04.10.2023 von SWYRL/Eric Leimann
Starautor Heinz Strunk, früher selbst Tanzmusiker, spielt in der Amazon-Serie "Last Exit Schinkenstraße" (ab 6. Oktober) einen erfolglosen Musiker, der im Herbst der Karriere auf Mallorca als Partystar durchstarten will. Wie viel Kunst und wie viel Scham steckt in einem typischen Ballermann-Hit?
Der Gegensatz könnte kaum größer sein: Auf der einen Seite der Romancier Heinz Strunk ("Fleisch ist mein Gemüse"), der schon zweimal für den Deutschen Buchpreis, so etwas wie der nationale Literatur-Oscar, nominiert war. Und dann die Partyszene von El Arenal mit ihren - scheinbar? - stumpfen Hits. Ballermann-Musik, wie sie Mickie Krause und andere "performen". In der sechsteiligen Amazon-Serie "Last Exit Schinkenstraße" (ab 6. Oktober) bringt der 61-jährige Multikünstler Heinz Strunk nun beides zusammen: sprachlich feinste Humorarbeit und Ballermann-Mucke, die so prägnant im Gehirn steckenbleibt, dass man sich schämt und diese von Heinz Strunk selbst geschriebenen Lieder gleichzeitig nicht mehr loswird.
teleschau: Für "Last Exit Schinkenstraße" haben Sie jene Songs, die Ihre Protagonisten zu Ballermann-Stars machen sollen, selbst geschrieben. Wie schwer war das?
Heinz Strunk: Ich versuche schon ziemlich lange, Persiflagen auf Stimmungsmusik und Schlager zu schreiben. Man kann fast sagen, es ist ein privates Hobby. Oft mache ich gar nichts mit den Songs. Deshalb sind zwei Lieder aus der Serie auch schon etwas älter. Die hatte ich noch herumliegen: "Schäferstündchen" und "Alarmstufe Rahmstufe". Die anderen Stücke habe ich jetzt im Rahmen der Drehbucharbeit - quasi nebenbei - mitgemacht. Es waren noch mal fünf oder sechs Songs, die zum Kernrepertoire meines Helden Pierre Panade zählen.
teleschau: Könnten Sie sich vorstellen, dass Ihre Songs am echten Ballermann funktionieren?
Strunk: Das müsste man ausprobieren. Natürlich wäre das der große Wunsch. Voraussetzung ist natürlich, dass die Serie erfolgreich wird. Aber ich würde mich natürlich sehr darüber freuen.
Abonniere doch jetzt unseren Newsletter.
"Es gibt definitiv kein Rezept für einen Ballermann-Hit"
teleschau: Was ist das Geheimnis eines Mallorca-Hits? Ironisch sind diese Lieder ja auch, aber wahrscheinlich schlichter als Ihr Humor, oder?
Strunk: Man weiß nie, was erfolgreich ist. Auch und gerade im Genre Ballermann-Hit. Ich habe mich darüber länger mit Mickie Krause unterhalten, der in der Serie sich selbst spielt. Er sagte, dass Hits nicht planbar sind. Dasselbe gilt übrigens für Filme, Serien oder Literatur. Vor allem, wenn es um originäre Stoffe geht. "Layla" zum Beispiel, der große Party-Schlager aus dem letzten Jahr, auf den hat zum Beispiel niemand vorher gesetzt. Es gibt definitiv kein Rezept für einen Ballermann-Hit.
teleschau: Also könnten auch Ihre Songs zu welchen werden?
Strunk: Mickie Krause meinte, die Texte wären zu kompliziert. Das kann ich nachvollziehen. Da sind bei mir teilweise lange Aufzählungen und Wortspiele drin. Mann kann so etwas natürlich an sich vorbeiziehen lassen und nur auf den Beat und die einfachen Melodien hören. Aber beim Mitsingen könnte es dann schwierig werden.
teleschau: Welche Art von Humor findet sich in den echten Ballermann-Hits. Kann man ihn beschreiben?
Strunk: Ein Leitmotiv ist sicher die "Säuigkeit". Es muss ordentlich schlüpfrig sein. Auch sexistisch funktioniert gut. Das habe ich aufgegriffen: "Mein Liebes-Döner wird ganz saftig, wenn ich an dich denke". Das ist ja schon fast eklig. Ich schäme mich ein bisschen dafür, aber dann auch wieder nicht, weil es ja unter Satire läuft. Ob es jedoch bei den Ballermann-Leuten ankommt oder ob die sich darüber ärgern, dass sie so ein bisschen verarscht werden, das weiß ich nicht. Es ist aber meinerseits nicht als Verarsche gemeint. Ich habe nur nach bestem Wissen und Gewissen meine Sachen getextet.
