75 Jahre. Fürs Erste!

75 Jahre ARD: Wie das Erste die deutsche Gesellschaft veränderte

26.03.2025 von SWYRL/Maximilian Haase

Vor 75 Jahren wurde mit der ARD der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ins Leben gerufen: Anlässlich des großen Jubiläums blickt Susanne Daubner in einer Dokumentation auf die wechselvolle Geschichte des Verbundes zurück.

Wir schreiben das Jahr 1950. Der Zweite Weltkrieg ist kaum vorbei, die Bundesrepublik gerade einmal ein Jahr jung. Während die Nazis noch überall präsent sind, will Konrad Adenauer das zerstörte Land als erster Kanzler wieder zu Wohlstand und Demokratie führen. Helfen soll dabei eine Institution, die die deutsche Medienlandschaft und Gesellschaft in den kommenden Dekaden wie keine andere prägen wird: Mit der ARD wird vor 75 Jahren der öffentlich-rechtliche Rundfunk ins Leben gerufen. Seither hat der Verbund, der heute zahlreiche Sender und Online-Angebote vereint, die wechselhafte deutsche Geschichte in West und Ost nicht nur begleitet, sondern auch mitgeschrieben.

Anlässlich des Jubiläums blickt "Tagesschau"-Sprecherin Susanne Daubner am Montag, 31. März, um 20.15 Uhr, in einer Dokumentation unter dem cleveren Titel "75 Jahre. Fürs Erste!" auf ein bewegendes Dreivierteljahrhundert zurück. Neben nostalgischen Momenten ist auch Raum für Reflexion: Wo hinkte die ARD dem gesellschaftlichen Fortschritt hinterher? Welche Rolle spielt sie heute in einer sich rasant verändernden Medienwelt?

Als die ARD - kurz für "Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland" -am 9. Juni 1950 gegründet wurde, war sie mehr als nur ein Zusammenschluss regionaler Anstalten. Sie war das Versprechen eines unabhängigen, föderal organisierten Rundfunks, der sich von der zentralistischen Propagandamaschinerie der NS-Zeit abgrenzen sollte. Nie wieder - das sollte insbesondere auch für die Medien gelten. Die Alliierten hatten unabhängige Rundfunkanstalten in ihren Besatzungszonen geschaffen, mit der ARD wurde daraus eine bundesweite Zusammenarbeit. Wie holprig der Start in einem alten Bunker auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg bisweilen aussah, berichtet in der Doku unter anderem Hans Sarkowicz, der Vorsitzende der Historischen Kommission der ARD.

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Die ARD als Chronistin der Republik

Von Beginn an lastete große Verantwortung auf den Schultern der jungen ARD. Sie sollte nicht nur informieren, sondern auch die Demokratie stabilisieren und zur Meinungsbildung beitragen. Doch es dauerte, bis die Deutschen und ihr "Erstes" zueinanderfanden: Bevor Sendungen wie die "Tagesschau" oder "Ein Platz für Tiere" fester Bestandteil in den deutschen Wohnzimmern wurden, mussten sich die Zuschauer erst an das neue Medium gewöhnen, wie der vom HR produzierte Film illustriert: In einer skurrilen Anweisung aus den 50er-Jahren wurde gar die richtige Sitzhaltung vor dem Fernsehapparat erklärt. Tief in den Archiven förderte das Autorenteam um Frank Diederichs bisweilen erstaunliche, schockierende und aus heutiger Sicht auch amüsante Ausschnitte zutage.

Immer wieder schrieb dabei vor allem die politische Berichterstattung der ARD Geschichte. Unvergessen etwa das legendäre Interview von Friedrich Nowottny mit Willy Brandt 1971, in dem der genervte Bundeskanzler lediglich die vier Worte "Ja. Doch. Nein. Ja." herausbrachte. Sei es der Fall der Berliner Mauer oder die Anschläge am 11. September 2001: Viele Zuschauer greifen in historischen und Krisensituationen auf die Nachrichtensendungen und "Brennpunkte" im Ersten zurück. Über die Jahrzehnte erarbeitete sich die ARD den Ruf des verlässlichen Mediums, von dem sich das Publikum gleichsam begleitet und aufgefangen fühlt. Sie hat es verstanden, als kollektives Gedächtnis zu fungieren, als Chronistin der Republik. "Wir waren immer da, wenn Geschichte geschrieben wurde", formuliert es ARD-Programmdirektorin Christine Strobl anlässlich des Jubiläums.

Vom Sport zum Kinderfernsehen

Die geboten seriös und zugleich augenzwinkernd erzählte Doku versammelt viele der im TV-Gedächtnis verankerten journalistischen Highlights. Sie rekapituliert aber auch Höhepunkte aus der immer essentiellen Sportberichterstattung und jene Sternstunden der Unterhaltung, die in der goldenen Ära des Fernsehens vor dem Internet tatsächlich noch "Straßenfeger" hervorbrachten. Auch hier war und ist das Erste ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen. Sei es in Shows wie dem "Musikantenstadl" und "Verstehen Sie Spaß?", in legendären Soaps wie der "Lindenstraße", im "Tatort" oder in moderner Fiction à la "Babylon Berlin". Nicht zuletzt beleuchtet der Film auch das Kinderfernsehen, das von der "Sesamstraße" bis zur "Sendung mit der Maus" mittlerweile viele Generationen prägte.

