28.05.2025 von SWYRL/Eric Leimann
Im mit derbem Brandenburger Humor unterfütterten Melodram "Familie is nich" brilliert Meret Becker als alleinstehende, kratzbürstige Bauernhofbesitzerin, die ihre achtjährige Enkelin (Luise Landau) bei sich aufnehmen muss. Ein dörflicher Coming-of-Age Film, der drei Generationen erzählt.
Die Literatur- und Filmgeschichte kennt einige Charaktere des kratzbürstigen Alten, dessen hoch ummauertes Herz von einem Kind erobert wird. Da wäre der anfangs mürrische Großvater Alm-Öhi aus "Heidi", Ebenezer Scrooge aus Charles Dickens "Eine Weihnachtsgeschichte" und natürlich Alec Guinness als Earl of Dorincourt in "Der kleine Lord". Im ZDF-Melodram "Familie is nich", das ARTE als Vorpremiere im Dezember 2024 zeigte und nun im ZDF zu sehen ist, spielt die frühere Berliner "Tatort"-Kommissarin Meret Becker eine weibliche Version des verbitterten Grantlers.
Anne (Becker) hat ihren Mann früh verloren und ist mit Tochter Julia (Emma Bading) übelst zerstritten - weshalb sie ihren kargen Hof im Brandenburgischen alleine bewirtschaftet. Tochter Julia lebt an der Armutsgrenze und ist nicht der stabilste Charakter. Sie driftet ein wenig durch ihr Leben. Als die Alleinerziehende im Gefängnis landet, braucht Julias achtjährige Tochter Tilda (Luise Landau) ein neues Zuhause.
Eigentlich soll Tilda zu einer Freundin (Banafshe Hourmazdi) von Julia, doch die ist gerade familiär überfordert. So fährt sie zum Bauernhof von Anne, um Tilda dort unterzubringen. Annes Reaktion ist erst mal abwehrend. Das dem Film seinen Namen gebende Zitat "Familie is nich" stammt von ihr. Genregemäß kommen die Mauern um Annes Herz im Verlauf der Handlung jedoch ins Wanken. Was nicht nur für Tilda eine große Sache ist, auch Anne selbst erlebt sich neu.
Dann wäre da noch Holger (Florian Lukas), der nette Bürgermeister des Dorfes. Auch er schöpft wieder Hoffnung. Seit Jahrzehnten hat er schüchtern ein Auge auf Anne geworfen, doch die Einzelgängerin ist wirklich eine harte Nuss, wenn es darum geht, Nähe zuzulassen. Das Buch zu "Familie is nich" nutzt zwar erwartbare Momente, doch der Film gleicht diese kleine Schwäche durch starke schauspielerische Leistungen - vor allem von Meret Becker - locker aus.
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Berliner oder Brandenburger Schnauze
Wobei - ganz so gradlinig, wie man es in einer schlechteren Version dieses Coming-of-Age-Plots vermuten könnte, verlaufen die Annäherungs- und Abstoßbewegungen zwischen Anne und der Welt dann doch nicht. Anne, ihre Tochter und Enkelin kommen sich zwar langsam näher, doch die tief sitzende Lebensskepsis der Älteren bleibt ein Problem. Inszeniert wurde der Film von Nana Neul (2019 Grimme-Preis nominiert für "Unser Kind") nach einem Drehbuch von Andrea Deppert ("Das Quartett: Dunkle Helden").
Neul, übrigens die Ehefrau von Schauspieler Hans-Jochen Wagner, versucht, das Melodramatische bis Kitschige dieser Geschichte durch ein gewisses Brandenburger Westernflair zu erden. Das gelingt ihr recht gut: Nicht nur, wenn Anne ihre Farm mit der Flinte verteidigt oder beim Dorffest die Squaredance-Gruppe probt, sondern auch in der kratzbürstigen Tonlage der Dialoge, die sich hier durch alle Figuren zieht.
Am besten, ja fast schon brillant, setzt diesen Tonfall die in Berlin aufgewachsene und lebende Meret Becker um. Manche Kulturanthropologen behaupten ja, die berühmte Berliner Schnauze, welche überflüssige Freundlichkeit bekanntlich ausspart, käme eigentlich aus Brandenburg. Sieht man diese Tragikomödie mit Brandenburger Schnauze an, kann man sich gut vorstellen, dass die Theorie stimmt.