17.10.2022 von SWYRL/Frank Rauscher
Lange galt sie als "letzte Mohikanerin" im Genre der krawalligen Daily-Talks - dann, im März 2013, wurde auch ihre SAT.1-Sendung "Britt - Der Talk um eins" eingestellt. Jetzt kommt Britt Hagedorn (50) zurück - das Comeback ist der Versuch der Neubelebung eines brachliegenden Genres.
Britt Hagedorn ist wieder da! Und mir ihr der TV-Talk der 90er-Jahre: In "Britt - Der Talk" begrüßt die 50-Jährige ab Montag, 24. Oktober, 16 Uhr, täglich ihre Gäste zu Themen wie "Tattoosucht - du siehst aus wie Karneval!", "Albtraum Botox - früher warst du schön!" oder "Spätes Mutterglück - ist das dein Enkel?" - Da tun sich natürlich Fragen auf. Wie die nach dem Warum! "Ich habe das im privaten Umfeld schon seit Jahren gesagt: Es bräuchte wieder einen Talk am Nachmittag", erklärt Britt Hagedorn, die immerhin über 2.000 einschlägige Sendungen auf dem Buckel hat. "Für mich ist der Daily Talk die Mutter aller Reality-Fernsehsendungen. Mehr geballte, echte Emotionalität gibt es nirgendwo." Im Interview gibt sich die schlagfertige Blondine überzeugt, dass das Comeback des Daily Talks ein voller Erfolg wird. "Die Menschen sehnen sich nach Ablenkung", sagt sie. "Und, wer weiß, vielleicht schaffen wir es sogar, ein paar aus ihren Online-Blasen herauszuholen und wieder mehr Lust auf das reale Leben zu machen."
teleschau: Reisen wir zu Beginn zurück ins Jahr 2001: Können Sie sich noch an Ihren allerersten Talk erinnern?
Britt Hagedorn: Hundertprozentig! Ich kenne sogar noch die Namen der Gäste. So unvergesslich wie eine Geburt. Meine erste Aufzeichnung drehte sich um das Thema "Sexbomben", mit dabei: ein kleinwüchsiges Pärchen, sie Vanessa, er Steve, bezaubernde Leute.
teleschau: "Sexbomben" - wäre das auch ein geeignetes Thema für die Neuauflage?
Hagedorn: Doch, das würde passen - besser denn je sogar: Social Media hat es für viele Menschen, beinahe eine ganze Generation, doch geradezu zur Notwendigkeit werden lassen, sexy zu sein und irgendwelchen Idealen gerecht werden zu müssen. So kritisch ich das selbst finde - dazu gibt es zweifellos viel Redebedarf.
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"Die Leute und ihre Geschichten sind fantastisch"
teleschau: Sie galten einst als die letzte Mohikanerin des Daily Talks: Von zwischenzeitlich 14 einschlägigen Formaten war am Ende nur noch Ihres übrig geblieben - bis vor neun Jahren auch "Britt - Der Talk um eins" eingestellt wurde, nach 13 Jahren und über 2.000 Sendungen. Warum ist jetzt die Zeit reif für ein Comeback?
Hagedorn: Die Argumente liegen auf der Hand: In den letzten Jahren hatten wir es mit epochalen Krisen und daraus resultierenden brachialen Ängsten zu tun. Von Corona bis hin zum Krieg und der nun drohenden Wirtschaftskrise - gefühlt geht es in den Medien und in den vielen politischen Talks nur noch darum. Das ist zwar notwendig, aber unser Leben besteht glücklicherweise auch aus etwas anderem als Pandemie und Krieg. Der Alltag, unsere ganz normalen kleinen und großen Sorgen und Nöte - all das, was unser Leben ausmacht, das wird momentan zu wenig abgebildet. Die Menschen sehnen sich nach Ablenkung. Und, wer weiß, vielleicht schaffen wir es sogar, ein paar aus ihren Online-Blasen herauszuholen und wieder mehr Lust auf das reale Leben zu machen.
teleschau: Wie werden Ihre Talks genau aussehen?
Hagedorn: Sehr bunt! Von heiter bis lustig, aber auch mal nachdenklich, tiefschürfend und traurig - ich setze mir da eigentlich keine Grenzen, nehme es, wie es kommt. Am Ende geben die Gäste ja auch vor, in welche Richtung sich der Talk entwickelt. Ich bin, was das angeht, in den vergangenen Wochen bei den Aufzeichnungen aus dem Staunen kaum mehr rausgekommen: Die Leute und ihre Geschichten sind fantastisch.
teleschau: Wenn man sich heute an die große Zeit der Daily Talks erinnert, denkt man zunächst einmal an Menschen, die sich geifernd irgendwelche Beziehungsverfehlungen vorwerfen, an rüpelhafte Gäste mit Schaum vorm Mund ...
