ARD Dokumentarfilm: Mutter - Mo. 12.08. - ARD: 23.35 Uhr

Was macht eigentlich eine Mutter aus? Anke Engelke brilliert in ungewöhnlichem Doku-Film

09.08.2024 von SWYRL/Maximilian Haase

Wann ist eine Mutter eine Mutter? Was bedeutet Mutterschaft heute? Und wie blickt die Gesellschaft darauf? Anke Engelke schlüpft in einer ARD-Spielfilmdoku in die widersprüchlichen Rollen unterschiedlicher Mütter und erzählt von Freude, Wut, Ohnmacht und Liebe.

"Die Mutterschaft hat den Effekt, den Geist von all engen Vorurteilen und kleinen Anliegen zu befreien", behauptete einst die Autorin Jane Austen. Später war es der Feminismus, der die Emanzipation der Frau auch als Befreiung aus dem engen Mutterkorsett betrachtete. In allen Zeiten, Kulturen und Religionen wurden und werden "der Mutter" besondere Eigenschaften zugeschrieben und mannigfaltige Erwartungen an sie gestellt. Auch heute noch ranken sich um die Mutterschaft zahllose Mythen und überbieten sich die ideologischen Vorstellungen hinsichtlich dessen, wie eine "echte Mutter" denn nun zu sein habe. Dabei ist eines sicher: So komplex, vielfältig und widersprüchlich wie die Mutterschaft ist kaum ein anderes Thema. Eindrücklich und unterhaltsam bestätigt dies nun ein ARD-Dokumentarfilm mit dem simplen Titel "Mutter", der den vielfältigen Erfahrungen realer Mütter eine Plattform bietet. Mit einer kleinen Besonderheit: Keine Geringere als Anke Engelke erweckt die Erzählungen zum Leben.

Ähnlich wie einst in ihrem Comedy-Klassiker "Ladykracher" schlüpft Anke Engelke in verschiedene Frauenrollen - nur dass es sich diesmal keineswegs um überspitzte Stereotype, sondern um die Erfahrungen realer Mütter handelt, die letztlich im famosen Schauspiel der 58-Jährigen kulminieren. Die unterschiedlichen Charaktere und ihre Lebenserzählungen vereinen sich in Engelkes idealtypischer (und zugegebenermaßen von Wohlstand gesegneten) Mutter, die man durch ihren Alltag begleitet. Basis dafür ist ein ambitioniertes dokumentarisches Projekt: Der Film von Carolin Schmitz versammelt die Auskünfte von acht Frauen im Alter zwischen 30 und 75, die zu ihrem Leben und Dasein als Mütter befragt wurden. Was sie eint: Sie alle sind gern Mutter geworden, sie alle erleben das Kinderhaben als großes Glück - und die Mutterschaft als überaus ambivalente Erfahrung.

So unterschiedlich ihre Geschichten auch sein mögen, so sehr gleichen sich doch die Gefühle, die mit der Mutterrolle einhergehen. Man schwankt zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Liebe und Zweifel, zwischen Erfüllung und Überforderung. Immer hin- und hergerissen zwischen den eigenen Bedürfnissen und jenen des Kindes; oft von Schuldgefühlen geplagt und von den eigenen Ansprüchen frustriert. Dass materielle Sicherheit und gesellschaftliche Anerkennung dagegen nur bedingt helfen - davon können die Mütter zahlreiche Lieder singen.

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Mit Anke Engelke durch den Alltag

Was heißt es also, eine Mutter zu sein? Welche Anforderungen stellt die Gesellschaft - und welche die einzelne Mutter an sich selbst? Auf der Suche nach Antworten auf diese im Grunde nicht beantwortbaren Fragen reicht "Mutter" über die trockene soziologische Gesellschaftsanalyse hinaus. Dafür sorgt die prominente Hauptdarstellerin Anke Engelke, die den echten beibehaltenen Stimmen der realen Protagonistinnen durch ihr pointiertes Schauspiel aber umso mehr Gewicht verleiht. "Es geht nicht um die Darstellung von Einzelschicksalen, die sogleich wieder relativiert werden könnten", heißt es im Begleittext zum Format. Ziel sei es vielmehr, dass sich das Publikum des Themas als allgemeinem Phänomen öffne. Anke Engelkes aus verschiedenen Frauenporträts zusammengesetzte Figur gerät so zur Projektionsfläche für allerlei Vorstellungen von Mutterschaft.

Für das Publikum ist der Doku-Spielfilm-Hybrid ein echter Gewinn: Es macht Spaß, Engelkes Muttercharakter durch ihren Alltag zu begleiten, zwischen Anziehen, Einkaufen, Badewanne, Aufräumen, Schminken, Autowaschen und Zubettgehen. Zwischendrin gibt es zur Entspannung auch mal ein Sektchen, Friseurbesuche und Fußmassagen. Man sieht die als Bühnenschauspielerin arbeitende Figur im Café, beim Proben, beim Tanzen und beim Konzertbesuch.

