25.10.2024 von SWYRL/Eric Leimann
In seinen abendfüllenden ProSieben-Reportagen versucht Journalist Thilo Mischke zwei Phänomenen auf den Grund zu gehen: Warum erreichen radikale christliche Ansichten auf einmal so viele junge Leute, und warum könnte Donald Trump tatsächlich wieder die Wahl gewinnen? Hat beides miteinander zu tun?
Thilo Mischke, preisgekrönter Journalist mit Faible für intensive Begegnungen, war wieder auf Reisen. Seine beiden abendfüllenden Filme "ProSieben THEMA. Radikale Christen und ihr Griff nach der Macht?" (Montag, 28. Oktober, 20.15 Uhr) und "ProSieben THEMA. Forrest Trump - Amerika vor der Schicksalswahl" (Montag, 4. November, 20.15 Uhr) fragen danach, warum das radikal Konservative wieder so stark im Kommen ist. Sind wir Demokratie und Liberalität überdrüssig, weil das Leben so kompliziert und anstrengend geworden ist? Weil wir Menschen nach einfachen Lösungen lechzen?
teleschau: In zwei neuen Reportagen erforschen Sie die USA vor der Wahl und die Szene fundamentaler Christen. Hat beides miteinander zu tun, weil die Strenggläubigen in Amerika viel Macht besitzen?
Thilo Mischke: Ja, aber nicht nur dort. Der Einfluss fundamentaler Christen wächst auch in Deutschland stetig. Das haben wir in einer großen Recherche über zwei Jahre herausgearbeitet. Es gibt zudem Querverbindungen zwischen Fundamentalen und rechten Akteuren - in Deutschland. Aber natürlich sind wir für den Christen-Film auch in den USA. Dort kann man sehen, was geschieht, wenn Kirche und Staat nicht richtig voneinander getrennt sind. In den USA kann man sich anschauen, wie die Vision von Menschen aussieht, die Kirche und Staat wieder zusammenführen wollen.
teleschau: Die Fundamentalen unterstützen Trump, bei dem sich die meisten Menschen nicht vorstellen können, warum ihn etwa die Hälfte der Amerikaner als Präsidenten haben möchte. Haben Sie auf ihrer Reise eine Antwort auf diese Frage gefunden?
Mischke: Zumindest hätte ich eine These. Man muss ja erst mal festhalten, dass in vielen Ländern rechtspopulistische Parteien und Politiker viele Stimmen bekommen oder schon an der Macht sind. Das ist überall möglich, auch nach freien und korrekten Wahlen. Am wichtigsten für den Erfolg der Populisten ist ein funktionierendes Feindbild. Das Feindbild von Trump und den Republikanern sind Migranten. Das ist bemerkenswert, denn der Erfolg der USA beruht seit 400 Jahren auf Einwanderern, auch wenn die ersten von ihnen - die Sklaven - ganz und gar nicht freiwillig kamen. Trump arbeitet vor allem mit der Angst vor dem Fremden. Und er verspricht Lösungen für Probleme, die er selbst erzeugt. Ein perfides, aber offenbar sehr erfolgreiches Konzept.
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"Eine veränderte Partei hat sich Trump als Werkzeug ausgesucht"
teleschau: Nun fragen sich viele, wie die Republikaner es zulassen konnten, dass Trump die Partei quasi übernimmt. Gerade nach seiner ersten Amtszeit und dem Sturm aufs Kapitol ...
Mischke: Wenn man in den USA tiefer forscht, kann man durchaus auf die Idee kommen, dass nicht Trump die republikanische Partei übernommen hat, sondern dass sich eine veränderte Partei Trump als Werkzeug ausgesucht hat. Die Republikaner, das sind verschiedene, zum Teil sehr konservative Einflussgruppen. Zum Beispiel die Evangelikalen oder auch mächtige Teile der Industrie, auch wenn viele das nicht laut aussprechen möchten. Vielen gefällt, was Trump verspricht. Er wiederum bekommt, was er am meisten braucht: Aufmerksamkeit. Insofern sind das gut funktionierende Allianzen.
teleschau: Wenn Sie Trump als Werkzeug bezeichnen, dann muss es auch Menschen geben, die dieses Werkzeug bedienen. Wer ist das konkret?