Hagedorn: Genau das soll es jetzt nicht mehr geben. Es soll bei mir nicht mehr in dem Maße von damals gestritten werden - wobei eine gepflegte Diskussion sicher keiner Talkshow schadet (lacht). Wir wollen auf jeden Fall keine extremen Krawallsendungen mehr.
teleschau: "Britt - Der Talk" als Beitrag zur Streitkultur?
Hagedorn: Warum nicht. Uns als Gesellschaft ist da in den vergangenen Jahren so viel verloren gegangen: Häufig wird sich nicht mehr zugehört, es findet manchmal kein Austausch von Argumenten und Standpunkten statt, nur noch Schwarz oder Weiß. Wir wollen zeigen, dass ein Diskurs anders gehen kann. Ich möchte in meinem Talk die Wertschätzung als Credo implementieren, trotzdem darf aber jeder deutlich seine Meinung vertreten. Früher hieß das Motto eher: So krass wie möglich.
teleschau: Gibt es wirklich einen Unterschied zu den Nullerjahren, was das Auftreten der für die Show gecasteten Talkgäste angeht?
Hagedorn: Oh ja. Ich habe das Gefühl, dass meine Talkgäste mit ihren Themen heute cooler umgehen und auch schlagfertiger geworden sind. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und trauen sich über beispielsweise Probleme in der Liebe oder schwere Erkrankungen ganz frank und frei zu plaudern. Man merkt, dass sie quasi auf dieses Sprachrohr gewartet haben. Ich selbst habe mich natürlich auch verändert. Ich bin Mutter von zwei Kindern, lebe mit meiner Familie auf Mallorca - da erneuerten sich zwangsläufig die Perspektiven und damit natürlich auch die Art, mit den Gästen über die vielen unterschiedlichen Themen zu sprechen.
"Es wird bei mir niemals gescriptete Sendungen geben"
teleschau: Waren Sie gleich angetan von der Idee einer Neuauflage?
Hagedorn: Absolut. Ich habe das im privaten Umfeld schon seit Jahren gesagt: Es bräuchte wieder einen Talk am Nachmittag. Kein Wunder, als Frau mit über 2.000 Sendungen auf dem Buckel, bin ich zwangsläufig auch Fan von dem Genre. Natürlich gab es damals Gründe, sich für eine so ordentliche Pause zu entscheiden. Aber ich hatte immer meinen Spaß an dem Format. Für mich ist der Daily Talk die Mutter aller Reality-Fernsehsendungen. Mehr geballte, echte Emotionalität gibt es nirgendwo.
teleschau: Aber sind die Gefühle auch echt - wie steht es um die Authentizität?
Hagedorn: Sie ist unser Alleinstellungsmerkmal! Auf etwas anderes habe ich keine Lust. Es wird bei mir niemals gescriptete Sendungen geben. Die Gäste sind echt, und ihre Geschichten sind es auch. Wir sind auch damals nie auf gescriptet umgeschwenkt. Darauf war ich immer stolz.
teleschau: In Zeiten der Krisen laufen die politischen Talks in den öffentlich-rechtlichen Medien ausnehmend gut. Wäre das nichts für Sie gewesen?
Hagedorn: Ich schaue zwar mit Hingabe fast jede dieser Sendungen, aber, nein, davon lasse ich als Moderatorin lieber die Finger. Zumal ich glaube, dass besonders kompetente Kollegen den Job fantastisch erfüllen und weil ich mein Talent ganz klar beim menschelnden Daily Talk sehe. Da bin ich zu Hause.
teleschau: Alles steht heute auf dem Prüfstand der Sozialen Medien - vermutlich wird auch Ihr neuer Talk davon nicht ausgenommen sein.
Hagedorn: Definitiv ein wichtiger Aspekt - überall lauern kritische Stimmen, das Geschäft ist dadurch nicht unkomplizierter geworden. Da hilft es hoffentlich, dass ich kein Talk-Greenhorn bin und mit einer Redaktion arbeite, die sich gut mit den Themen auseinandersetzt. Aber vor Fehlern sind auch wir nicht gefeit ... Allein bei den Genderthemen warten viele Stolperfallen. Es ist schwierig, allen gerecht zu werden. Ich setze jedenfalls am besten jetzt schon mal ein General-Pardon über meine Moderationen (lacht).
teleschau: Gendern Sie?
