf Verhandlungen mit Putin setzt. Dazu müsse man ihm etwas bieten, zum Beispiel ein Lockern der Sanktionen. Trump habe es versucht, es habe nichts gebracht, wirft Claudia Major ein. Trotzdem müsse weiter verhandelt werden, ist sich Prantl sicher. Der Widerstand seiner Diskussionspartner ärgert Prant - so sehr dass er sich einen bissigen Kommentar nicht verkneifen kann: "Da sitzen lauter Leute am Tisch, die ganz genau wissen, was Putin denkt."
Dass in Wahrheit wirklich ernstzunehmende Friedensverhandlungen nicht einmal angefangen haben, damit sie weitergeführt werden könnten, sagt keiner. Aber der ehemalige deutsche Botschafter im Moskau, Rüdiger von Fritsch, hat damit schon Erfahrungen gemacht, Er berichtet: 2014 habe er fünf Jahre mit Putin verhandelt, den Krieg gegen die Ukraine nicht fortzusetzen. Das Ergebnis war der Angriff auf das Land im Februar 2022.
Entscheiden Trump und Putin über den Kopf der Ukraine hinweg?
"Die Frage ist. Was könnte Putin bewegen, von dem Krieg, den er als Mittel gewählt hat, Abstand zu nehmen", fragt Röttgen. Und er beantwortet seine Frage auch gleich: "Er hat eine historische Idee. Er akzeptiert nicht, dass Russland ein Land ist wie andere, sondern er sieht das russische Selbstverständnis darin, ein Imperium zu sein, das herrscht."
Nun will US-Präsident Trump am Montagnachmittag mit Putin telefonieren. Alleine. Er sei es leid, dass sich da immer irgendwelche Leute einmischen, sagte Trump dem Fernsehsender Fox News. Und: "Ich denke, wir bekommen einen Deal hin." "Der Irrglaube ist, dass man das auf der Ebene einfach so lösen kann", sagt Claudia Major. Die Militärexpertin fürchtet, dass Trump und Putin am Ende einen Deal finden, der nicht mit den Interessen der Ukraine vereinbar sei.
"Aber es gibt noch eine andere Dimension daran, die mich sehr besorgt", fügt sie hinzu. "Nämlich, dass der Kern des Putinismus und des Trumpismus sehr ähnlich sind. Das ist ein starker autokratischer Kern, das ist eine Ablehnung von Freiheiten - von der Pressefreiheit bis zur Wissenschaftsfreiheit, das ist das Großmachtstreben. Und das sollte uns Europäer zutiefst besorgen, wenn diese beiden sehr ähnlichen Ideologien über unsere Zukunft in Europa entscheiden." Röttgen möchte deswegen Verhandlungen führen und dabei Druck auf Putin ausüben. So könne man zum Beispiel Vermögen von russischen Oligarchen endgültig einbehalten und damit die Ukraine unterstützen.
Am Ende ist es so wie immer: Man redet, ohne eine Lösung zu finden. Trotzdem hat sich etwas geändert. Denn der russische Präsident hat inzwischen jedem sein wahres Gesicht gezeigt. Und die Hoffnung, einen Frieden in der Ukraine mit Putin herbeizuführen, verebbt langsam. Die vermeintlich stabile Welt von gestern existiert nicht mehr. Das könnte jetzt jedem klar geworden sein.