Auch auf die Hochkultur von Literatur bis Musik hatten die Anstalten - vor allem im Radio - entscheidenden Einfluss: "Der Beitrag der ARD zum Kulturleben in Deutschland ist nicht hoch genug einzuschätzen", weiß Hans Sarkowicz: "Und so soll es, bitteschön, auch bleiben, egal ob linear oder digital."

Auch weniger rühmliche Aspekte

Zu Wort kommen in der Dokumentation eng mit der ARD verbundene Prominente wie Schauspieler Lars Eidinger, Moderator Reinhold Beckmann und Schauspielerin Maren Kroymann, die sich im Gespräch zum Jubiläum an ihren bedeutendsten Moment in der ARD erinnert: "Als ich als erste Frau im öffentlich-rechtlichen Fernsehen meine eigene Sendung bekommen habe, im September 1993." Mit ihrer Show "Nachtschwester Kroymann" habe man damals über zwei Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer erreicht. Keine Selbstverständlichkeit, wie die Doku auf die weniger rühmlichen Aspekte der letzten 75 Jahre verweist.

Gerade bei der Gleichstellung war die ARD oft wenig progressiv: Jahrzehntelang waren es Männer, die den Ton angaben, sei es in den Gremien oder auf dem Bildschirm. Der Film spart das nicht aus: In von einem Millionenpublikum gesehenen Formaten wie "Der 7. Sinn" behauptete man noch in den 70er-Jahren, Frauen könnten nicht Autofahren. Erst 1999 moderierte mit Anne Will die erste Frau die "Sportschau" (wohlgemerkt über 25 Jahre nach Carmen Thomas im ZDF-"Sportstudio"). Derlei Beispiele machen deutlich: Fortschritt kam oft nicht von selbst, sondern musste hart erkämpft werden.

Unumstritten war die ARD nie

Lobenswert ist, dass die Geschichte der ARD auch aus Perspektive des Ostens beleuchtet wird - ein Verhältnis, das von Spannungen und Missverständnissen geprägt war. Vor der Wende galt die ARD vielen Menschen in der DDR als das Fenster zum Westen, naturgemäß hatten die SED-Machthaber damit ihre Probleme. Als man nach der Wiedervereinigung in den "neuen Bundesländern" neue Landesrundfunkanstalten ins Leben rief, wurde schnell der Vorwurf der westlichen Dominanz laut. Erfahrungen, die später im Misstrauen gegen die "Öffentlich-Rechtlichen" nachhallten. Die Brüche der 90er-Jahre gingen auch am Ersten nicht vorbei.

Immer wieder musste sich die ARD Kritik gefallen lassen. Sei es die angebliche Staatsnähe, die mangelnde Diversität der Perspektiven oder die schier unüberschaubare Programmstruktur - unumstritten war der Rundfunkverbund nie. Auch die Debatten um die Zukunft des Rundfunkbeitrags zeigen, dass die Akzeptanz des Systems keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Vielleicht wirkt es ja verstrauensbildend, wenn das Erste seine Arbeitsweise weiter offenlegt - so, wie es Susanne Daubner im Film mit exklusiven Einblicken tut: Wie entsteht beispielsweise die "Tagesschau"? Und welchen Draht hat das Hauptstadtstudio zur Politik?

Rasant veränderte Medienwelt

Klar ist: Die Medienwelt hat sich rasant verändert. Junge Menschen konsumieren Nachrichten nicht mehr klassisch um 20 Uhr, sondern als kurze Clips auf Instagram und Co. Das hat auch die ARD erkannt. Dass ausgerechnet Susanne Daubner, jahrzehntelang seriöses Gesicht der "Tagesschau", heute nebenbei auch ein TikTok-Star ist, zeigt, wie sehr sich der Journalismus anpassen muss. Wie kann ein 75 Jahre alter Rundfunkverbund in der neuen Medienlandschaft bestehen? Die ARD steht vor der Herausforderung, ihre journalistische Qualität zu bewahren, ohne an Relevanz zu verlieren. Kann das zwischen Mediatheken und Social Media gelingen?

"75 Jahre. Fürs Erste!" gibt keine einfachen Antworten. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass die ARD, wie jede demokratische Institution, im ständigen Wandel begriffen ist. "Wir haben Momente geschaffen, die Menschen vor den Bildschirmen vereinten - Momente des Lachens, des Weinens und des Miteinanders", liefert Christine Strobl den nötigen Pathos zum Jubiläum. Ob die ARD auch in 25 Jahren noch die gleiche Bedeutung hat, wird davon abhängen, wie gut sie es schafft, das Vertrauen des Publikums zu erhalten. "In einer Zeit, in der die Gesellschaft zunehmend gespalten scheint", drückt es HR-Intendant Florian Hager aus, sei der Auftrag der ARD klar: "Durch unser Programm müssen wir Brücken bauen, Perspektiven erweitern und den Dialog fördern." Ein einfaches "Ja. Doch. Nein. Ja." reicht dafür wohl nicht mehr aus.

Anlässlich des 75. ARD-Geburtstags zeigt das Erste zudem eine Samstagabendshow unter dem Motto "75 Jahre ARD - Die große Jubiläumsshow" (Samstag, 5. April, 20.15 Uhr) mit Kai Pflaume als Gastgeber. Am selben Abend lädt Carolin Kebekus zur Jubiläums-Comedy-Spielshow "Let's play ARD! - Das Spiel mit der Zeit" (Samstag, 5. April, 23.55 Uhr).

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