Mischke: Es sind Kräfte in der republikanischen Partei, die für mich klar nach rechts gerückt ist. Vor allem das "Project 2025" wäre zu nennen. Dahinter verbirgt sich der Plan eines Think-Tanks, der die Demokratie in den USA mithilfe von Trump aushöhlen will. Als oberster Wert steht dahinter nichts Schnöderes als Geld. Das ist der oberste Wert in den USA, egal was man sonst so erzählt. Geld hat in Amerika noch mal einen anderen Stellenwert als hier. Und natürlich verfügt auch Trump über Netzwerke, Unterstützer und mächtige Allianzen, auf die er zählen kann. In einer Demokratie kann man ohne diese Netzwerke und Allianzen nicht in eine Position kommen, als Präsidentschaftskandidat aufgestellt zu werden.
teleschau: Wie eng sind die Verbindungen zwischen dem "Project 2025" und Trumps politischer Agenda?
Mischke: Sehr eng. In einem großen Interview mit dem Time Magazine bezieht sich Trump eindeutig auf "Project 2025": erzkonservative Familiengesetze inklusive Abtreibungsverbot, dazu Abschaffung des Beamtentums. Der Verwaltungsstaat soll quasi aufgelöst werden und die Macht an das amerikanische Volk zurückgegeben werden. Letztendlich werden aber nur demokratische Instanzen abgeschafft. Wenn "Project 2025" umgesetzt wird, ist die Demokratie in den USA zu Ende.
"Die Lebenserwartung in den USA sinkt"
teleschau: Sie spielen an auf Trumps Satz "Ich werde ein Diktator für einen Tag sein"?
Mischke: Ja, der Plan dürfte so aussehen, dass er an diesem Tag die Demokratie abschafft und durch neue Gesetze ersetzt, die das Mitspracherecht kritischer Instanzen des Staates stark einschränkt.
teleschau: Sie haben für Ihre Reportagen der letzten Jahre mehrere Reise in die USA unternommen. Wie hat sich das Land - auch abseits von der Wahlentscheidung 2024 - verändert?
Mischke: Das Gute an meiner Arbeit für ProSieben ist, dass wir immer wieder mal in die USA fahren, um zu recherchieren. Für unterschiedliche Filme. Was mir dabei aufgefallen ist: Das Land wirkt immer kaputter. Das merkt man, wenn man in Abständen von ein paar Monaten oder ein, zwei Jahren dorthin zurückkehrt. Es gibt die offensichtlichen Veränderungen wie Opioidkrise oder Obdachlosigkeit, die überall immer krasser wird. Man muss sich das mal vorstellen: Die Lebenserwartung in den USA sinkt - und wir reden über die reichste Volkswirtschaft der Welt. Sie vernachlässigt mittlerweile das Wichtigste, was sie hat: ihre Konsumenten. Ich habe mich mit Schwarzen Bürgerrechtlern getroffen, die Pläne der Abspaltung von den USA vorantreiben. Wenn es nach ihnen geht, könnte es so etwas wie den Staat Mississippi geben. Dabei geht es natürlich auch um strukturellen Rassismus: Ein System, das so fest etabliert ist, das diese Leute keinen anderen Weg mehr sehen, als sich von den USA abzuwenden. All das wäre früher undenkbar gewesen.
teleschau: Das Amerika der vielen unterschiedlichen Menschen, die sich auf die Idee der Freiheit und des Zusammenhalts einigen können, gibt es also nicht mehr?
Mischke: Nein, jeder zieht sich in seine eigene Blase zurück. Man muss sich allerdings auch die Frage stellen, ob es dieses Amerika, nach dem Sie fragen, überhaupt je gab. Das Ideal von Amerika ist wahrscheinlich eine sehr weiße Idee. Würden sie Schwarze oder andere unterprivilegierte Gruppen fragen, könnte es sein, dass sie nie an so etwas geglaubt haben. Aufgrund eigener Lebenserfahrungen und jener ihrer Familien. Dies alles ist aber viel krasser und offensichtlicher geworden, als es früher war. Dafür braucht man auch keinen journalistisch geschärften Blick. Man muss einfach nur in Amerika sein.
"Kernursache ist für mich der Kapitalismus"
teleschau: Wie lange waren Sie unterwegs?
Mischke: Wir waren 45 Tage unterwegs. Nach Bidens Rückzug mussten wir noch mal einiges nachdrehen, weil uns die Aktualität überholt hatte.
teleschau: Haben Sie auch etwas gefunden, was Ihnen Hoffnung macht?
