22.09.2024 von SWYRL
Das organisierte Verbrechen kann sich die besseren Anwälte leisten und zur Sicherheit schmiert man gleich noch die Richterin. Geht es in Deutschland wirklich so korrupt zu, wie der "Tatort: Ad Acta" mit den Ermittlern Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) es zeigte?
Im 14. Schwarzwald-"Tatort" sah es lange Zeit gar nicht gut für die Gerechtigkeit aus - und auch die Justiz bekam ihr Fett weg. Nur durchs beherzte Wahrheitsverbiegen der moralisch integren Freiburger Ermittler Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) konnte nach 90 Minuten doch noch so etwas wie ein faires Ende hergestellt werden.
Taugen die Gesetze, taugt unsere Justiz also nicht dazu? Neben dieser großen Frage des Krimis gab es beim immerhin auch schon seit sieben Jahren ermittelnden Schwarzwald-Team noch ein paar private Überraschungen - die aber alles andere als auserzählt sind. Man darf also gespannt sein, wie es weitergeht.
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Worum ging es?
Star-Anwalt Rainer Benzinger (August Zirner), dessen Stiefsohn und Mitarbeiter Tobias Benzinger (Jan Liem) erschossen wurde, zeigt sich am Tatort seltsam gefasst. Ist es die angelernte professionelle Coolness? Während Nader Mansour (Hassan Akkouch), der Mann des Toten, und Maki Benzinger (Akiko Hitomi), die Mutter, aufrichtig trauern, scheint Rainer Benzinger zur Tagesordnung übergehen zu wollen. Was für ein Mensch ist das?
Nun, wir erfahren, dass Benzinger vorwiegend für die Bösen dieser Welt arbeitet: Rotlichtmilieu, organisierte Kriminalität - und er hat eine überragende Quote in Sachen Freisprüche und milde Urteile vorzuweisen. Könnte es sein, dass Junganwalt Tobias Benzinger aus diesem schmutzigen Familiengeschäft aussteigen wollte?
Worum ging es wirklich?
Wie kommt man dem Bösen bei? Und sind die Guten dieser Welt nicht arg in der Defensive, selbst wenn einem der bürgerliche Krimi oft etwas anderes weismachen will? Der hochdekorierte Drehbuchautor Bernd Lange ("Das Verschwinden"), der 2017 den ersten Schwarzwald-Fall ("Tatort: Goldbach") schrieb und auch die Ermittler-Figuren ersonnen hatte, erzählt 2024 eine fiktive Geschichte, die auf keinem wahren Fall beruht.
Regisseur Rudi Gaul beschreibt das Thema des Krimis so: "Die moralische Frage, die dieser Film aufwirft, rührt unter anderem an das Dilemma, inwiefern sich die Polizei überhaupt für Fragen der Gerechtigkeit zuständig fühlen darf. Ein Problem, mit dem Tobler und Berg in diesem Film kämpfen. Interessant fand ich an Bernd Langes Buch, dass sich die Ermittler und die Täter auf gewisse Weise dasselbe fragen: Gibt es einen Weg zur Gerechtigkeit? Und: Darf man das Gesetz brechen, um Gerechtigkeit zu erreichen?"
Wie verbreitet ist Korruption in Deutschland?
Das Bundeskriminalamt veröffentlicht jedes Jahr ein "Lagebild Korruption", das man sich kostenlos auf der BKA-Seite herunterladen kann. Der Bericht für das Jahr 2023 hält 3.841 Straftaten (+6,7 %) fest, wobei zwischen "Gebenden" (888, +21,6 %) und "Nehmenden" (619, +7,5 %) unterschieden wird. Der dabei entstandene Schaden von 57 Millionen Euro (+111, %) ist sprunghaft gestiegen.
Insgesamt scheinen die Zahlen einen Anstieg der Korruption in Deutschland zu belegen, allerdings waren die - aufgedeckten - Straftaten im "Lagebild 2022" gegenüber dem Vorjahr auch sehr stark zurückgegangen - um rund 50 Prozent. Bei den entdeckten Korruptionsfällen 2023 entfielen 47 Prozent auf den Bereich "Wirtschaft", 27 Prozent entfielen auf die Öffentliche Verwaltung und immerhin knapp 24 Prozent auf Strafverfolgung und Justizbehörden. Umgerechnet wären das 918 aufgedeckte Korruptionsfälle im Bereich Strafverfolgung und Justizbehörden 2023 - was den neuen "Tatort" mit Tobler und Berg nicht völlig unrealistisch erscheinen lässt.
Wo kommt plötzlich Franziska Toblers Vater her?