Hagedorn: Ich spreche mit meinen Talkgästen genau so, wie sie angesprochen werden möchten. Ich gendere ansonsten verbal nicht aktiv, gehe aber grundsätzlich absolut offen und respektvoll mit allen Menschen um und will allen eine Plattform geben. Also: Im Geiste gendere ich (lacht). Dass es verbal nicht so gut klappt, liegt wohl daran, dass ich eine andere Generation bin - wir Älteren bemühen uns, aber es ist mithin schwer. Verzeihung!
teleschau: Abgesehen vom Wandel der Zeit - was war die größte Herausforderung vor dem Neustart?
Hagedorn: Ganz klar: meine Betriebstemperatur wieder hochzufahren und mich nach neun Jahren erst mal wieder in dem Studioklima zurechtzufinden. Vor zehn Jahren war ja auch das ganz anders: Da ging es laut und hitzig zu, alle waren irgendwie permanent überdreht. Heute finde ich eine ruhige, hochprofessionelle Arbeitsatmosphäre vor. Das sind young professionals! Ich fühle mich extrem wohl - was wichtig für die Sendung ist. Ich liebe den Spirit, den eine neue Redaktion mit sich bringt.
"Es gibt eigentlich nichts, was ich nicht erlebt habe"
teleschau: Gehen wir zum Schluss nochmals zurück zur Hochzeit des Talks, als Sie, Ihre Stimme, Ihr Gesicht, Ihre Art, Fragen zu stellen, für viele Menschen einfach zum Nachmittag gehörten. Jeder kannte Sie. Haben Sie sich das Comeback wirklich gut überlegt?
Hagedorn: (lacht) Ja, habe ich. Ja, es konnte mir mit der Öffentlichkeit schon mal zu viel werden damals - es gibt eigentlich nichts, was ich nicht erlebt habe. Der Daily Talk stellt einen starken persönlichen Bezug her, sodass Menschen häufig persönliche Nähe zu mir empfunden haben, obwohl wir uns nie begegnet sind. Der Rückzug ins Private war wichtig und tat mir und der Familie unheimlich gut. Aber jetzt bin ich an einem Punkt, wo ich mich dem fröhlichen Treiben wieder stellen mag. Ich weiß, worauf ich mich einlasse, und habe einen gewissen Respekt vor dem, was kommt. Man könnte auch sagen: Der Job hat mir gefehlt, die Öffentlichkeit gehört dazu.
teleschau: Welche Grundfähigkeiten brauchen Sie, um diesen Job gut zu machen?
Hagedorn: Ausschlaggebend ist das Interesse an den Menschen per se. Schlagfertigkeit und kommunikative Fertigkeiten sind das Handwerkszeug. Dazu braucht es Empathie und sicher auch Respekt und ein gewisses Maß an Demut vor den Gästen und ihren Geschichten. Wer in dem Geschäft überheblich rüberkommt, verliert - das ist meine Überzeugung. Denn es geht beim Talk, wie ich ihn mache, immer darum, eine gewisse Augenhöhe herzustellen.
teleschau: Hand aufs Herz: Glauben Sie wirklich an einen Erfolg?
Hagedorn: Ja, weil ich überzeugt bin, dass es in der Gesellschaft so etwas wie ein grundlegendes Talkbedürfnis gibt. Schon im Mittelalter haben sich die Leute zusammengefunden und Geschichten aus der Nachbarschaft erzählt ... Da gibt es diesen kathartischen Ansatz, der auf die klassische Tragödie zurückgeht: Es wirkt befreiend, zu sehen, dass man nicht alleine mit seinen Herausforderungen ist. Dieses "Oh Mann, ich bin nicht alleine" ist ein Reflex. Ein anderer: "Guck mal, mir geht's gar nicht so schlecht, andere sind schlimmer dran." Natürlich gibt es auch einen empathischen Ansatz: Wir fühlen gerne mit anderen mit. Also: Der Bedarf ist da. Immer noch - vielleicht sogar mehr denn je!
teleschau: Werden Sie sich die erste Sendung im Familienkreis anschauen?
Hagedorn: Wohl eher nicht. Vermutlich werde ich gar nicht hinsehen können, so aufgeregt bin ich. Ich werde mir wohl ein dreitägiges Fernseh-, Quoten- und Internetverbot auferlegen, um da halbwegs gut durchzukommen (lacht)!