30.10.2024 von SWYRL/Maximilian Haase
"Wie lösen wir die Flüchtlingskrise?" - dieser viel diskutierten Frage geht Peter Kloeppel in seiner neuen RTL-Reportage nach. Was er bei seinen Recherchen vor Ort erlebte, wie belastet die Kommunen wirklich sind und was die Geflüchteten selbst sagen, erklärt der Ex-Anchorman im Interview.
Als News-Anchorman der Nachrichtensendung "RTL aktuell" hatte sich Peter Kloeppel erst im Spätsommer verabschiedet. Dass er dem Medium Fernsehen und seinem Sender allerdings erhalten bleiben würde, stand da schon fest. Wenige Wochen später meldet er sich nun bereits zurück - und das mit einem überaus brisanten Thema: "Wie lösen wir die Flüchtlingskrise?", fragt der 66-Jährige in seiner neuen RTL-Reportage (Donnerstag, 31. Oktober, 20.15 Uhr), für die er und sein Team vor Ort mit Politikern und Geflüchteten, mit protestierenden Bürgern und sogar mit einem Schleuser in der Türkei sprachen. Wie dringlich die Krise bei den Recherchen im In- und Ausland erschien, wie belastet die Kommunen tatsächlich sind und wie mögliche Lösungsansätze aussehen könnten, erklärt Kloeppel im Interview.
teleschau: Herr Kloeppel, Wie würden Sie die Lage nach Ihren Recherchen und Erfahrungen beim Dreh einschätzen: Steckt Deutschland wirklich in einer tiefen Krise, was Migration und Flüchtlinge angeht?
Peter Kloeppel: Ja, wir stecken in einer Krise. Es kommen weiterhin jede Woche tausende von Menschen, viele davon irregulär oder illegal nach Deutschland, die hier Schutz, Zuflucht, ein besseres Leben suchen. Selbst wenn sie ein Anrecht auf Aufnahme bei uns haben, fehlen fast immer die wichtigsten Dinge die man braucht, um in Deutschland ein erfülltes und produktives Leben führen zu können. Nämlich Sprachkenntnisse, eine anerkannte Berufsausbildung, ein Job - und damit fehlen auch die Voraussetzungen, sich integrieren zu können. Die Kommunen, ganz besonders Kindergärten und Schulen, sind vielfach überlastet mit den Integrations-Aufgaben, die man ihnen aufbürdet. Und unsere Bürokratie mit all ihren Gesetzen, Verordnungen, teils unklaren Verantwortlichkeiten erschwert so manche pragmatische Lösung.
teleschau: Ist die Belastungsgrenze, wie es oft heißt, in vielen Städte und Gemeinden also erreicht?
Kloeppel: Viele Städte und Gemeinden sind tatsächlich an der Belastungsgrenze angekommen. Nur ein Beispiel: adäquaten, bezahlbaren Wohnraum haben wir ja ohnehin schon zu wenig in Deutschland. Kein Bürgermeister oder Landrat stellt gerne Wohncontainer für Flüchtlinge auf eine Wiese, aber anders geht es oft nicht mehr. Selbst wenn man dann Unterkünfte geschaffen hat, fallen ja täglich Kosten für die Unterbringung und für Integrationsangebote an. Deshalb fährt dann aber noch lange kein Bus oder die Bahn dort vorbei. Die Isolation nimmt zu, Integration kann unter solchen Bedingungen kaum gelingen.
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"Einfache Antworten helfen auch nicht"
teleschau: Konnten Sie, zumindest ansatzweise, eine Antwort auf die titelgebende Frage nach möglichen Lösungen finden?
Kloeppel: Die eine Antwort gibt es nicht, einfache Antworten helfen auch nicht, es muss an so vielen Stellen angesetzt werden. Und nicht überall haben wir Einflussmöglichkeiten. Das beginnt schon in den Herkunftsländern mit der Bekämpfung der Fluchtursachen. Länder mit repressiven Regimen, einer hohen Kriminalitätsrate, mit Bürgerkriegen oder kriegsähnlichen Zuständen und begrenzten wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten - da kann Deutschland oder die EU nur begrenzt etwas zur Verbesserung der Lage beitragen. Dann die Schlepperkriminalität: da sind wir auf die Mithilfe von Ländern wie zum Beispiel der Türkei, Staaten Nordafrikas aber auch der Transitländer in der EU angewiesen. Unseren Reportern ist es beispielsweise gelungen, Schlepper an der türkischen Mittelmeerküste zu treffen - wenn wir Journalisten das schaffen, sollten es die lokalen Polizeibehörden doch auch können.
teleschau: Was ist mit den Menschen, die bereits hier sind?
