Alice Dwyer im Interview

"Es war überfällig, dass das Fernsehen zur Realität aufschließt"

08.05.2022 von SWYRL/Eric Leimann

In "Wendehammer" spielt Alice Dwyer eine von fünf Nachbarinnen, die ihr Vorstadtleben trotz zahlreicher Widrigkeiten meistern. Vor und hinter der Kamera sind vor allem Frauen für die Miniserie zuständig. Hat sich Fernsehen im Jahr 2022 durch weibliche Blickwinkel verändert?

Alice Dwyer hat die Problematik einer früher meist männlichen Perspektive bei Film und Fernsehen am eigenen Leib erfahren. Seit sie elf Jahre alt ist, mischt die Berlinerin mit neuseeländischer Mutter im Schauspielgeschäft mit. Dabei spielte die heute 33-Jährige gerade am Anfang der Karriere zahlreiche Lolita-Rollen. Immer wieder wurde sie als Objekt männlicher Begierden besetzt - auch wenn man sagen muss, dass in ihrer Filmografie zahlreiche kluge und gute Werke zu finden sind. Mittlerweile ist Dwyer längst erwachsen, seit 2018 mit ihrem Schauspielkollegen Sabin Tambrea verheiratet, und ihre Rollen haben an Facetten gewonnen. In der ZDF-Miniserie "Wendehammer" (ab Donnerstag, 12. Mai, 20.15 Uhr) spielt sie eine junge Vorstadtmutter und Doktorandin, die an den eigenen Erwartungen und jenen ihrer Familie zu zerbrechen droht. Die Dramedy, für die vorwiegend weibliche Kreative verantwortlich zeichnen, porträtiert fünf solcher Frauenleben. Es ist auch eine Serie über Freundschaft unter Frauen.

teleschau: "Wendehammer" ist vor und hinter der Kamera eine sehr weiblich produzierte Serie. Fühlt sich das gut an?

Alice Dwyer: Es hat sich in diesem Fall gut angefühlt. Dass so viele Frauen an dem Projekt beteiligt waren, könnte dem Thema dienlich gewesen sein. Frauen erzählen Frauencharaktere sicherlich anders als Männer.

teleschau: Was genau verstehen Frauen besser an Frauen als Männer?

Alice Dwyer: Im Gespräch mit Frauen steckt oft eine andere Dringlichkeit, ein anderes Bedürfnis, wenn es darum geht, wie Frauencharaktere dargestellt werden. Es finden andere Überlegungen statt, gibt ein anderes Abwägen, was einem wichtig ist. Dass man zum Beispiel davon wegkommt, Frauen in aufgeregten Situationen hysterisch zu zeigen. Natürlich kann so etwas auch vorkommen. Aber es gibt auch viele, die in stressigen Situationen ruhig und überlegt bleiben. Es kommen meist weniger Klischees vor, wenn Frauen Frauen erzählen. Oder man spielt bewusster mit diesen Klischees. Beides kann reizvoll sein.

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"Die Gefahr war deutlich größer, wenn Männer auf dem Regiestuhl saßen"

teleschau: Fallen Ihnen noch mehr Aspekte ein, die Frauen an Frauen besser verstehen?

Alice Dwyer: Ich möchte nicht in diesen Tenor geraten, dass ich lieber mit Frauen als mit Männern arbeite, denn das stimmt nicht. Ich kenne genauso viele Männer, die ihren Job beherrschen oder eben nicht, wie ich Frauen kenne, auf die dasselbe zutrifft. Beide können in die gleichen Fallen tappen, ohne es zu merken.

teleschau: Was sind denn typische Fallen?

Alice Dwyer: Das kann vieles sein. Die erwähnte Hysterie oder Mädchenhaftigkeit, die man Frauenfiguren in Filmen gerne mal zuschreibt. Dass die Rollen schnell in etwas Süßliches kippen. Oder dass Frauen als konstant überfordert dargestellt werden. Letzteres passiert bei Frauenrollen sehr viel öfter als bei männlichen Figuren. Meine Rolle in "Wendehammer" ist zwar permanent überfordert, aber das rührt aus ihrer derzeitigen Lebenssituation - und ist keine Charaktereigenschaft. Es gibt aber auch "äußerliche" Fallen ...

teleschau: Wie sehen solche "äußerlichen Fallen" denn aus?