Anke Engelke, die zuletzt in Filmen wie "Eingeschlossene Gesellschaft" und Comedy-Formaten wie "LOL" zu sehen war, spielt ihr großes Talent vollends aus: vorgeblich "normales" Verhalten durch kleinste Gesten und verschmitzte Mimik zu dekonstruieren und die Absurditäten des Lebens dadurch offenzulegen. Dass sie dabei die Monologe der echten Mütter mit deren Originalstimmen perfekt lippensynchron interpretiert, vergrößert die Fallhöhe zwischen mütterlichen Reflexionen und banalem Alltagsgeschehen umso mehr.

"Die Mutter wäscht, die Mutter kocht, die Mutter bügelt"

Neben Engelkes überaus witziger und unterhaltsamer Performance sind auch die Zeugnisse der protokollierten Frauen hochinteressant: Ähnlich wie in Maxie Wanders Kultbuch "Guten Morgen, du Schöne" oder in Alice Schwarzers Klassiker "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" liefern die Interviewten überaus offene und ungeschminkte Einblicke in weibliche und mütterliche Erfahrungen, die trotz ihrer Alltäglichkeit vielen (Männern) weitgehend unbekannt scheinen. Vom Kinderwunsch über Gewinn und Verzicht bis zum Auszug der Kinder kommt alles zur Sprache: "Man braucht eine Geburt auch nicht als etwas total Schönes zu beschreiben", gibt etwa eine der anonym bleibenden Protagonistinnen zu Protokoll. "Es war eine Angelegenheit von drei Sekunden", kommentiert eine andere das enttäuschende Sexleben mit ihrem Ex.

Es geht um Betreuungszeiten, Vereinbarkeiten mit der Karriere und die Rollen von Vätern, Omas, Schwiegereltern. Die Frauen, darunter Künstlerinnen, Richterinnen und Pflegekräfte, berichten aus sehr persönlicher Perspektive von Hoffnungen und Enttäuschungen: Wie sie ihren Beruf zurückstellen mussten, wie sie sich selbst aufgaben - und wie abwesend die Ehemänner bisweilen schienen: "Je mehr Kinder da waren, desto weniger war er interessiert daran, im Haus zu sein", berichtet etwa eine Betroffene. "Wenn die Kinder groß sind", habe sie damals geglaubt, "kann ich ja meinen ganzen Träumen wieder nachgehen". War der Mann, wie bei einer anderen Protagonistin, doch Zuhause, saß er abends oft einfach vor dem Fernseher, während sie die Kinder bettfertig machte. "Die Mutter wäscht, die Mutter kocht, die Mutter bügelt - das ist bei uns so", fasst eine der Frauen die verkrusteten Haushaltsvorstellungen zusammen. Es ist eine traurige Stärke des Films, dass man den Befragten trotz aller Gefasstheit die über Jahre gewachsene Desillusionierung anhört.

"Von Morgens bis Abends war es ein Gehetze"

Engelkes Mutterfigur ist in den meisten der Spielfilmszenen allein. Und alleingelassen fühlen sich auch viele der befragten Mütter. Ob als Ehefrau eines Mannes, der die Elternschaft kaum mitträgt oder als Alleinerziehende, die zwar mehr Freiheiten besitzt, aber auch viele Strapazen auf sich nehmen muss. Die Doppel- und Mehrfachbelastung hat Folgen. Manche der Mütter berichten von Nervenzusammenbrüchen: "Von Morgens bis Abends war es ein Gehetze", erzählt eine, und irgendwann habe sie den vollen Einkaufswagen einfach im Supermarkt stehen lassen, sich ins Auto gesetzt und sei davongefahren. "Ich gehe manchmal raus und schließe mich in meinem Zimmer ein, damit ich nicht handgreiflich werde", gesteht eine andere mit Blick auf die Herausforderungen der Kindererziehung. Andere wiederum haben die Rollen einfach verdreht, waren selbst die Abwesenden, die ihre Kinder kaum sahen - selbstverständlich immer mit schlechtem Gewissen.

"Mutter" erzählt von schlimmen Erfahrungen, von physischen, psychischen und finanziellen Problemen, aber auch von den schönen, zärtlichen, glücklichen, verbindenden Momenten, die eine Mutterschaft mit sich bringt. Sie habe sich nie für Fußball interessiert, gesteht eine Frau, dank ihres Sohnes kenne sie nun Stadien, Mannschaften und Trikots auswendig. "Der glücklichste Moment in meinem Leben" sei die Geburt ihres Kindes gewesen, erinnert sich eine andere.

Raum bekommen auch jene positiven emanzipatorischen Erfahrungen, bei denen sich die Frauen einen Ausbruch aus ihrer zu eng empfundenen Rolle erlaubten: "Ich bin ja auch noch jemand anderes außer Mutter und Ehefrau", erklärt eine Interviewte, die sich von ihrem Mann für ein neues Leben trennte. Wie man trotz aller eigenen Ansprüche und gesellschaftlichen Erwartungen sich selbst nicht vergisst, bleibt für Mütter wohl auch heute noch die größte Herausforderung.

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