"Sie haben die Texte sicher nicht verstanden, aber top mitgemacht"
teleschau: Wurden nur die Außenaufnahmen der Serie am Ballermann gedreht oder auch die Szenen in den Clubs?
Strunk: Nein, nein - wir haben die Partyszenen schon auf Mallorca gedreht. Ursprünglich wollten wir sogar in den Megapark, aber das war aus logistischen Gründen nicht möglich. Deshalb buchten wir vor Ort in El Arenal einen anderen Club. Dafür haben wir dann andere Szenen, die in Hotelzimmern auf Mallorca spielen, in Hamburg aufgenommen. Die Drehzeit war ziemlich genau: drei Wochen Deutschland und drei Wochen Mallorca.
teleschau: Was erzählten Sie den Mallorca-Club-Statisten, die Sie in der Serie als Pierre Panade zunächst auspfeifen und später feiern sollten? Wie viel wussten die über Ihre Serie?
Strunk: Natürlich wussten die Bescheid, was sie tun sollten. Aber das Publikum war ganz anders, als wir es geplant hatte. In der Ausschreibung suchten wir vor allem "weiße Deutsche" - aber von denen haben sich relativ wenige gemeldet. Am Ende waren sicher zu 80 Prozent Spanier im Saal. Sie haben die Texte sicher nicht verstanden, aber top mitgemacht. So eine Stimmung, wie sie an jenem Abend herrschte, hätte man in Deutschland wahrscheinlich gar nicht erzeugen können.
teleschau: Es gibt viele berühmte Gaststars in die Serie wie Charly Hübner, Bjarne Mädel oder HP Baxxter - die kommen im weiteren Sinne aus Ihrer Hamburger Humor-Blase. Aber wie sind Sie an Mickie Krause gekommen?
Strunk: Es war klar, dass wir so jemanden brauchen. Und Mickie ist ja fast schon das Gesicht des Ballermanns. Wir haben ihn zu Hause in Wettringen bei Münster besucht, und es war gar nicht schwer, ihn von der Serie zu überzeugen. Ich glaube, er hat sich darüber gefreut, mal in anderen als den üblichen Zusammenhängen aufzutauchen.
"Unterhaltungsmusik im Spiegel des Erfolgs oder Misserfolgs"
teleschau: Was haben Sie von Mickie Krause gelernt?
Strunk: Ich habe früher lange Tanzmusik gemacht. Deshalb würde ich mich als alten Unterhaltungs-Hasen bezeichnen. Aber Mickie Krause, das ist natürlich noch mal ein anderes Kaliber. Er steht seit 20, 25 Jahren auf diesen großen Bühnen und ist ein Meister im Umgang mit dem Publikum. Mickie hat meinen vollsten Respekt. Im Grunde ist es egal, ob man eine Bauernhochzeit in der norddeutschen Provinz oder den Megapark in El Arenal bespielt. Es ist die gleiche Unterhaltung - nur einmal in klein und einmal in groß. Aber die Mechanismen, die greifen, sind nahezu identisch.
teleschau: Haben Sie Mickie Krause gefragt, was ihm an seinem Job Freunde bereitet?
Strunk: Nein, darüber redet man nicht. Man fragt einen Kollegen nicht: "Sag mal, findest du das eigentlich gut, was du da machst?". Mickie ist ein feiner, ausgesprochen professioneller und guter Typ. Einer, der auch großen Ehrgeiz dabei entwickelt hat, in seiner Serienrolle zu überzeugen. Er kommt wie ich und andere Leute der Szene wie Atze Schröder ursprünglich aus der Tanzmusik. Viele dieser Entertainer sind ursprünglich dem "Muckertum" entsprungen. Mickie interessierte sich auch für meine Sachen, er hat ein paar Bücher gelesen und sich sogar noch mein neues "Der gelbe Elefant" besorgt. Der Typ ist definitiv alles andere als stumpf.
teleschau: Sie haben zwölf Jahre von Tanzmusik gelebt und diese Zeit schon öfter in Ihrer Kunst thematisiert. Ist es ein ewiger Schatz, von dem Sie sich bedienen oder ewige Trauma-Bewältigung?