Alice Dwyer: Es geht darum, wie Frauen zurechtgemacht und inszeniert werden. Da, würde ich sagen, war die Gefahr deutlich größer, wenn Männer auf dem Regiestuhl saßen. Ich sage bewusst "war", weil in der letzten Zeit viel Umdenken stattgefunden hat. Das Thema ist kompliziert und nicht so einfach über einen Kamm zu scheren.

"Die Wünsche des Publikums sind unterschiedlich"

teleschau: Sind Sie überrascht, wie schnell Themen wie Geschlechtergerechtigkeit und Diversität im Mainstream der Gesellschaft angekommen sind?

Alice Dwyer: Die Tendenzen sind ermutigend, aber wir stehen erst am Anfang eines langen Weges. Und doch muss man auch beachten: Es kommt darauf an, wo man wohnt. Ich lebe in Berlin, da ist diese Entwicklung vielleicht anders fortgeschritten als in ländlicheren Gebieten. Aber auch da haben neue Zeiten begonnen, die Welt hat sich stark verändert. Neuere Fernsehformate spiegeln sehr viel mehr die Welt wider, in der ich lebe. Rückblickend hat es sich das deutsche Fernsehen allerdings sehr lange in einer Welt gemütlich gemacht, die es so nicht mehr gibt. Insofern war es überfällig, dass das Fernsehen zur Realität aufschließt.

teleschau: Sie haben zuletzt einen Film für Netflix gemacht. Finden Sie, dass sich Stoffe und Ästhetik zwischen dem alten Fernsehen linearen Ursprungs und den neuen Streamingdiensten klar unterscheidet?

Alice Dwyer: Ja, und es wäre schade, wenn sich die Ästhetik nicht auch unterscheiden würde. Die verschiedenen Angebote wenden sich zum großen Teil an unterschiedliches Publikum. Die Wünsche des Publikums sind unterschiedlich. Dazu kommt: Durch die Mediatheken-Angebote ändert sich auch die Herangehensweise der öffentlich-rechtlichen Programme an Erzählweisen und Ästhetik gerade spürbar.

teleschau: Kommen wir noch mal zurück zu "Wendehammer". Wie gliedert sich diese Serie ins heutige Fernseherzählen ein?

Alice Dwyer: Es geht um vier Freundinnen, die sich seit der Schulzeit kennen und eine neu Zugezogene, meine Rolle, die in enger Nachbarschaft zueinander leben. Im Hintergrund wabert ein Mystery-Aspekt, denn die vier Freundinnen verbindet ein Geheimnis aus der Vergangenheit. Vor allem aber geht es um die Leben dieser sehr unterschiedlichen Frauen. Es geht um Freundschaft und darum, ob man sie sich aussucht. Und inwieweit man in seinem Leben oder seiner Normalität gefangen ist. Das alles wird leicht erzählt, aber dennoch mit Tiefe im Detail.

"Meine beste Freundin kenne ich aus dem Kindergarten"

teleschau: Sind die Figuren in "Wendehammer" realistische oder stilisierte Frauen?

Alice Dwyer: Mit den Frauen, die wir erzählen, kann man sich identifizieren, würde ich sagen. Manche von ihnen sind glücklich, andere nicht. So ist das Leben. Die Serie stellt Fragen wie: Finden sie einen Weg, um dort glücklich zu sein? Muss man ausbrechen? Wie hilft einem das soziale Umfeld, das man dort hat? Und: Hat man überhaupt ein solches Umfeld, auf das man bauen kann?

teleschau: Wie wichtig sind alte Freundschaften?

Alice Dwyer: Meine beste Freundin kenne ich aus dem Kindergarten. Wir sind immer noch sehr eng. Die meisten meiner Freundschaften sind auf jeden Fall über 15 Jahre alt. Ich würde mich als "treue Seele" beschreiben. Natürlich habe ich mittlerweile unterschiedliche Freundeskreise, aber der vielleicht wichtigste ist jener, in dem sich die Leute wirklich schon sehr, sehr lange kennen. Das ist eine wichtige Stütze in meinem Leben.

teleschau: Was genau ist Ihnen an Freundschaft wichtig?

Alice Dwyer: Enge Freundschaften haben für mich einen ähnlichen Stellenwert wie Familie. Freunde sind für mich die Wahlfamilie - und dafür gehe ich sehr weit.

teleschau: Was unterscheidet Freundschaft von anderen engen Beziehungen?

Alice Dwyer: Freundschaft hat viel mit Vertrauen und gleichzeitig mit Freiheit zu tun. Das Vertrauen, dass man alles erzählen kann und gleichzeitig weiß, dass man nicht alles erzählen muss.

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