Nein, Sie haben nichts verpasst. Die Rolle von Bruno Tobler als pensionierter Polizeikommissar und Vater Franziska Toblers gab es vorher nicht. Falls Ihnen aber der Schauspieler bekannt vorkam: In "Mord mit Aussicht" spielte Michael Hanemann (79) ebenfalls einen pensionierten Polizisten: Hans Zielonka, den ehemaligen Leiter der Polizeistation von Hengasch.
Auffällig ist, dass nach einer längeren "neutralen" Phase die Dauer-Singles Tobler und Berg nun wieder mehr private Erzählstränge erhalten. Wir erinnern uns: Zu Anfang versuchte Tobler, damals noch mit Partner, vergeblich ein Kind zu bekommen. Und im wilden Fastnacht-Film "Ich hab im Traum geweinet" (2020) landeten die beiden Ermittler sogar mal miteinander im Bett. Doch danach gab man sich wieder bedeckt.
Zuletzt sah man Berg immer öfter in seinem Zweitjob als Teilzeitbauer und in "Ad Acta" erfuhr man, dass er als Polizist angezählt war - und sich früher eventuell etwas zuschulden kommen ließ. Und Tobler? Lebt nun mit Zwiespaltgefühlen bei Besuchen beim alten, krebskranken Vater - der aber dennoch zur Dominanz neigt. Man darf gespannt sein, wie es mit Berg und den Toblers weitergeht.
Was passiert im nächsten Schwarzwald-"Tatort"?
Der kommende Fall von Tobler und Berg wird in der ersten Jahreshälfte 2025 zu sehen sein. Er trägt den Namen "Tatort: Die große Angst", Buch und Regie stammen von Christina Ebelt ("Sterne über uns"). Der Film spielt innerhalb von 24 Stunden. Erzählt wird vom Todesfall in einer Bergbahngondel und einer hochschwangeren Frau (Pina Bergemann), die verdächtigt wird, diesen Todesfall verursacht zu haben. Zusammen mit ihrem Mann (Benjamin Lillie) flieht die Verdächtige und irrt einigermaßen ziellos durch den Wald. Franziska Tobler und Friedemann Berg sind an der Suche nach dem Paar beteiligt und versuchen parallel aufzuklären, was hinter der Geschichte steckt.
Die Moral bröselt gewaltig
Der bröselnde Boden trotz "ehrlichen" Handwerks, der im Krimi von Bernd Lange (Drehbuch) und Rudi Gaul (Regie) Kommissar Berg dauernervt, kann durchaus als Symbol für die Arbeit der Polizei und anderer Institutionen der Gerechtigkeit aufgefasst werden. Im Schweiße seines Angesichts versucht man, das Richtige zu tun - doch am Ende bricht einem das Fundament unter den Füßen zusammen. Top-Autor Bernd Lange ("Das Verschwinden") schrieb bereits einige der besten Schwarzwald-Folgen. Zum Beispiel Toblers und Bergs Debüt, "Tatort: Goldbach" (2017), oder zuletzt "Die Blicke der Anderen" (2022) mit Lisa Hagmeister als am Mord an Mann und Sohn vorverurteilte Frau, die als Fremde nicht so recht in eine gutbürgerliche Schwarzwaldgemeinde passen wollte.
Auch "Ad Acta" ist ein präzise beobachtetes Moralstück aus der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft. Nur geht es - erst mal - weniger um private Verstrickungen, sondern darum, wie wir als Individuen mit den Institutionen unserer demokratischen Gesellschaft umgehen. Darf und sollte ein Anwalt wirklich sämtliche Mittel nutzen, um selbst die Bösesten der Gesellschaft zu verteidigen? Welche Rolle spielen die Gerichte bei der finalen Urteilsfindung? Und ergibt der Job der Polizei überhaupt noch Sinn, wenn die Gegner kaum greifbar, dazu in Sachen Mittel und Ausstattung hoch überlegen sind? Friedemann Berg und Franziska Tobler, die in ihrem siebten Ermittlungsjahr zuletzt wieder mehr private Erzählstränge bekommen, stellen sich diese Fragen ebenso wie die Zuschauer, auch wenn einem dies durch das fein-zurückhaltende Drehbuch keineswegs übergebraten wird.
Und wie auch Otto-Normal-Bürger reagieren auch Tobler und Berg betroffen, aber unterschiedlich auf den gesellschafllichen Status quo: Berg mit Wut, Tobler mit Traurigkeit. Immerhin: Am Ende gelingt den beiden eine kleine, fiese Rache gegen das Böse an sich - und dazu applaudiert nicht nur Schwarzwald.