Kloeppel: Wenn geflüchtete Menschen - egal mit welcher Motivation sie gekommen sind - erst mal bei uns sind, dann sollte so schnell wie möglich geklärt werden, ob sie bleiben dürfen oder nicht. Die Verfahren dafür können wir in Deutschland bestimmt noch effektiver, stringenter und zügiger gestalten. Nur wenn es dann um Rückführung von Migranten ohne Aufenthaltsberechtigung geht, das ist leider auch klar, sind wir wieder auf die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern angewiesen. Die Flüchtlingskrise ist ein globales Problem, und Deutschland gilt unter Flüchtenden wegen seiner hohen sozialen Standards weiterhin als das Land mit der größten Attraktivität. Wir müssen uns vielleicht alle fragen: Wie unattraktiv wollen wir sein?
teleschau: Wie viel wird bei der Thematik ihrer Ansicht nach politisch hochgekocht und instrumentalisiert?
Kloeppel: Die Flüchtlingsproblematik per se wird nicht hochgekocht, die existiert einfach. Viele Eltern zum Beispiel sehen ja, dass die Schulen mit der Förderung aller Kinder überfordert sind. Darauf muss die Politik Antworten finden. Aber leider beobachten wir auch eine zunehmende Kriminalitätsrate vor allem unter jungen Migranten - die dann politisch und medial pauschalisiert werden unter dem Motto: "Mit den Flüchtlingen holen wir uns die ganzen Kriminellen ins Land." Wenn unsere Polizei und die Justizbehörden nicht personell und finanziell gut genug ausgestattet sind, um auf Bedrohungslagen adäquat reagieren zu können, dann spielt das manchen Parteien und Medien in die Hand.
"Wir zeigen Migration immer wieder in all ihren Facetten"
teleschau: Wenn Sie auf die Stimmung in der Bevölkerung blicken: Wie viel Frust begegnete Ihnen bei Ihren Recherchen - vielleicht auch gegenüber den Medien?
Kloeppel: Natürlich sind viele Menschen hierzulande frustriert. Zwar kennt jeder persönlich mindestens eine Geschichte erfolgreicher Integration von Migranten. Aber jeder kennt halt auch die Gegenbeispiele. Vor ziemlich genau neun Jahren, im September 2015, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel angesichts der überwiegend syrischen Flüchtlinge den viel zitierten Satz gesagt: "Wir schaffen das!" Schon damals waren viele Menschen skeptisch, das hat sich bis heute nicht geändert. Weder im Osten noch im Westen des Landes.
teleschau: Werden die Probleme in Sachen Migration Ihrer Ansicht nach in den Medien zu wenig angesprochen?
Kloeppel: Nein, das Gefühl habe ich nicht. Wir zeigen Migration immer wieder in all ihren Facetten. Das geht los mit der Situation in den Herkunftsländern, über die Fluchtrouten bis hin zur Ankunft hier in Deutschland. Wir sehen und zeigen beide Seiten der Integration: die erfolgreichen und die gescheiterten Geschichten.
teleschau: Sie sprachen für den Film auch mit den Geflüchteten selbst. Wird das in der Debatte eigentlich zu wenig getan - und könnte man daraus wichtige Erkenntnisse für die Lösung der Krise gewinnen?
Kloeppel: Wenn Geflüchtete hier ankommen und ein Dach welcher Art auch immer über dem Kopf haben, sind sie erst mal erleichtert. In unseren Gesprächen erfahren wir aber auch immer wieder, dass diese Erleichterung irgendwann in Frustration umschlägt. Dann nämlich, wenn es mit den Ämtern Verständigungsprobleme gibt, weil Verfahren zu lange dauern, weil man mit dem Erlernen der Sprache kämpft, weil man noch nicht arbeiten darf oder kann, und weil die Aussicht auf einen festen Wohnsitz mit eigener Wohnung nicht näher rückt. Viele Träume von einem besseren Leben zerplatzen dann irgendwann. Lernen können wir daraus vor allem, dass die Verfahren auf allen Ebenen schneller werden müssen, damit zerplatzte Träume nicht in aufgestauter Aggression enden.
teleschau: Zum Abschluss eine persönliche Frage: Wie war es für Sie nach Ihrem Abschied von "RTL aktuell" wieder vor der Kamera zu stehen und fürs Fernsehen zu produzieren? Haben Sie die Arbeit bereits vermisst?
Kloeppel: (lacht) Sooo lange ist mein Abschied ja nun noch nicht her. Es gibt viele Tage in meinem "neuen" Leben, da vermisse ich die Arbeit gar nicht - aber wenn ich für ein Projekt wie dieses vor der Kamera stehen und über ein wichtiges Thema berichten kann, dann weiß ich auch gleich wieder, warum ich irgendwann mal diesen Beruf gewählt habe.