TV-Porträt zum 65. Geburtstag

"Du brennst aus": In NDR-Doku zeigt sich Jogi Löw verletzlich wie nie - und offen für neue Jobs

25.01.2025 von SWYRL/Gianluca Reucher

Jogi Löw hat sich anlässlich seines 65. Geburtstages in der NDR-Doku "Sportclub Story. Jogi. Löw. Weltmeister." so offen wie nie gezeigt. Im Rückblick auf seine Karriere spricht er über den Weg zum WM-Titel 2014 sowie die düstere Zeit danach - vor allem psychisch. Ein einzigartiger Einblick in die Gefühlswelt, Vergangenheit und Zukunft des Ex-Nationaltrainers.

"Trainer zu sein, ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Vom gefeierten Held bis zum Versager", erklärt Joachim "Jogi" Löw gleich zu Beginn der neuen NDR-Doku "Sportclub Story. Jogi. Löw. Weltmeister.", die den ehemaligen Bundestrainer so nah wie nie zuvor zeigt.

Anlässlich seines 65. Geburtstages am 3. Februar spricht der gefeierte Weltmeister von 2014 im Film im Originalton offen über Ruhm und Schattenseiten seiner Karriere, vom größtmöglichen Triumph bis hin zum Absturz - auch auf mentaler Ebene. So verrät Jogi Löw auch, was er damals anders machen würde und ob er sich ein weiteres Amt als Trainer einer Nationalmannschaft vorstellen kann.

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Jogi Löw: "Das ist das schwierigste, was ein Trainer machen muss"

Als DFB-Coach hat ihn wohl annähernd jeder Deutsche klar vor Augen, doch: Wie verbringt ein Jogi Löw eigentlich seine Freizeit? Mit Hallenfußball! Wie Löw in der NDR-Doku erzählt, hätte er sich 2005 oder 2006 wöchentlich mit ehemaligen Akteuren seines Heimatvereins SC Freiburg zum Kicken getroffen. "Manchmal ist es ein bisschen zu viel Aggressivität in unserem Alter. Aber ehrgeizig sind wir schon und es macht natürlich wahnsinnig Spaß", schildert der frühere Mittelstürmer des SC Freiburg, für den er in seiner Spielerkarriere 263 Partien (83 Tore) bestritten hat.

Erzogen wurde Jogi Löw sehr höflich. Dankbarkeit und Demut hätten ihn stets auf seinem Weg begleitet. Und von klein auf der Sport: "Mein ganzes Leben lang bin ich dem Ball hinterhergelaufen, war jeden Tag auf dem Sportplatz mit meinem Vater von mittags bis abends", denkt Löw zurück. Einmal schoss er in einem Spiel sagenhafte 18 Tore.

Als seine Spielerkarriere zu Ende ging, sei es für Jogi Löw zunächst "echt schwer" gewesen, "aber Trainer war viel spannender für mich", gibt der Ex-Coach unter anderem des VfB Stuttgart und Karlsruher SC zu. Sein Vorbild sei Ottmar Hitzfeld gewesen, mit seiner "ruhigen, sachlichen Art". Bei Hitzfeld sei immer eine enge Bindung zwischen Trainer und Spieler spürbar gewesen.

Zu seinem Engagement bei der deutschen Nationalmannschaft - zunächst als Co-Trainer - wurde er vom damaligen DFB-Teamchef Jürgen Klinsmann überredet, erinnert sich Jogi Löw. Der gab nach dem dritten Platz bei der Heim-WM 2006 das Zepter an seinen Assistenten weiter. Das Ziel von Neu-Nationaltrainer Löw: "Wir müssen mal spielerisch so gut sein wie Brasilien. Oder wie Spanien zu der Zeit." Ausgerechnet gegen Spanien ging das EM-Finale 2008 dann mit 0:1 verloren.

Von dem klassischen "Besinnen auf die deutschen Tugenden" hatte Jogi Löw genug. Er wollte spielerische Entwicklung - und musste dafür auch dem ein oder anderen Spieler absagen. "Das ist das schwierigste, was ein Trainer machen muss. Weil es werden Träume zerstört. Und das geht mir schon auch nah", gesteht Löw. Mit unter anderem Mesut Özil, Toni Kroos und Mats Hummels holte er dafür wiederum Spieler in die Nationalelf, die zu seiner Vorstellung von Fußball passten: "Technisch gut, schnell, Zug zum Tor, mutig sein, das Spiel auch mal dominieren, den Gegner spielerisch vor Probleme stellen."

"Vielleicht ist das der allerschönste und allerglücklichste Moment. Weil das ist die Erlösung"

Auch wenn der ganz große Erfolg bis 2014 noch auf sich warten ließ, hätten die Spieler stets felsenfest an den eingeschlagenen Weg geglaubt. Dann kam das Halbfinale der WM 2014 gegen Gastgeber Brasilien. Löw denkt an die Augenblicke unmittelbar vor Anpfiff zurück: "Die kamen raus, Messer zwischen den Zähnen und in den Augen war die pure Kampfeslust. Ich habe gedacht, da kommt eine unglaubliche Wucht auf uns zu." Genau in der enormen Motivation der Brasilianer, unbedingt Tore schießen und das Publikum hinter sich bringen zu wollen, sah der DFB-Coach die Chance. "Cool bleiben, konzentriert bleiben und entscheidende Momente irgendwie ausnutzen", forderte er. Am Ende gab es einen historischen Kantersieg für Deutschland, 7:1.

Im folgenden Finale gegen Argentinien (1:0) wurde das große Ziel dann Realität. "Dieser kurze Moment des Gefühls, wo ich das gehört habe, dass der abpfeift und dass das Spiel zu Ende ist, vielleicht ist das der allerschönste und allerglücklichste Moment. Weil das ist die Erlösung", beschreibt Löw seine damaligen Emotionen, als klar war: Deutschland ist Weltmeister!

