26.11.2022 von SWYRL/Eric Leimann
In der achtteiligen Sexual-Dramedy "Love Addicts" - ab Mittwoch, 30. November, bei Amazon Prime - therapiert Annette Frier vier junge Menschen, die mit der Liebe und ihrer Ausführung unterschiedlichste Probleme haben.
In der Sexual- und Beziehungs-Dramedy "Love Addicts" (ab Mittwoch, 30. November, Amazon Prime) geht es um Probleme, von denen ältere Zuschauer vielleicht noch nie gehört haben: um weibliche Dominanz, Sexualität gegen Leere oder krankhaftes Romantisieren. Vier junge Frauen und Männer in ihren 20-ern suchen in einer Gruppentherapie den Rat der Therapeutin Anja, gespielt von Annette Frier. Im Interview spricht die 48-jährige Schauspielerin und Mutter 14-jähriger Zwillinge über Generationsunterschiede bei der sexuellen Selbstdefinition und warum "mehr wissen" nicht unbedingt heißt, dass man auch ein reiferer Mensch ist.
teleschau: Eine Serie wie "Love Addicts" würde im linearen Fernsehen zu einem massenhaften Abschaltreflex führen. Stimmen Sie da zu?
Annette Frier (lacht): Ich weiß, was Sie meinen, aber ich denke, dass sich selbst das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Aufbruch befindet. Bisschen spät, aber immerhin Aufbruch. Selbst eine Serie wie "Merz gegen Merz" (ein ZDF-Erfolg, d. Red.) wäre beim ZDF vor ein paar Jahren noch nicht möglich gewesen. Aber es ist doch klar: Der Zuschauer-Altersschnitt bei ARD und ZDF liegt bei über 60. Bei einem Streaming-Dienst wie Amazon befindet er sich ein paar Jahrzehnte darunter. Ist doch logisch, dass man dort andere Themen und Serien findet.
teleschau: Können die Älteren mit einer Serie über die Gestaltung des eigenen Sexuallebens nichts anfangen?
Annette Frier: Mit 60 Jahren hat man nun mal andere Sorgen als mit 20. Auch, wenn es um Liebe und Sexualität geht. Insofern ist "Love Addicts" natürlich auch Genre: eine Coming-of-Age-Serie für junge Erwachsene, die ihre Partnerschaft und Sexualität finden und für sich definieren müssen. Ich bin dabei die Beobachterin, sowohl in der Rolle der Therapeutin als auch in echt.
Abonniere doch jetzt unseren Newsletter.
"Würde ich durchaus sagen: Diese vier Typen kenne ich!"
teleschau: Was ist denn anders bei den jungen Leuten in der Serie, wenn man sie mit älteren Figuren oder auch echten Menschen vergleicht?
Annette Frier: Wenn man jung ist, hat man vielleicht eine verspieltere Lebenshaltung. Bei diesem Spielen und Herumprobieren beantwortet man wichtige Fragen: Wer bin ich? Wo komme ich her? Wo will ich hin? Nun geht es bei den Figuren in der Serie nicht um das Entdecken der Sexualität, die sind ja eher Twens als Teenager. Doch die Entdeckungsreise geht ja weiter. Die Figuren in "Love Addicts" haben ihren ersten Job oder die erste Freundin, mit der man über Familiengründung und das Wesen des Erwachsenseins nachdenkt. Diese Phase wird mit den vier Figuren einmal durchgespielt. Vielleicht ein wenig exemplarisch, aber ich würde ich durchaus sagen: Diese vier Typen kenne ich!
teleschau: Welche Modelle von Sex- oder Liebessucht sehen wir?
Annette Frier: Da gibt es Dennis, der nicht "nein" sagen kann und sich dominieren lässt. Dann ist da Nele, die idealisiert Romantik. Davon kenne ich übrigens ganz viele Leute im echten Leben. Die Sehnsucht, alles im Anderen zu finden. Außerdem Zoe, die trotz ihres noch jungen Alters total abgezockt agiert, andererseits förmlich nach Zuwendung schreit. Sie versucht, mit Sex Leere zu übertünchen. Und dann gibt es noch Ben, ein unglaublicher "Poser". Er vögelt alles weg, aber hinter diesem "Talent" verbirgt sich ein eigentlich schwaches Selbstwertgefühl.
teleschau: Sie haben mit vier jungen Schauspielerinnen und Schauspielern gedreht. Ist diese junge Generation anders gestrickt?
Annette Frier: Die großen Themen der Menschheit bleiben ja dieselben. Goethes Werther ist auch heute im entsprechenden Alter noch hochaktuell. Trotzdem ändert sich der Zeitgeist. Ich war zum Beispiel total überrascht, wie selbstreflektiert die jungen Kollegen waren. Dagegen habe ich mich in meinen 20-ern noch in einer Art Dornröschenschlaf befunden.
teleschau: Wie meinen Sie das?
