Der Russe ist einer, der Birken liebt - Mo. 07.10. - ZDF: 00.55 Uhr

Was ist jüdisch, was ist deutsch? Romanverfilmung zeigt emotionale Suche nach Identität

04.10.2024 von SWYRL/Maximilian Haase

Ein Schicksalsschlag stürzt eine junge Frau in der Romanadaption "Der Russe ist einer, der Birken liebt" in die Krise. Aylin Tezel spielt in dem bewegenden Drama die Hauptrolle einer jungen Frau mit postsowjetischen-jüdischen Wurzeln, die ein neues Leben in Tel Aviv beginnt.

Was heißt es, deutsch zu sein? Wann ist man jüdisch? Oder eine Frau? Identität ist das Schlagwort der Stunde, egal ob es um Geschlecht und sexuelle Orientierung oder um kulturelle und nationale Zugehörigkeit geht. Nicht zuletzt die Kriege in der Ukraine und in Gaza illustrieren derzeit, wie wichtig neben geo- und sicherheitspolitischen Interessen auch identitäre Themen sein können. Hochaktuell erscheint darum ein Film wie "Der Russe ist einer, der Birken liebt", der sich ausführlich mit der brennenden Frage auseinandersetzt: Wer bin ich eigentlich? Basierend auf dem gleichnamigen Buch von Olga Grjasnowa, begleitet die gelungene Romanadaption eine junge Frau mit jüdischen und postsowjetischen Wurzeln, die nach einem schweren Schicksalsschlag in eine Krise stürzt und ein neues Leben in Tel Aviv beginnt. Nachdem ARTE das Drama mit Aylin Tezel in der Hauptrolle zuletzt als Free-TV-Premiere zeigte, läuft der Film jetzt noch einmal im Rahmen der ZDF-Reihe "Das kleine Fernsehspiel".

Tezel, vielfach prämiert unter anderem für die Serie "Unbroken", verkörpert die junge Mascha. In den 90er-Jahren mit ihren Eltern vor dem Bürgerkrieg in Aserbaidschan geflohen und nach Deutschland gekommen, lebt sie nun ein ziemlich glückliches Leben. Mit ihrem Freund Elias (Slavko Popadić) ist sie gerade zusammengezogen, mit ihren weltoffenen Freunden geht sie gerne feiern - und einer angehenden Karriere als begabter Dolmetscherin steht bei ihr, die fünf Sprachen fließend spricht, auch nichts im Weg.

Doch dann ändert sich alles. Elias wird durch eine zunächst harmlos wirkende Fußballverletzung zum Pflegefall - und Maschas Alltag zerfällt mehr und mehr. Als ihr Freund plötzlich stirbt, stürzt ihre Welt endgültig zusammen. Nichts ist mehr wie vorher. Doch Mascha begegnet der Lebenskrise mit neuem Mut: Kurzerhand fliegt sie nach Israel, um in Tel Aviv ein neues Leben zu beginnen. Es warten wilde Partys, neue Lieben, gutes Essen - aber auch all die Widersprüche des jüdischen Staates, die Mascha bei der Suche nach Identität und beim Bewältigen ihrer traumatischen Vergangenheit begleiten.

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"Du siehst nicht jüdisch aus, aber auch nicht deutsch"

Regisseurin Pola Beck inszeniert ihr Drama, das 2022 beim Filmfest München Premiere feierte, nicht als lineare Erzählung, sondern in assoziativen Sprüngen und Rückblicken. Weil das Publikum jederzeit Maschas Schicksal erahnt, wird die Handlung zur Nebensache. Vielmehr geht es um die großen Fragen: Wer ist deutsch, wer ist russisch? Was ist jüdische Identität? "Du siehst nicht jüdisch aus, aber auch nicht deutsch", attestieren die neuen Freunde in Tel Aviv - "Wie sieht eine Deutsche aus?", fragt Mascha zurück. Auf ihrem emotionalen Trip durch die Clubs und Betten der Mittelmeermetropole lernt sie nicht nur das Land, sondern auch eine neue Liebe kennen: eine ebenso selbstbewusste wie toxisch anmutende Frau namens Tal (Yuval Scharf), die Mascha auf wilde Fahrten durch die Wüste mitnimmt und mit ihr Maschinengewehrschießen übt. Militärwaffen als israelische Normalität.

Überhaupt nähert sich der Film, der vor dem Massaker der Hamas erschien, brisanten Themen, die den jüdischen Staat seit seiner Gründung prägen. "Alles in Israel ist politisch", erklären die jungen Tel Aviver Mascha, "sogar wenn du aufs Klo gehst". "Alle denken, die ganze Welt hasst uns. Nur darüber sind wir uns einig: Die Welt hasst Juden", fügen die hippen Freunde augenzwinkernd an.

Doch was das eigentlich, dieses Jüdischsein, fragt sich Mascha mehr und mehr. In der Synagoge, an der Klagemauer, im säkularen Nachtleben stößt Mascha auf Konflikte, die zuvor tief in ihrem Inneren verborgen schienen. Welche Rolle spielt dieses seltsame Land dabei? Abtastend und bisweilen humorvoll beleuchtet der Film das komplexe deutsch-jüdisch-israelische Verhältnis. "Es kostet viel, aus Deutschland anzurufen", belehrt Mascha an einer Stelle - "Das ist die Strafe für den Holocaust", lacht ihr Gesprächspartner.

Was sie eigentlich in Israel mache, fragt ihr bester Freund Cem (Sohel Altan Gol), als er sie besucht. Auch Tal will das wissen. "Das Wetter ist besser. Und der Humus", antwortet Mascha trotzig. Sex und Partys vertreiben nicht nur die Trauer, sondern auch die Auseinandersetzung mit dem Bürgerkriegstrauma, das sie als Kind prägte. Doch die Vergangenheit und das Leben in Deutschland holen die junge Frau bald ein. Ebenso die wichtige und verdrängte Frage nach der Identität: "Warum bist du so deutsch?", stichelt der migrantischstämmige und schwule Cem - "Danke", erwidert Mascha nur.

Getragen wird "Der Russe ist einer, der Birken liebt" von der herausragenden Performance Alyin Tezels, die das innere Brodeln und die Zerrissenheit ihrer Figur stets auf den Punkt zu bringen versteht. Ohne verkrampft symbolisch sein zu wollen, bündeln sich in der zweifelnden Jüdin historische, psychologische und politische Fragen, die aktueller kaum sein könnten.

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