Bis zur Wahrheit - Mi. 20.11. - ARD: 20.15 Uhr

Wenn das Opfer zu "stark" ist

15.11.2024 von SWYRL/Eric Leimann

In "Bis zur Wahrheit" spielt Maria Furtwängler eine erfolgreiche Ärztin, die vom Sohn eines befreundeten Paares vergewaltigt wird. Oder war es doch auch ein bisschen einvernehmlich? Das facettenreich erzählte ARD-Drama schärft die Wahrnehmung sexueller Gewalt und untersucht die Legenden darum.

Martina (Maria Furtwängler), verheiratet mit Andi (Pasquale Aleardi) und Mutter einer Teenagertochter, ist wohl das, was man eine moderne "Powerfrau" nennt. Sie lehrt und operiert erfolgreich als Neurochirurgin, ist sehr selbstbewusst, kann aber auch mal abschalten und die Seele baumeln lassen. Möglichkeiten dazu bieten sich bei sexueller Selbstbefriedigung, einem Joint am Strand oder auch dem unausgesprochenen Urlaubsflirt mit dem Sohn ihrer Freundin (Margarita Broich) während einer gemeinsamen Urlaubswoche. Als der Rest zweier Kleinfamilien einen längeren Ausflug unternimmt, bleiben Martina und der junge Mischa (Damian Hardung) im Ferienhaus zurück. Man geht Fahrrad fahren, schwimmen und nimmt die ein oder andere anregende Substanz zu sich. Im Pool am Abend kommt es dann zu einem Kuss - und mehr als das. Als Martina das Ganze abbrechen will, macht Mischa nicht mit. Dass im subtil inszenierten ARD-Drama "Bis zur Wahrheit" sexuelle Gewalt stattfand, wird am folgenden Tag erst mal verschwiegen.

Die Protagonisten des entgleisten Urlaubstages machen weiter mit ihrem Leben wie zuvor. Martina geht wieder arbeiten und lebt ihr bürgerliches Leben als besserverdienende Großstädterin, Frau und Mutter. Nur Mischa und sie gehen sich von nun an aus dem Weg. Langsam jedoch zeigen sich Risse in der Fassade. Martina beginnt, sich merkwürdig zu verhalten. Bei der Arbeit und im Privatleben, weshalb sie Ehemann Andi zur Rede stellt. Als die beiden ihre Freunde Thorsten (Uwe Preuss) und Jutta (Broich) einweihen, die Eltern von Mischa, fällt deren Reaktion wenig freundschaftlich aus.

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Sexuelle Gewalt jenseits filmischer Klischees

Co-Produzentin Maria Furtwängler hätte wohl kaum eine bessere Besetzung für den Film finden können, als sich selbst und Teenagerschwarm Damian Hardung ("Maxton Hall", "Love Sucks"), der derzeit extrem gut im Geschäft ist. Als altersgemäß orientierungsloser Twen mit MeToo-Moment liefert der mittlerweile 26-Jährige eine ebenso facettenreiche und sensibel gespielte Leistung ab wie "Tatort"-Kommissarin Maria Furtwängler als souveräne Frau um die 50, der nach dem Gewalterlebnis ihr Leben entgleitet.

Das Team hinter dem Film ist ebenfalls stark weiblich geprägt. Die 34-jährige Autorin Lena Fakler hatte schon mit dem "Tatort: Schattenleben" über die linksautonome Hamburger Szene oder dem Grimme-Preis-nominierten Film "Am Ende der Worte" über eine junge Polizistin auf sich aufmerksam gemacht. Von Regisseurin Saralisa Volm lief bereits der atmosphärische Film "Schweigend steht der Wald", in dem Henriette Confurius eine junge Forstpraktikantin auf der Suche nach einem Geheimnis spielt. Gemeinsam erschuf man mit "Bis zur Wahrheit" einen Film, der seinen erzählerischen Fokus auf einen sexuellen Gewaltakt jenseits filmischer Klischees und vor allem auf dessen Spätfolgen legt.

Cleveres Spiel mit Täter-Opfer-Umkehr

Lena Fakler will mit ihrem Film zeigen, wie leicht es passiert, "Narrativen der Rape Culture" zu verfallen. Um zu zeigen, wie leicht eine Täter-Opfer-Umkehr bei Vergewaltigungen geschehen kann, hat sie ihre Figuren mit dem Klischee widersprechenden Attributen versehen: "Martina ist dem Täter überlegen, was Alter, Lebenserfahrung, Souveränität und Status angeht. Sie hat getrunken und gefeiert. Sie hat geflirtet und gekifft. Sie lebt eine selbstbestimmte Sexualität. Und trotzdem ist das, was Mischa tut, falsch. Gleichzeitig ist Mischa kein Monster, das nichts mit uns zu tun hat."

Mit anderen Beiträgen zum Thema wie der Miniserie "37 Sekunden" (ARD Mediathek) oder auch dem Stuttgarter "Tatort: Videobeweis" ist "Bis zur Wahrheit" ein weiterer Beweis dafür, dass es im deutschen Fernsehen mittlerweile durchaus differenzierte Fiktion zum Thema sexuelle Gewalt jenseits des alten "Aktenzeichen XY"-Klischees vom Vergewaltiger gibt, der nachts in einer dunklen Gasse lauert. Ein gute, ja wichtige Entwicklung, die hier in einem ebenso lehrreichen wie spannenden ARD-Drama mündet.

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