02.10.2024 von SWYRL/Eric Leimann
Nach neuneinhalb Jahren und zehn Filmen macht Dagmar Manzel mit dem fränkischen "Tatort: Trotzdem" Schluss. Felix Voss (Fabian Hinrichs) wird zurückbleiben. Zum Finale begleiten die beiden ein Drama zweier Familien, das an griechische Tragödien erinnert. Dies allerdings zum Sound der Sixties.
Im Vorspann des letzten Falles von Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) passiert etwas sehr Ungewöhnliches. Zum Sound von Barry McGuires berühmtem Weltuntergangs-Song "Eve Of Destruction" von 1965 sieht man kurze, schwarz-weiß verfremdete Szenen aus den knapp 90 Minuten, die danach folgen. So etwas macht man normalerweise nicht beim "Tatort". Man sieht Menschen, die schreien, weinen, mit Pistolen wedeln, knien oder fallen. Man darf sich also auf etwas gefasst machen. Dabei geht der "Tatort: Trotzdem" so schön los: Kommissar Voss (Fabian Hinrichs) verabschiedet sich von seiner fast schon überirdisch liebevollen Freundin, der "Honigfrau" (Maja Beckmann), und steigt in den Wagen seiner Kollegin Paula. Wie man aus den letzten neuneinhalb Jahren ihrer Zusammenarbeit weiß, gehen auch diese beiden achtsam und, ja, liebevoll miteinander um. Die beiden Franken-Kommissare würden jedoch nicht gerufen, wenn nichts Schlimmes passiert wäre - und so hat einen das Böse in diesem zehnten und letzten gemeinsamen Voss & Ringelhahn-Fall bald wieder eingeholt.
Der 25-jährige Lenni wurde vor drei Jahren für den gewaltsamen Tod einer jungen Frau verurteilt. Nun hat er sich im Knast umgebracht. Alle mochten Lenni und glaubten an seine Unschuld, selbst die Wärter. Vor allem seine Schwestern Maria (Anne Haug) und Lisa (Mercedes Müller) sind vom Tod des Bruders zutiefst geschockt. Weil Polizeipräsident Dr. Kaiser (Stefan Merki) ein schlechtes Gewissen in der Angelegenheit hat, wird der Fall noch einmal neu aufgerollt. Die zahlreichen Ex-Freunde und sexuellen Kurzzeit-Bekanntschaften der Ermordeten müssen noch mal ins Präsidium zum Verhör. Dann ereignet sich ein weiterer Todesfall, der mit den neuen Ermittlungen zu tun haben könnte. Es hat einen der drei Söhne des wohlhabenden Unternehmers Karl Dellmann (Fritz Karl) und seiner Frau Katja (Ursina Lardi) erwischt.
Ringelhahn und Voss stoßen auf die aus Krimis bekannte Mauer des Schweigens, die hier aber ziemlich laut nach dem Krieg zweier Familien schreit. Um seinen toten Sohn zu rächen, hat Karl Dellmann sogar einen Profi engagiert: Hans Drescher (Gerhard Liebmann) ist seinem "Chef" zu Dank verpflichtet und soll für ihn einen Job übernehmen - auch wenn er ihm diesen am liebsten ausreden würde ...
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Dagmar Manzels "The Sound of Silence" als Trost
"Der Himmel ist ein Platz auf Erden", der erste "Tatort" aus Franken, hatte bei seiner Ausstrahlung am 12. April 2015 eine Monster-Einschaltquote: Über zwölf Millionen Zuschauer schauten sich den Film von Regisseur Max Färberböck an, der sich den Fall mit Drehbuch-Partnerin Catharina Schuchmann auch ausgedacht hatte.
Färberböck, mittlerweile 74 Jahre alt, ist der Erfinder des Franken-Duos und zeichnet für - inklusive "Trotzdem" - fünf der zehn Filme verantwortlich. Alle hatten sie gemein, dass ungewöhnliche und meist psychologisch komplexe Krimis erzählt wurden. Sie waren alles, nur nicht von der Stange. Färberböck, dessen letztes Drehbuch nun mit Stefan Betz entstand, stellt in seinen Versuchsanordnungen mit Krimi-Plot stets großen Fragen: Wie und warum wird ein Mensch schuldig? Gibt es Erlösung für Täter, Opfer und Angehörige? Und wenn ja, auf welche Weise kann man diese Erlösung bekommen?
Auch wenn Religion bei Färberböck selten eine explizite Rolle spielt, ihre großen Themen schwingen fast immer mit. Nun, zum Abschied von Paula Ringelhahn, die auf eigenen Wunsch ausscheidet und für die der Bayerische Rundfunk noch keine Nachfolge bekannt gab, wird noch einmal das ganz große Erzählbesteck ausgepackt: Der "Tatort: Trotzdem" gleicht einer griechischen Tragödie und erzählt von Trauer, Wut und Rachegefühlen, die sich kaum bändigen lassen. Und das, obwohl jeder weiß - selbst die von den Rachegefühlen direkt Betroffenen -, dass all das ziemlich übel enden wird.
Nicht nur "Eve Of Destruction", Barry McGuires Folk-Weltuntergangesshymne wird im "Tatort" gespielt, sondern zwei weitere Lieder, die aus dem Jahr 1965 stammen oder damals populär wurden: Bob Dylans "It's All Over Now, Baby Blue" in einer Coverversion zu einer ziemlich gewalttätigen Szene und dann - vorgetragen von Dagmar Manzel, die ja auch Sängerin ist - Simon & Garfunkels "The Sound Of Silence" in einer A capella-Version auf dem Polizeipräsidium. Dass Kommissarinnen zum Abschied singen, scheint gerade populär zu sein. Schon Franziska Weisz hatte sich vom Hamburger "Tatort" und Wotan Wilke Möhring in einer Kiezkneipe mit Band verabschiedet.
Dass das Franken-Duo Manzel/Hinrichs nun ausgeklungen ist, kann man nicht genug bedauern. Die beiden Klasse-Schauspieler lieferten über zehn Filme mit das Klügste und oft auch Berührendste, was der deutsche Fernsehkrimi in der letzten Dekade zu bieten hatte.