Dann habe er sich erst einmal alleine in den Katakomben zurückgezogen: "Ich habe mich glaube ich alleine auf der Toilette eingeschlossen für fünf Minuten. Ich musste ein paar Minuten alleine sein", so Löw. Er sei nach den acht Wochen müde gewesen, hätte psychisch aber auch langsam gemerkt, "dass ich leer bin". Hätte ihm vorher jemand gesagt, er würde Weltmeister werden, hätte er erwartet, der glücklichste Mensch der Welt zu sein. "Aber das war eben nicht so. Deswegen war ich auch ein bisschen verwirrt."

Löw flog in den Urlaub. Alleine. Nach ein paar Tagen sei sein Berater gekommen. "Ich habe gedacht, jetzt werden wir da drei Tage durchfeiern", erzählt dieser in der NDR-Doku. Doch von Feiern war keine Spur. Der frisch gebackene Weltmeister sei schlecht drauf gewesen, nachts ständig aufgewacht und hätte Situationen im Kopf gehabt: "Manchmal ist es so, dass irgendwie dann im Erfolg die größten Bedenken aufkommen, was die Zukunft betrifft", erklärt Löw. Sein Berater resümiert: "Er war in einem Loch. Mit ihm konnte man nicht reden, nicht lachen, er war nicht gut drauf."

"Für mich war das die schlimmste Niederlage in der ganzen Geschichte beim DFB"

Löw suchte Hans-Dieter Hermann, den Sportpsychologen des Teams, auf. Nach ein paar Monaten hätte er dann "das Tief" größtenteils überwunden gehabt. Und dann stand ja auch schon das nächste Ziel an: Europameister werden. Daraus wurde allerdings nichts. Im Halbfinale unterlag Deutschland der französischen Nationalmannschaft (0:2).

"Für mich war das die schlimmste Niederlage in der ganzen Geschichte während meiner Tätigkeit für den DFB. Hätten wir im Halbfinale gegen Frankreich gewonnen, wären wir Europameister geworden, weil wir haben jedes Mal gegen Portugal gewonnen. Und ich bin mir sicher heute, man hätte auch in dem Spiel, im Finale, gewonnen. Und da habe ich schon auch ein bisschen zu kämpfen gehabt mit", schildert Löw seine Frustration.

Das Team um Löw konnte sich wieder aufrappeln, gewann ein Jahr später den Confed Cup. Die ganze Zeit als DFB-Trainer kostete ihn aber auch viel Kraft: "Du brennst auch ein bisschen aus." Löw berichtet weiter, dass er beinahe auch ein bisschen paranoid geworden sei, "weil man sich auch manchmal verfolgt und beobachtet fühlt. (...) Man zieht sich manchmal, wenn man nach außen geht, eine Ritterrüstung an und sagt: Okay, heute muss ich irgendwie da durch". Vieles hätte ihm die Energie geraubt.

Das frühe Aus bei der WM 2018 fasst Löw im Film ganz nüchtern zusammen: "Ja und dann gab es irgendwie einen Eckball für Südkorea und es gab einen Konter und dann war das halt irgendwie vorbei für uns." Die Mission Titelverteidigung war krachend gescheitert, danach sei es "niemandem gutgegangen", so Löw. Viele Probleme hätten zu diesem Zeitpunkt angefangen. Davonlaufen wollte er nicht, doch habe er es nicht mehr hinbekommen, "eine funktionierende Mannschaft auf das Feld zu schicken". Im Achtelfinale gegen England bei der EM 2021 auszuscheiden, könne seiner Meinung nach zwar passieren, "aber wir waren ganz einfach auch ein Stück weg von der Stärke der Jahre zuvor".

Jogi Löw hatte Anfrage für die WM 2026: "Bin nicht unbedingt für alle Ewigkeiten in Rente"

Jogi Löw trat nach der EM 2021 als Nationaltrainer zurück. "Ich habe zu dem Zeitpunkt eigentlich auch so ein bisschen erkannt: Der Zeitpunkt, um aufzuhören, wäre eigentlich besser gewesen nach der WM 2018", weiß der langjährige Erfolgscoach heute. Er sei womöglich aber "ein bisschen zu verkrampft und auch zu übertrieben ehrgeizig" gewesen. "Weil Erfolg macht natürlich gierig." Doch Löw hat längst erkannt: "Es gibt noch was Wichtigeres als nur Titel und Siege für Geschichtsbücher. Es gibt Menschlichkeit und Füreinanderdasein."

Gut getan hätten ihm nach seinem Rücktritt seine alten Freunde aus Freiburg, die ihn gar nicht als Bundestrainer sehen, sondern als "Jogi von der A-Jugend oder vom SC Freiburg". Noch einmal Trainer einer Nationalmannschaft zu sein, könne er sich aber durchaus vorstellen. So hätte er sogar "eine interessante Anfrage für die WM 2026" bekommen, "das hat aber dann letztendlich nicht geklappt. Das hätte ich wahrscheinlich gemacht", verrät Löw.

Vorbei ist die Karriere des Jogi Löw noch nicht: "Das ist schon auch ein Ziel. Das kann schon sein, wenn da irgendwie ein Verband kommt, denke ich schon, dass ich jetzt nicht unbedingt schon in Rente bin für alle Ewigkeiten."

Der NDR zeigt "Sportclub Story. Jogi. Löw. Weltmeister" am Sonntag, 2.2., 23.35 Uhr. Schon jetzt ist der Film in der ARD-Mediathek zu sehen.

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