Annette Frier: Die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler haben ein sehr respektvolles Miteinander in der Gruppe. Demokratische und deutlich weniger hierarchische Umgangsformen sind viel selbstverständlicher. Da gilt nicht mehr das Prinzip "Follow the Leader", wie es noch Ende der 90-er üblich war. Auch Abgrenzung ist normaler. Wir haben uns früher oft emotional in der Gruppe verausgabt und überfordert. Die setzen heute ihre Kopfhörer auf und ziehen sich sehr professionell - nach intensivem Austausch - in sich selbst zurück. Worauf ich im Vergleich zu meinem jüngeren Selbst durchaus neidisch bin.
"Mühsam, wenn Diskussionen 'blasig' werden"
teleschau: Nicht nur Hierarchien im Job werden heute viel radikaler infrage gestellt. Den Geschlechterrollen geht es ähnlich. Sind Sie überrascht, wie schnell die Gender-Debatte auch Fiction-Programme verändert hat?
Annette Frier: Ja, ich bin immer noch überrascht, wie schnell das ging. Deshalb finde ich es auch interessant, wie nun bei einem großen amerikanischen Konzern wie Amazon damit umgegangen wird. In den USA geht es ja schon viel länger als bei uns um Vorgaben der Political Correctness und Diversität, die strikt eingehalten werden müssen. Das hatte mich schon bei "LOL" sehr interessiert, und in "Love Addicts" hatten wir jetzt wieder damit zu tun. Richtlinien und Inhalte stehen da oft in einem amtlichen Spannungsverhältnis.
teleschau: Sie meinen Dinge wie, dass Diversität vor und hinter der Kamera deutlich strenger gehandhabt wird, als bis vor kurzem im klassischen deutschen Fernsehen?
Annette Frier: Klar, in diese Richtung bewegt sich gerade sehr viel. Die grundsätzliche Entwicklung sehe ich als total richtig und wichtig an. Wenn politische Korrektheit aber eine Art von Zensur ausübt, wird mir mulmig. Das wird zum Beispiel in der Komödie sichtbar, wo es immer auch um Anarchie geht. Wenn Anarchie und Witz der politischen Korrektheit untergeordnet werden, kommt es automatisch zu Interessenskonflikten - formuliere ich mal vorsichtig.
teleschau: Was geht Ihnen in der Gender-Debatte am meisten auf die Nerven?
Annette Frier: Das, was ich eben sagte: Wenn sich eine Witze-Polizei formiert, die absolutistisch entscheidet, was witzig sein darf und was nicht. Oft sind das übrigens Leute, deren Kernkompetenz nicht unbedingt Humor ist. Dann wird es tatsächlich eng. Es wird immer dann mühsam, wenn Diskussionen "blasig" werden. Wenn man plötzlich so tut, als würden 15 Prozent der Gesellschaft ohne jeglichen Zweifel für alle stehen, obwohl die restlichen 85 Prozent in diesen Diskussionen gar nicht stattfinden.
"Komplette Flexibilität im Intimleben ist nicht unbedingt 'state oft the art"
teleschau: Leben wir in einer neuen Zeit, in der wir uns - wie die Figuren in der Serie - ständig neu definieren und erfinden müssen?
Annette Frier: Ich denke, wir leben in einer Übergangszeit. Momentan gibt es eine große Regelungswut. Alles wird überdacht, überarbeitet. In etwa so, als wäre unsere Gesellschaft ein Verein, der sich eine neue Satzung gibt. Das alles ist vermutlich notwendig, selbst wenn es hie und da anstrengend ist. Wir werden bald in einer Situation angekommen sein, in der Debatten um Geschlecht, Diversität oder Selbstermächtigung wieder unkomplizierter und entspannter geführt werden, weil sie endlich in der Normalität angekommen sind. Da bin ich mir eigentlich relativ sicher.
teleschau: Wenn Sie mit den jungen Schauspielerinnen und Schauspielern in der Serie über Sexualität und Beziehungen gesprochen haben - hatten Sie das Gefühl, dass sich da von Ihrer zu deren Generation etwas Grundsätzliches verändert hat?
Annette Frier: Das finde ich schwierig zu beantworten. Auch deshalb, weil es oft zwei unterschiedliche Wahrheiten gibt: das, was man behauptet zu sein, und das, was man tief drinnen tatsächlich ist oder fühlt. Damit geht es übrigens allen Generationen gleich. Komplette Flexibilität im Intimleben ist nicht unbedingt "state oft the art". Ich kenne viele junge Leute, die erstaunlicherweise ein sehr konservatives Bild von Beziehung und Liebe haben. Leute, die mit Mitte 20 schon viel von Familie, Haus und Kindern reden. Verstehe ich irgendwie. Ein solches Lebensmodell bietet das Gefühl von Sicherheit in einer extrem unsicheren Zeit.
teleschau: Die junge Generation scheint auf jeden Fall sehr viel aufgeklärter über alle Spielformen der Sexualität und auch von Beziehungsmodellen zu sein - oder?
Annette Frier: Ja, da stimme ich voll zu. Das sehe ich auch bei meinen eigenen Kindern, die jetzt 14 Jahre alt sind. Nur: Alles wissen, heißt noch lange nicht, dass man auch alles versteht und emotional einordnen kann. Als Menschen und Persönlichkeiten reifen - das müssen wir alle. Egal, was wir vielleicht schon in jungen Jahren gelernt haben. Amen und Halleluja!