Mischke: Aktuell leider nicht. Eher mache ich mir Sorgen, dass es uns hier so ähnlich trifft. Viele Dinge, die in den USA passieren, geschehen etwa zehn Jahre später auch in Europa, sagen einige. Wenn die Theorie stimmt, müssen wir uns auch hier große Sorgen um den Zusammenhalt der Gesellschaft machen. Die Vorzeichen sehen ja jetzt schon nicht gut aus. Der Umgangston ist auch in Deutschland und Europa sehr viel aggressiver geworden.
teleschau: Gibt es eine Ursache für all diese negativen Entwicklungen?
Mischke: Natürlich gibt es nicht nur eine, aber die Kernursache ist für mich der Kapitalismus, vor allem in Form nicht regulierter Märkte und der Abbau des Sozialstaates. All das sorgt dafür, dass einige immer reicher werden, eine Mehrheit jedoch immer ärmer. Vielen Menschen geht es schlecht und wem es schlecht geht, der hat keine Kraft mehr, nach komplizierten Wegen und Lösungen zu suchen. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen Armut und dem Bedürfnis nach einfachen Lösungen. Deshalb steht der Populismus auch so hoch im Kurs.
teleschau: Kommen wir noch mal auf Ihren ersten Film über den Erfolg der Freikirchen bei den Jungen. Steht auch dahinter der Wunsch nach einfachen Lösungen?
Mischke: Er spielt auf jeden Fall eine Rolle. Jene Kirchen, die gerade großen Zulauf haben, stehen für extrem konservative Werte, traditionelle Geschlechterbilder und Rollen ein. Ihr größtes Feindbild sind Transpersonen oder uneindeutige Geschlechter. Es ist wie mit der Begeisterung für Trump. Wer verunsichert ist, sucht nach klaren, einfachen Lösungen.
"Letztes Jahr habe ich eine Therapie begonnen"
teleschau: Insgesamt hat man ja den Eindruck, die christliche Religion ist in Deutschland extrem auf dem Rückzug. Wie passt der Erfolg der Freikirchen dazu?
Mischke: Ich kann ihn verstehen, denn die machen vieles richtig. Wenn man mal in so einer Veranstaltung war - da gibt es viel moderne und mitreißende Musik, eine große emotionale Inszenierung, alle sind sehr zugewandt und freundlich - man fühlt sich aufgehoben. Und das Wichtigste: Man bekommt dort ein ganz einzigartiges Gefühl der Ekstase, ohne dass man dafür Alkohol oder Drogen nehmen muss. In den jungen Freikirchen finden in der Tat große Gemeinschaftserlebnisse statt.
teleschau: Sie machen diese Reportagen nun schon seit vielen Jahren. Wird man auf Dauer trauriger, wenn man immer wieder zu den Krisenherden dieser Welt reist?
Mischke: Nein, man wird nur realistischer. Ich glaube, die Welt und vor allem der Mensch waren schon immer so, wie sie sich jetzt präsentieren. Mit dem Unterschied, dass es heute sehr viel mehr Menschen gibt, plus schnellere Veränderungen und Kommunikation. All das sorgt dafür, dass eine gewisse Dynamik Fahrt aufnimmt. Der Mensch an sich ist aber weder besonders gut noch besonders schlecht. Weder früher noch heute. Wir sehen heute nur mehr von beidem. Das Musikfestival nahe des Gazastreifens, das die Hamas im Oktober 2023 angegriffen hat, ist ein sehr plastisches Beispiel dafür.
teleschau: Warum?
Mischke: Weil dort eine große Feier für Pazifismus, Menschlichkeit und brutaler Terror an einem Ort zusammenkamen. Eigentlich ein unfassbarer Moment ...
teleschau: Und das können Sie einfach so hinnehmen - als Journalist?
Mischke: Nein, kalt lassen mich solche Orte oder Recherchen, bei denen ich sehr viel Leid begegne, absolut nicht. Letztes Jahr habe ich eine Therapie begonnen. Die hilft mir sehr. Auch das letzte Buch, dass ich geschrieben habe, hat enorm geholfen. Man muss sich auf jeden Fall gut um sich kümmern. Es klingt trivial, aber ich kann es nur jedem dringend ans Herz legen: Passt gut auf euch selbst auf. Und geht zur Therapie.