Strunk: Trauma-Bewältigung ist es nicht. Ich bin der Meinung, man kann sich nichts von der Seele schreiben oder durch Kunst Probleme lösen. Ich jedenfalls kann das nicht. Eigentlich hatte ich mit dem biografischen Schreiben aufgehört. Auch, weil es nichts mehr zu erzählen gab. Seit "Der goldene Handschuh" habe ich im Prinzip nichts mehr geschrieben, das direkt mit mir zu tun hat. Aber Film oder Serie sind noch mal ein anderes Genre. Eine andere Darstellungsform, um meine Erfahrungen mit der Unterhaltungsmusik noch mal - sehr konkret - einfließen zu lassen. Deshalb interessierte mich diese Serie mit ihrem sehr fokussierten Thema: Unterhaltungsmusik im Spiegel des Erfolgs oder Misserfolgs.
"Die wenigsten Ballermann-Unterhalter setzen sich wirklich durch"
teleschau: Bei Unterhaltungsmusik, die nicht funktioniert, geht es auch darum, wie viel persönliche Demütigung man ertragen kann. Wie kamen sie früher damit klar, wenn Sie auf der Bühne ausgebuht wurden?
Strunk: Ausgebuht wurde ich eher selten. Als Tanzmusiker wird man im schlechtesten Falle ignoriert. In seltenen Fällen haben sich die Veranstalter bei uns beschwert, dass wir nicht so "geliefert" haben, wie sie sich das gedacht hatten. Wer aber am Ballermann und das vielleicht als Newcomer -den Erfolg sucht, muss - glaube ich - einiges aushalten. Da wird mit härteren Bandagen gekämpft. Man hört auch immer, dass da viele scheitern. Die wenigsten Ballermann-Unterhalter setzen sich wirklich durch. Das gilt allerdings für die meisten künstlerische Berufe.
teleschau: Ist Ballermann-Entertainer einer der härtesten, exponiertesten Berufe der Welt?
Strunk: Ja, dem würde ich zustimmen. Ich wüsste nicht, was damit vergleichbar ist. Vielleicht noch Casting-Shows, wo man sein "Talent" vorzeigen soll und das Ganze bereits darauf angelegt ist, dass die Leute scheitern. Ich würde mir es nervlich jedenfalls nicht zutrauen, als Ballermann-Unterhalter auf der Bühne zu stehen.
"Eine der härtesten Szenen, die ich in meinem Bühnenleben gesehen habe"
teleschau: Ist die Anstiftung zum Exzess, die der Ballermann-Künstler leisten soll, eine der schwersten Aufgaben, die man als Entertainer haben kann?
Strunk: Ich war ein einziges Mal kurz am Ballermann, sonntags gegen 14 Uhr. Da war schon eine schwerst-enthusiasisierte Meute am Feiern. Ich denke, einerseits kann man dieses Publikum leicht kriegen, man kann es aber auch leicht verlieren (lacht). Ich habe mal eine vergleichbare Situation beobachtet. Da waren wir mit Studio Braun bei "Rock am Ring" und "Rock am Park". Es könnte 2001 gewesen sein. Da gab es ein Comedy-Zelt und vor uns trat so ein typischer Stand-up-Comedian auf, ein Schwachkopf mit öden Witzen. An irgendeinem Punkt, es waren vielleicht 600 Leute im Zelt, begann einer zu pfeifen. Dann hat sich das Pfeifen übers gesamte Zelt ausgedehnt. Der Mann hat mir leidgetan, er wurde im wahrsten Sinne des Wortes von der Bühne gepfiffen. Auch wir waren froh, dass wir unseren Auftritt danach halbwegs überstanden. Es war eine der härtesten Szenen, die ich in meinem Bühnenleben gesehen habe und ich denke seitdem: Wahrscheinlich würde ich mich nie davon erholen, wenn mir so etwas passieren würde.
teleschau: Sie schreiben gefeierte Literatur, produzieren hochkulturelles Theater und nun machen Sie eine Serie für Amazon. Arbeiten Sie anders, je nachdem für welche Zielgruppe sie tätig sind?
Strunk: Meine Zielgruppe sind immer so viele Leute wie möglich. Aber ich verändere deshalb nicht meine Kunst. Natürlich erreicht man mit einer solchen Serie potenziell andere Leute als mit einem Roman. Ich versuche immer, so gut abzuliefern, wie es geht. Ich denke, das können alle bestätigen, die mit mir gearbeitet haben. Egal, ob das so Quatschkram ist wie die Ballermann-Hits aus der Serie, Literatur oder Theater. Man muss alles mit einer großen Ernsthaftigkeit betreiben - sonst wird es nichts.