18.11.2024 von SWYRL/Eric Leimann
100 Expeditionen, 400 Kameras, 53.000 Stunden Filmmaterial: Die fünfteilige Netflix-Dokuserie "Unsere Ozeane", erzählt und mitproduziert von Barack Obama, widmet sich Geheimnissen und Geschichten fünf großer Meere. Im Hochglanzformat, aber auch mit vielen "menschlichen" Tiergeschichten.
Bei dieser Doku sollte man wasser- und seefest sein. Die Kamera taucht oder wirbelt in Wellen, sie steigt im Rekordtempo von lichten Drohnen-Höhen hinunter bis auf den Boden der tiefsten Meeresgräben. Ja, die fünfteilige Serie "Unsere Ozeane" (ab Mittwoch, 20. November, bei Netflix) sieht schon ziemlich gut aus. So, wie man es seit gut 20 Jahren von Highend-Naturreihen wie "Unser blauer Planet" gewohnt ist. In "Unsere Ozeane", fünf etwa einstündigen Filmen über Pazifik, Indischen Ozean, Atlantik sowie die beiden polaren Meere im Norden und Süden, hört man dazu aber noch eine ebenso lässig empathische Erzählerstimme. Sie gehört Barack Obama. Es lohnt sich also, bei Netflix auf Originalton zu schalten und im Zweifelsfall deutsche Untertitel zu lesen. Obama, wohl einer der talentiertesten Redner unserer Zeit, macht auch hier einen guten Job: Er bringt die Geschichten der Meere ins Wohnzimmer - und schafft es, Verständnis für einen fremden und für uns Menschen doch so wichtigen und schützenswerten Lebensraum zu schaffen.
Dass die Reise durch und über fünf Ozeane ausgerechnet vor der Küste Hawaiis beginnt, wo eine Walmutter ihr Junges gegen eine Horde angreifender Artgenossen verteidigt - mit spektakulären, tonnenschweren Sumo-Kämpfen an der Meeresoberfläche -, ist wohl kein Zufall. Obama ist auf Hawaii aufgewachsen, und beim Vorläuferprojekt "Unsere wunderbaren Nationalparks" (2022, auch bei Netflix) lief Obama noch als Presenter über einen Traumstrand jener Inselgruppe, die seine Heimat ist. In "Unsere Ozeane" hört man nun nur die Stimme des Ex-Präsidenten.
Wie bei der Nationalparkreihe hat auch diesmal das Ehepaar Barack und Michelle Obama mitproduziert. Während der neue Präsident Donald Trump in Nationalparks nach Öl und anderen Energiequellen bohren lassen will, ist den Obamas der Schutz der Natur ein Anliegen.
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Kinder haben ein Recht darauf, dass in der Natur alles gut ausgeht
Natürlich hat sich Netflix die Serie einiges kosten lassen: 700 Menschen waren auf 100 Expeditionen unterwegs, 400 Kameras filmten 53.000 Stunden Material. Dabei entstanden extrem seltene Bilder: der Narwal, ohne Stoßzahn bereits vier bis fünf Meter lang, hat noch einen bis zu drei Meter langen Stoßzahn, den er wie eine Antenne vor sich herschiebt. Für "Unsere Ozeane" wurde er erstmals bei der Jagd gefilmt. Sehr viel weiter unten lebt der Handfisch, einer der wenigen Fische, die lieber laufen anstatt zu schwimmen. Nur etwa 3.000 Exemplare gibt es. Die Doku zeigt ihn bei der Brutpflege. Wie überhaupt die Reihe einige sehr merkwürdige und faszinierende Tiefseebewohner bei ihrem (wohl sehr dunklen) Tagwerk begleitet: Wie jagt und frisst man? Wie paart man sich und verteidigt die Brut? Und wie schafft man es, selbst nicht gefressen zu werden? Um diesen existenziellen Dreiklang geht es in den meisten der Geschichten. Man darf aber ein bisschen "spoilern": Bis auf wenige Ausnahmen gehen die sehr menschlich aufbereiteten Anekdoten der ab sechs Jahren freigegebenen Filme gut aus.
Eine Eisbärenmutter, hautnah gefilmt mit zwei kleinen Söhnen, ist kurz davor, den kleineren und schwächeren zurückzulassen. Als er sich auf einer Eisscholle verirrt und einen steilen Hang zum rettenden Ufer nicht mehr hochkommt, fällt das Junge immer weiter zurück. "Wird die Mutter ihr kräftigeres Junges schützen, indem sie das schwächere zurücklässt?", fragt die Obama-Stimme. Zuvor haben wir gelernt: Nur etwa die Hälfte der Eisbärenbabys in der Natur kommt durch. Doch - man erinnere sich an die eigene Kindheit - es ist einfach zu grausam, die nackte Naturgewalt vom Fressen und Gefressenwerden für Kinder naturgetreu in einer Filmerzählung abzubilden. Kinder haben ein Recht darauf, dass in der Natur alles gut ausgeht. Also zieht die Eisbärenmama ihr Junges dann doch noch am Nackenfell aus der Tiefe zu sich nach oben. Sogar die Robbe, die von Orkas mithilfe eines synchronen Anschwimmens auf eine Eisscholle von selbiger gespült werden soll, kann sich nach stundenlanger Wiederholung dieses Spiels am Ende unerwartet retten - es sind die vielleicht faszinierendsten Bilder der Reihe gegen Ende des fünften Teils aus dem antarktischen Meer.
Insofern: Es ist mal wieder alles gut gegangen, wenn auch sanft eingeflochtene Kritik rund um Plastikmüll und Erderwärmung, die Gefahren versiegender oder sich stark abwandelnder Meeresströme in Obamas Erzählungen nicht ausgespart werden. Die Filmreihe, so muss es wohl sein, endet auf einer versöhnlichen Note: Ein paar Wale, die fast ausgestorben waren, vermehren sich wieder prächtig. Es ist wohl die glänzende Nadel im Heuhaufen der schlechten Nachrichten rund um eine lädierte Natur und die Klimakatastrophe, welche diese sehr amerikanisch-optimistische Dokureihe betonen will. Aber - es funktioniert mit dem Optimismus. Natürlich auch wegen Barack Obama.