17.01.2025 von SWYRL/Elisa Eberle
Wie kann die Erinnerung an den Holocaust gelingen, wenn alle Überlebenden tot sind? Diese Frage diskutiert der sehenswerte Dokumentarfilm "Heute ist das Gestern von morgen" am Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus beim Pay-TV-Anbieter The HISTORY Channel.
Acht Jahrzehnte sind vergangen, seit die Alliierten Deutschland vom Nationalsozialismus befreiten. Die meisten Zeitzeugen sind inzwischen gestorben. Das Gedenken der Opfer lebt jedoch weiter und ist in Zeiten, in denen in Europa abermals Krieg herrscht, und in denen Hass, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit an Kraft gewinnen, vielleicht wichtiger denn je. The HISTORY Channel zeigt am Montag, 27. Januar, dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, deshalb gleich vier Dokumentationen zum Thema. Los geht es mit der deutschen TV-Premiere von "Heute ist das Gestern von morgen" um 20.15 Uhr.
Der Titel ist ein Zitat aus dem Gedicht "An die, die zögern zu fragen" der 2024 verstorbenen Holocaust-Überlebenden Batsheva Dagan: "Fragt heute", heißt es darin: "denn heute / ist das Gestern / von morgen". Tatsächlich ist der unvermeidbare Tod der letzten noch lebenden Holocaust-Überlebenden die wohl größte Herausforderung, mit der sich die Verantwortlichen von Gedenkstätten derzeit konfrontiert sehen, wie Filmemacher Jonas Neumann betont: "Sie sind nicht zu ersetzen, und diese Lücke ist spürbar und kann Sorge bereiten. Es ist meine Überzeugung, dass die Erinnerung und damit auch das Immunsystem unserer Demokratie nur dann intakt bleiben, wenn eben auf breiter Basis immer wieder unsere Vergangenheit - und damit die Lehren fürs Heute - betont werden. Dafür sind die Gedenkorte an den früheren Verbrechensorten unabdingbar, aber auch nicht genug. Es braucht immer frische Ideen, Initiativen, Projekte, Diskussionen und solidarischen Einsatz."
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Über den Alltag einer wichtigen Arbeit
Wie die Erinnerungskultur heute aussieht, zeigt der Film unter anderem am Beispiel der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau, in dem der Urgroßvater des Filmemachers selbst einst inhaftiert war: In den oft recht unaufgeregten Szenen des 82-minütigen Films sieht man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter organisatorische Telefonate oder Videocalls führen, mit einem der letzten, hochbetagten Zeitzeugen zu Vorträgen an Schulen fahren oder auch mal Pavillons als Schutz gegen den Regen aufbauen. Die Selbstverständlichkeit, mit der fast schon banale Alltagsszene wie diese mit den zutiefst berührenden Erzählungen der Holocaust-Überlebenden gepaart werden, ist eine besondere Stärke des Films.
Gedreht wurde "Heute ist das Gestern von morgen" im Zeitraum von Januar 2022 bis Januar 2023. Der Überfall der Hamas auf Israel im Oktober 2023 spielt somit keine Rolle, wohl aber der von Putin im Februar 2022 verübte Angriffskrieg auf die Ukraine: "Ich habe diesen Krieg überlebt, und zwar im Ghetto der Stadt Scharhorod im Bezirk Winniza", erinnert sich der ukrainische KZ-Überlebende Boris Zabarko im Film an den Zweiten Weltkrieg: "Es war eine schreckliche Katastrophe, für mich und all die anderen. Und jetzt erlebe ich eine neue Katastrophe: Ich bin Zeuge, wie ein Land das meine überfällt - und wieder Tränen, wieder Blut, wieder Zerstörung, wieder großes Unglück für sehr viele Menschen in meiner Heimat auch in Russland und anderen Ländern Europas." Er betont: "Für mich ist das eine große Katastrophe, dass wir, die den Holocaust und den Weltkrieg überlebt haben, einen erneuten Krieg nicht verhindern konnten. Die Menschheit hat weder aus dem Holocaust noch aus dem Zweiten Weltkrieg Lehren gezogen."
"Es müssen Orte der Begegnung werden"
"Heute ist das Gestern von morgen" vermittelt einen spannenden Einblick in die unverzichtbare Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gedenkstätte und darüber hinaus, etwa wenn gezeigt wird, wie zukünftige Guides zur verbalen Präzision für ihren Einsatz auf dem KZ-Gelände geschult werden. Auf die Frage, wie die Erinnerungskultur im KZ Dachau in Zukunft aussehen könnte, liefert letztlich Andrea Heller vom Förderverein für internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit in Dachau eine spannende Antwort: "Wir können nicht das einfach weiter nur als Kranzabwurfstelle benutzen, um an ein paar Gedenktagen hier die üblichen Rituale durchzuziehen, sondern eigentlich müssen es Orte der Begegnung werden, wo sich Menschen austauschen, über das Thema reden." Wie zum Beiweis sieht man den heute 89-jährigen Boris Zabarko in einer der letzten Szenen des Films mit jungen Menschen auf dem einstigen KZ-Gelände Tischtennis spielen.
Direkt im Anschluss an "Heute ist das Gestern von morgen" zeigt The HISTORY Channel eine weitere Doku als deutsche TV-Premiere: In "Willem & Frieda - Widerstand gegen die Nazis" (21.45 Uhr) erzählt der britische Schauspieler Stephen Fry die Geschichte des niederländischen Malers Willem Arondeus und der niederländischen Cellistin Frieda Belinfante, die tausenden Juden mit gefälschten Pässen das Leben retteten. Im weiteren Verlauf des Abends wiederholt der Pay-TV-Sender die Doku "Die Befreier" (23.10 Uhr) über die Befreiung des KZ Dachau aus dem Jahr 2015 und "Die letzten Zeitzeugen" (0.10 Uhr) aus dem Jahr 2020. Auf HISTORY Play sowie bei WOW/Sky stehen die beiden neuen Dokus ab dem Erscheinungstag, die anderen beiden bereits vorab zum Abruf bereit.