22.08.2021 von SWYRL/Eric Leimann
Achtung, nicht sofort wieder ausschalten! Der neue US-Comedy-Hit mit Emmy-Preisträgerin Annie Murphy ("Schitt's Creek") beginnt wie eine in die Jahre gekommene Sitcom der Marke "Eine schrecklich nette Familie". Doch dann bricht die frustrierte Ehefrau aus - in eine Welt ohne Lacher.
Die AMC-Serie "Kevin Can F**k Himself" (bei Amazon ab Freitag, 27. August) wird in den USA gefeiert, weil sie derart geschickt mit TV-Konventionen bricht, dass man sie als "Kurzreinschauer" vielleicht schnell wieder ausmacht. So fix, dass man gar nicht versteht, wie die achtteilige Erzählung rund um die frustierte Hausfrau Allison Mc Roberts (Annie Murphie) eigentlich funktioniert: als Geschlechterklischees entlarvende Sitcom-Parodie mit eingespielten Lachern, die oft auf Kosten Allisons gehen. Und dann - sozusagen in den anderen Alleine-Szenen - als moderne, ziemlich düstere Dramedy einer 35-jährigen Frau auf Identitätssuche, die außerhalb ihrer Wohnzimmer-Hölle stattfindet.
"Kevin Can F**k Himself" erzählt die Geschichte einer scheinbar prototypischen Sitcom-Ehefrau: Sie ist schön, aber mit schwachem Selbstwertgefühl ausgestattet. Ihren Mann Kevin (Eric Petersen) gegenüber, einem dicklicher Witzbold mit dem Interessenkosmos eines Zwölfjährigen, ist sie loyal. Aber Romantik und eine gemeinsame Basis scheinen in dieser Beziehung zu fehlen. Im klassischen Sitcom-Wohnzimmer bringt Allison Drinks und Schnittchen, während sich Kevin mit seiner nichtsnutzigen Familie und ebensolchen Freunden dem Hedonismus hingibt: Bier, Football und Faulsein. Unterstützung findet Allison eventuell - das ist zu Beginn der Serie noch nicht ganz klar - bei ihrer düsteren Nachbarin Patty (Mary Hollis Inboden, "The Real O'Neals").
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Alte Comedy-Ästhetik: Wenn nur Männer Witze machen dürfen ...
Allison fällt immer dann aus der Rolle, wenn sie das Sitcom-Wohnzimmer samt seiner Höllenlacher verlässt, um sich in der Küche Gewaltfantasien hinzugeben oder nachts in den ziemlich trashigen Straßenzügen ihrer Vorstadt notwendige Drogen einzukaufen, das Potenzial diverser Kevin-Alternativen abzuchecken oder einfach nur ihre eigenen Wünsche hinter der Fassade des tristen Alltags zu suchen. Immer dann, wenn die Sitcom-Ästhetik verlassen wird, erscheint die Serie von Valerie Armstrong ("Lodge 49", "Seal Team") wie die dunkle Seite des Mondes, die aber immer wieder umrundet werden muss, um dann irgendwann wieder auf der von Lachern bestrahlten "hellen" Seite zu landen, die aber eigentlich die düstere ist.
Was ziemlich klug ist an den 45 Minuten langen Folgen: Sie werfen, während man sich über den altmodischen Sitcom-Realismus ärgert oder gar darüber schmunzelt, die Frage auf, über wen und was wir all die Jahre gelacht haben. Das Frauenbild in klassischen Shows wie "Eine schrecklich nette Familie" oder "Two and a Half Men", dem Serie gewordenen Herrenwitz, war nämlich schon damals ziemlich bedenklich.
Serien-Autorin Armstrong erzählte in einem Interview, dass sie viele Schauspielerinnen kennt, die immer wieder für Rollen vorsprachen, in denen eine "extrem witzige Frau" gesucht wurde. Mit dem Ergebnis, dass bei den Drehs selbst dann doch die Männer sämliche Gags und Punchlines behielten. Kein Wunder, dass Serienfigur Allison aus dieser Witzhölle der Männer ausbrechen will.